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Aus: Ausgabe vom 05.07.2024, Seite 10 / Feuilleton
Subkulturindustrie

Punks gegen Palästina

Hamburg: Streetpunkmusiker attackiert Palästina-Solidaritätscamp. Band Arrested Denial gibt sich zerknirscht, doch verweigert Solidarisierung
Von Susann Witt-Stahl
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Lässt sich nicht zur Staatsräson bringen: Mahnwache an der Moorweide nahe der Uni Hamburg (Mai 2024)

Das Palästina-Solidaritätscamp am Hamburger Dammtor ist regelmäßig Drangsalierungen von rechten Deutschen und sogenannten Antideutschen ausgesetzt. Daher staunten die migrantischen Bewohner, darunter auch Flüchtlinge, am frühen Morgen des 1. Juni nicht schlecht, als nun auch ein mit linken Symbolen dekorierter Punk zur Tat schritt und ihr Frontbanner mit der Aufschrift »Resist!« in Fetzen riss. Allemal als sich herausstellte, dass es sich bei dem alkoholisierten Randalierer um den Gitarristen der Streetpunkband Arrested Denial handelte.

Womit der Angreifer offenbar nicht gerechnet hatte: Die Palästina-Solidaritätsgruppe Thawra, die die Kernstruktur des Camps bildet, filmte den Vorfall und dokumentierte ihn auf ihrem Instagram-Kanal. Das Video ging viral und nötigte zur Entschuldigung, die schließlich bei einem auf Initiative von Thawra anberaumten Treffen ausgesprochen wurde. Das reicht Thawra aber nicht: »Wir haben gefordert, dass sich die Band öffentlich von der Tat distanziert und sich mit dem Camp wie den Ausgebombten in Gaza solidarisiert. Das hat sie mit der Begründung, ›dies sei heuchlerisch‹, abgelehnt«, erklärt eine Sprecherin. Thawra verortet Arrested Denial im »Dunstkreis« der von »Antideutschen« dominierten Roten Flora und hat nun ein zweites Video mit Bildern von Auftritten der Band in dem Kulturzentrum hochgeladen.

In einer umfangreichen Stellungnahme auf Anfrage von jW bedauern Arrested Denial die »riesengroße Dummheit« ihres Gitarristen, führen sie auf Volltrunkenheit und »emotionalen Stress« zurück und beteuern »Mitgefühl« mit den Geschädigten. Sie bestreiten aber, eine »besonders enge Verbindung« zur Roten Flora zu haben, und betrachten sich lediglich als Spielball eines schwelenden Konflikts zwischen dem Kulturzentrum und Thawra. Das wiederum passt nicht zu ihrer Aussage, ihr Gitarrist habe »mehrfach von antisemitischen Tendenzen im Camp gelesen« – unbewiesene Vorwürfe, aus denen Politik und Medien ihre Hasskampagnen gegen die linke Palästina-Solidarität speisen.

Der Vorfall spiegelt die Selbstentfremdung einer linken Kulturszene, die den Kampf für die Befreiung der »Verdammten dieser Erde« (Fanon) längst durch Radical-Chic-Branding ersetzt hat und »Refugees Welcome!« nur noch als Marketing-Gag kennt. Damit ist sie nicht nur empfänglich für rassistische Hetze, sondern auch leicht integrierbar in die verordnete »Zeitenwende« zur Kriegstüchtigkeit.

Das zeigen auch die Übergriffe auf einem Punkkonzert anlässlich des Hamburger Hafengeburtstags im Mai – vor dem ehemals besetzten Häuserblock in St. Pauli, auf dem in den 80er Jahren der Imperativ »Boykottiert Israel!« prangte. Nicht genug, dass die Veranstalter, darunter die Punkkneipe Onkel Otto, den auftretenden Musikern Äußerungen gegen den Gazakrieg untersagt hatten: Ein alkoholisierter Mob aus dem Umfeld des »antideutschen« Wohnprojekts Plan B fühlte sich berufen, einen Palästinenser, eine Afrofinnin sowie zwei Deutsche, die die Kufija (»Palästinensertücher«) trugen, zur Staatsräson zu bringen: Die Gruppe wurde angerempelt, mit Bier bespritzt, beschimpft – schließlich physisch attackiert: »Antifas« hätten ihn gepackt, ihm die Kufija heruntergerissen und »Du verpisst dich jetzt hier!« entgegengebrüllt, so einer der Angegriffenen. »Wären nicht Punks aus Südamerika dagewesen, die uns geschützt haben, wäre das böse für uns ausgegangen.«

Befeuert werden solche Ausraster durch die Propaganda einer von oben geschmierten Subkulturindustrie­maschine: Die von der Elektropunkband Egotronic mitinitiierte Kampagne Artists Against Antisemitism, die von der vorwiegend regierungsfinanzierten Amadeu-Antonio-Stiftung gefördert wird, gehört ebenso dazu wie die Organisation Punks Against Antisemitism, die von der Transatlantikerdenkfabrik Mideast Freedom Forum Berlin (ein Kooperationspartner der Konrad-Adenauer-Stiftung) beworben wird. Im Juni präsentierten Punks Against Antisemitism einen u. a. von Klaus Bittermann herausgegebenen Essayband, in dem allerlei Kriegstreiberprominenz – von Ralf Fücks vom Zentrum Liberale Moderne bis Deniz Yücel von Springers Welt – versammelt ist, um die Palästinenser, ganz auf Linie der Netanjahu-Regierung, als die neuen Nazis zu dämonisieren. Solche Konstruktionen eignen sich vorzüglich zur ideologischen Legitimierung des Massenmords, der gerade im Gazastreifen in vollem Gange ist – und vom rechten Rand der linken Punkszene lange vor dem 7. Oktober proklamiert wurde: »Gegen jeden Antisemitismus auf der Welt«, den sie den Palästinensern und deren Unterstützern anlastet, verlangte die Band Alles.Scheisze in ihrem Song »Israel ballert« bereits 2017: »Egal, wo es Krieg gibt, egal, wie viele Leichen – Israel sollte die Faschisten von der Karte streichen.«

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