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Aus: Ausgabe vom 09.07.2024, Seite 11 / Feuilleton
Punk

Hysterie und History

»Kaputt«, das neue Album der linken Berliner Band Kafvka, ist draußen
Von Fabian Lehmann
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»Zusammen sind wir weniger kaputt« – Kafvka

Es ist nicht nötig, das Kafka-Jubiläum in diesem Jahr zu bemühen, um über Kafvka zu schreiben. Jene Musikkombo aus Berlin-Lichtenberg, die just ihr viertes Album veröffentlicht hat. Auch ohne den bemühten literarischen Bezug finden sich genug Gründe, über die Band zu schreiben. Da wäre zunächst die erhebliche musikalische Bandbreite, die Kafvka bespielen. Rock, Rap, Techno, selbst Schlager mit billigen Synthiklängen. Es ist einiges dabei. Als Hörer muss man sich da erstmal frei machen vom eingeübten Spartendenken. Was dabei hilft: Dass Kafvka die maximale Offenheit gegenüber musikalischen Genres um ihre klare politische Haltung ergänzen.

Vieles, was sich auf dem neuen Album findet, meint man irgendwo schon mal ähnlich gehört zu haben. Und dennoch klingt »Kaputt« keineswegs beliebig, vielmehr abwechslungsreich. Das ist auch den guten Texten von Sänger und Rapper Jonas Kakoschke geschuldet. Musikalisch wie textlich scheint die Band an ihren Kollegen von Frittenbude und deren Melange aus Pop und Politik geschult. »Wir können uns die Reichen nicht mehr leisten«, heißt es in »Millionen« und »Das alte Lied« beschwört die wilderen Zeiten linken Straßenprotests, wenn es heißt: »Ich wünsche mir die Hysterie unserer History zurück«. Kafvka zelebrieren verbale Angriffe auf Investoren, reiche Erben, den Kapitalismus. Manchmal sind es einfach gestrickte Schlachtrufe, die auch Slime gut stünden. Dass die 2013 gegründete Band sich als eine politische versteht, stellte sie spätestens 2018 mit ihrem Szenehit »Alle hassen Nazis« klar. Heute spielt die Band im Vorprogramm der Ärzte und Toten Hosen, wird für Rock am Ring gebucht und mit dem neuen Album ab August durch die Bundesrepublik touren.

Dauerthemen wie Rechtsruck und Mietenwahn mögen ein breites Publikum finden, interessanter ist das Album aber dort, wo es sich am Zeitgenössischen abarbeitet, Position zu medialen Konsumgewohnheiten bezieht und dem Sich-verlieren im digitalen Zwischenraum. Spaß machen die eingestreuten Bezüge zum Politmusikkanon. »Am Tag als Rio Reiser starb« ist eine rührende Liebeserklärung an die Bühnenfigur des Ralph Christian Möbius. Darin findet sich der sinnige Verweis auf die Ausnahmequalität der Reiser-Texte: »Am Tag als Rio Reiser starb, war bereits alles gesagt.« Warum dann also noch selbst das Wort erheben? Nun, allein schon deshalb, weil sich die Welt stoisch weiterdreht und der Nachwuchs im geneigten Hörpublikum mit frischem Material versorgt werden will. So ist »Geburtstag« zusammen mit den Bremer Punkrockern von Team Scheisse ein pubertärer Abgesang auf die Medienstars der Gegenwart (Sascha Lobo, Elon Musk, Olli Pocher, you name it) und erinnert damit zugleich an den in seinem Minimalismus unübertroffenen Knochenfabrik-Klassiker »Im Fadenkreuz«.

Aber anders als die No-Future-Riege der 90er verzichten Kafvka nicht auf den Swing zum Besseren und beschwören eine Zukunft der Solidarität. »Zusammen sind wir weniger kaputt«, so das Titelstück des Albums, das sogar ein bisschen gefährlich klingt und düster gerappt wie von Public Enemy daherkommt. Den wiederkehrenden Albummotiven – dem verbreiteten Hedonismus und Opportunismus, der introspektiven Bestandsaufnahme und Depression – zum Trotz überwiegen die empowernden Botschaften und die Freude an einer Musik, die Borders und Nations für überwunden erklärt.

Kafvka: »Kaputt« (Zukvnft)

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