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Aus: Ausgabe vom 09.07.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
NATO-Gipfel

Feiern und vertrösten

Beim NATO-Gipfel, obwohl er dort nicht hingehören soll: Wolodimir Selenskij
Von Reinhard Lauterbach
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Innige Umarmung: NATO-Chef Jens Stoltenberg mit Wolodimir Selenskij

Am Dienstag beginnt in Washington eine dreitägige Geburtstagsparty: Die NATO begeht den 75. Jahrestag ihrer Gründung, die übrigens sechs Jahre vor der des Warschauer Vertrags stattfand. In den Jahren zuvor hatte die Sowjetunion noch vergeblich versucht, durch verschiedene politische Angebote an den Westen, unter anderem die nach Stalins Tod vom sowjetischen Geheimdienstchef Lawrenti Berija sondierte Preisgabe der DDR, die Gründung des westlichen Militärbündnisses gegen das – damals sozialistische – Russland zu verhindern.

Der erste Generalsekretär der NATO, der britische Admiral Lord Ismay, definierte den Zweck der Allianz in drei kurzen Punkten: »die Russen raus-, die Amerikaner dabei- und die Deutschen kleinzuhalten«. Nach allen diesen Seiten – vergleiche die Art und Weise, wie sich die BRD im Zusammenhang mit der »Zeitenwende« hat von den USA politisch demütigen lassen – hat die NATO ihren Gründungszweck erreicht. Sogar zwei jahrzehntelang zumindest auf dem Papier neutrale Staaten Skandinaviens sind der Allianz 2023 und 2024 beigetreten. Und nach den Worten ihres scheidenden Generalsekretärs Jens Stoltenberg behält die NATO ihren Grundsatz bei, dass ihre »Türen offen« seien für weitere beitrittswillige Länder. Wenn auch nicht bedingungslos. Als Wladimir Putin in seinem ersten Amtsjahr US-Präsident William Clinton fragte, ob nicht auch Russland als NATO-Mitglied in Frage kommen könne, da winkte Washington ab. Die eigene Hegemonie zu teilen, das war nicht vorgesehen.

Trotzdem dürfte bei dem Treffen in Washington keine richtige Feierlaune aufkommen. Der eine Grund ist die Sorge, ob US-Präsident Joseph Biden angesichts seiner zuletzt überdeutlich gewordenen Formschwächen erstens physisch in der Lage sein wird, eine Mehrheit der US-amerikanischen Wähler von sich zu überzeugen, und zweitens, ob er selbst im Falle, dass dies gelingt, weitere vier Jahre im Weißen Haus durchhalten werde. Dahinter steht die Befürchtung, ein US-Präsident Donald Trump könnte womöglich die Front gegenüber Russland begradigen, um bessere Aussichten für den anvisierten Konflikt mit China zu bekommen.

Vor allem aber ist nicht wirklich klar, ob die NATO in der Lage sein wird, ihr ukrainisches Mündel so bei Laune und Ausrüstung zu halten, dass es den Stellvertreterkrieg gegen Russland weiterführt. Neuere Umfragen aus Kiew lassen erkennen, dass sogar unter den Bedingungen der politischen Zensur in der Ukraine und der über jeder nicht hurrapatriotischen Aussage hängenden Hochverratsdrohung die Zahl derjenigen wächst, die im Interesse eines Friedensvertrags bereit wären, auch auf Gebiete zu verzichten – wenn dafür der Rest des Landes in die NATO aufgenommen würde.

Genau dies aber ist nicht vorgesehen, so sehr auch Wolodimir Selenskij dafür die Trommel rührt und osteuropäische Politiker verbreiten, die Ukraine habe die Mitgliedschaft »verdient«. Wie gut informierte bürgerliche Medien erfahren haben wollen, sollen insbesondere die USA strikt dagegen sein, der Ukraine eine Mitgliedschaft mehr als nur in allgemeinen Worten zu versprechen. Selbst Selenskij scheint das inzwischen zu ahnen. Letzte Äußerungen von ihm lauten sinngemäß: »Wenn ihr uns schon nicht in der NATO wollt, dann gebt uns wenigstens die Waffen, damit wir uns selbst verteidigen können.« Der Krieg gegen Russland soll schon weitergehen – nur ohne vertragliche Verpflichtungen für seine Sponsoren.

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  • Leserbrief von Fred Buttkewitz aus Ulan - Ude (9. Juli 2024 um 04:09 Uhr)
    »Keep the Americans in, the Russians out, and the Germans down.« Die von R. Lauterbach verwendete Übersetzung beschönigt der Zielstellung des ersten Generalsekretärs: »Die Russen raus-, die Amerikaner dabei- und die Deutschen kleinzuhalten«. Nein, die USA eben nicht »dabei«, als gleichberechtigter Partner, sondern »drinnen« in allen NATO-Ländern, auf exterritorialen Stützpunkten mit eigener exterritorialer Gerichtsbarkeit. Keine nationale Institution hat in diesen Gebieten das Sagen. Umgekehrt haben die »Partner« in den USA solche Möglichkeiten nicht. Besatzungstruppen stellen immer nur die USA bei ihren »Partnern«, damit dort keiner auf dumme Gedanken kommt. Deutschland sollte auch nicht »klein« gehalten werden, sondern »unten«. Dieses »noch eine Etage tiefer« hat zwar bisher nach 1945 nicht so recht geklappt. Eine gewisse wirtschaftliche Stärke sollte das damals östlichste Bollwerk schon haben. Dieses östlichste »Bollwerk« ist Deutschland nun mehr. Ihm ist noch die Rolle des bereits abgemagerten Goldesels für den MIC der USA und für die US-hörige EU zugedacht, auch als Käufer für überteuertes Gas aus den USA. Für den Kriegsfall soll es logistische Drehscheibe sein. Da könnte aus dem »unten« von 1949 bzw. 1945 doch noch etwas werden. Eine logistische Drehscheibe der NATO als vermutlich russisches Ziel wird sich dann eben nicht in den USA befinden. Andersherum: Warum sollte ein neutrales Deutschland, welches aus der NATO ausgetreten ist, welches fremde Stützpunkte und A-Waffen von seinem Territorium entfernt und gute wirtschaftliche Kontakte zu allen BRICS-Staaten pflegt, von einem dieser Staaten militärisch angegriffen werden? Russland hat sich von deutschem Territorium zurückgezogen und großzügig nahezu auf alle Reparationen verzichtet. Es wurden nicht einmal fünf Prozent der Kriegsschäden in der UdSSR beglichen, davon ein Teil dann noch an Polen abgeführt. Dagegen zahlte Deutschland brav an die Westmächte unlängst noch für den Ersten Weltkrieg.

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