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Aus: Ausgabe vom 09.07.2024, Seite 4 / Inland
Rüstungsspirale

Weniger ist mehr

Verteidigungsminister enttäuscht über Zusatzmilliarde für Bundeswehr im Haushaltsentwurf 2025. Forscher kritisiert Kürzungen zu Lasten der Armen
Von Kristian Stemmler
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Will noch viele Beschaffungsverträge abschließen: Boris Pistorius in Alaska (Fairbanks, 7.7.2024)

Das demonstrative Wehklagen der Kriegsertüchtiger hält an. Am Montag hat Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) in den Chor eingestimmt und die Nase darüber gerümpft, dass es statt der von ihm geforderten 6,7 Milliarden Euro Aufstockung im Haushaltsentwurf 2025 »nur« ein Plus von 1,2 Milliarden Euro für die deutschen Streitkräfte geben soll. Pistorius behauptete in Alaska, wo er der Militärübung »Arctic Defender 2024« beiwohnte, dass er mit der aktuell veranschlagten Zusatzmilliarde »bestimmte Dinge« nicht in der Geschwindigkeit »anstoßen« könne, wie es »Zeitenwende und Bedrohungslage erforderlich machen«.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) hatten sich am Freitag auf den Etatentwurf geeinigt. Postwendend gab es Forderungen der Unionsparteien, der SPD, von Verbänden und der Bundeswehr, die eingeplante Summe von 53,2 Milliarden Euro deutlich nach oben zu schrauben. »Angesichts der Bedrohungslage brauchen wir eine Verstetigung«, erklärte der Generalinspekteur Carsten Breuer gegenüber der Süddeutschen Zeitung (Montag). Das 100-Milliarden-Euro umfassende »Sondervermögen« für die Bundeswehr werde bis Ende des Jahres vertraglich komplett gebunden sein. Mit der Anschaffung neuer Waffensysteme würden außerdem die Betriebskosten steigen.

Das Verteidigungsministerium hatte zuletzt offenbar mehrere Großaufträge ausgelöst, deren Kosten erst ab dem Jahr 2028 – und somit nach der nächsten Bundestagswahl – fällig werden sollen, wie die Nachrichtenagentur AFP am Donnerstag mit Verweis auf Bild-Recherchen berichtete. Um Aufträge wie den für Flugabwehrwaffen vom Typ »Patriot« zu ermöglichen, soll teils auf das Instrument der »Verpflichtungsermächtigung« zurückgegriffen werden, wie der Bayerische Rundfunk (BR) am Mittwoch berichtete. Dabei spricht der Bund gegenüber der Waffenindustrie eine Zahlungsgarantie aus. Das sei »im Moment die einzige Lösung, um die Beschaffung nicht zum Erliegen zu bringen«, behauptete der SPD-Haushälter Andreas Schwarz gegenüber dem Sender. Der Chef der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Alexander Dobrindt, sprach laut BR von einem »normalen technischen Vorgang«, da die Beschaffungen über mehrere Jahre angelegt seien.

Scharfe Kritik am Haushaltsentwurf insgesamt übte Armutsforscher Christoph Butterwegge. Die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik gleiche »der Echternacher Springprozession: drei Schritte vorwärts, zwei Schritte zurück«, erklärte Butterwegge am Montag gegenüber junge Welt. So werde die verlängerte »Karenzzeit«, in der das Vermögen und die Größe der Wohnung vom Jobcenter nicht auf den Prüfstand gestellt würden, wieder verkürzt. Die Sanktionen, die neu eingeführt werden sollten, etwa bei illegaler »Schwarzarbeit« oder wenn man nicht bereit ist, lange Fahrtzeiten in Kauf zu nehmen, seien »zum Teil Regelungen, die schärfer sind, als sie das bei Hartz IV waren«.

Gespart werde »auf dem Rücken von Armen, während die Reichen – eine Klientel der FDP – erneut beschenkt werden«, erklärte der Armutsforscher. Zwar steige das Kindergeld, aber stärker erhöht werde der steuerliche Kinderfreibetrag. Im Ergebnis bekomme etwa ein Topmanager rund 127 Euro mehr für sein Kind als eine Verkäuferin. Während die sogenannte Schuldenbremse in Kraft bleibe, werde die Kindergrundsicherung »auf die lange Bank geschoben«. Die verteilungspolitische Schieflage werde mit der »Wachstumsinitiative« für die deutsche Wirtschaft weiter verschärft.

Derweil drehte SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert Beruhigungspillen für die erhitzten Gemüter. An dem Haushaltsentwurf des Kabinetts werde der Bundestag im Herbst »noch kleinere und größere Änderungen vornehmen«, das sei »ganz normal«, sagte er der Rheinischen Post vom Montag. Kühnert hoffe bis dahin auf Ruhe, der Berliner Politikbetrieb solle »sich und den Menschen im Land eine kleine Sommerpause gönnen«.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Andreas E. aus Schönefeld (9. Juli 2024 um 07:49 Uhr)
    Da weint der Bundeskriegsminister, weil er nicht genug Geld zum Fenster rauswerfen kann. Und mit Orbans und Modis Initiativen in Moskau, Kiew und Beijing droht der angebliche Grund für diese Kriegsertüchtigung in Gefahr zu geraten. Wie soll man diesen finanz- und sicherheitspolitischen Wahnsinn den Menschen denn noch erklären, wenn es auf einmal Waffenstillstand und Friedensverhandlungen gäbe? Dann muss wahrscheinlich ganz schnell China herhalten oder es wird eine neue Front gegen Russland aufgemacht, zum Beispiel in Georgien oder in Moldau. Irgendwie müssen die Milliarden in Form von Granaten und anderer Munition verballert werden, müssen die Panzer ins Feld und die Kampfjets an den Himmel, damit die Rendite der Aktionäre erhalten bleibt. Eigentlich sind Cum-Ex oder Wirecard gegen diese Form der Steuerverschwendung kleine Skandälchen. Aber für wichtige soziale Leistungen ist laut dem Vermögensverwalter der Reichen, Christian Lindner, kein Geld da. Kindergrundsicherung adé, 49-Euro-Ticket wird teurer, die Bahn fährt, wenn überhaupt, auf der letzten Rille, die Post darf trotz Milliardengewinnen ihren Service weiter ausdünnen und dafür aber teurer machen. In den Zeiten, wo Millionen Menschen die Fußball-EM verfolgen und in Kürze die Olympischen Spiele, werden wieder Fakten geschaffen, weil die meisten Menschen abgelenkt sind. Das sind dann die Veränderungen, die Herr Kühnert nach der Sommerpause den Menschen präsentieren will. Dann sind die Entscheidungen gefallen und es hat wieder mal kaum einer mitbekommen. Außer die junge Welt.

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