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Aus: Ausgabe vom 09.07.2024, Seite 5 / Inland
Maritime Wirtschaft

Aktiendeal im Hafen

Hamburg: Schweizer Reederei MSC soll bei überwiegend staatseigenem Logistikkonzern HHLA einsteigen. SPD-Grünen-Senat lässt Kritik kalt
Von Burkhard Ilschner
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Ein Genfer Unternehmen auf Expansionskurs – ohne Schrammen geht das nicht (Gdańsk, 14.4.2019)

Von einem »wesentlichen Beitrag zur Versorgungssicherheit« ist die Rede, von jährlicher Wertschöpfung im zweistelligen Milliardenbereich, von der Sicherung etwa 600.000 hafenbezogener Arbeitsplätze – »davon rund elf Prozent in Hamburg«: Der Entwurf des Vertrages zwischen dem Hamburger Senat und der Genfer Reederei Mediterranean Shipping Company (MSC) lobt Hamburgs Hafen über alles. Dennoch soll knapp die Hälfte des momentan noch überwiegend staatseigenen Logistikkonzerns HHLA an die Schweizer übereignet werden: Am Mittwoch soll die Bürgerschaft diesen seit fast zehn Monaten heiß diskutierten und heftigst kritisierten Deal offiziell beschließen – obwohl der Widerstand dagegen nahezu täglich wächst.

Gerne hätte Hamburgs mit Zweidrittelmehrheit regierende »rot-grüne« Koalition das Geschäft in kurzer Zeit protest- und geräuschlos über die Bühne gebracht. Aber daraus wurde nichts: Hafenarbeiter und Gewerkschaft Verdi mobilisierten wiederholt zu Kundgebungen, auch mit spontanem Streik. Oppositionsparteien, mehrere Einzelaktionäre, Hafenexperten, Umweltverbände, Wirtschaftsforscher und selbst Teile der heimischen Hafenwirtschaft warnen vor diesem Schritt. Von staatlichem Verzicht auf die Kontrolle über die HHLA ist die Rede, angesichts der starken lokalen Position dieses Konzerns – er managte 2023 gut 75 Prozent des Hamburger Containerumschlags – sprechen manche auch vom bevorstehenden »Ausverkauf des Hafens«.

Bis heute hält der Senat wesentliche Teile der Vereinbarungen mit MSC geheim, selbst Abgeordnete beklagen unzureichende Information. Niemand weiß, was der Genfer Reederei außer 49,9 Prozent der HHLA-Aktien alles versprochen worden ist – oder welche verbindlichen Zusagen diese gegeben hat. Die wenigen bekanntgewordenen Details – nur fünf Jahre Tariftreue, lange Vertragslaufzeit, ungünstige Kündigungsoptionen, Mitbestimmungsrisiken etc. – lösen eher Empörung aus. Denn der Ruf des Schweizer Familienkonzerns, der nie Geschäftszahlen veröffentlicht und dessen Chef Gianluigi Aponte sich medial meist verschlossen zeigt, ist mehr als zweifelhaft.

Firmenintern wird Aponte »Comandante« genannt, das Manager Magazin bezeichnete den ehemaligen Seemann auch mal als »Käpt’n Gnadenlos«. Ihm und seiner Ehefrau Rafaela wurde jüngst in der sogenannten Milliardärsliste des US-Magazins Forbes ein Privatvermögen von je 28 Milliarden US-Dollar zugeschrieben. Neben dem Containersektor – hier bestreitet MSC aktuell 20 Prozent des globalen Geschäfts mit deutlichem Aufwärtstrend – ist die Genfer Familie nicht nur im Kreuzfahrtgeschäft aktiv, sondern kauft auch transnationale Bahnnetze etwa in Westafrika oder weltweit Terminals, betreibt eigene Hafenservice- oder Schleppunternehmen. Auch mit Drogenschmuggel gab es in der Vergangenheit schon Ärger; vor fünf Jahren war ein MSC-Schiff in den USA in einen Kokainskandal verwickelt, der die Firma rund 700 Millionen US-Dollar Bußgeld kostete.

Weder all die Berichte über globale MSC-Aktivitäten noch lokaler gewerkschaftlicher und zivilgesellschaftlicher Widerstand – »Macht den MSC-Deal platt!« – konnten Hamburgs SPD-Grünen-Senat bislang davon abbringen, den umstrittenen Plan weiterzuverfolgen. Ausschussanhörungen brachten starke Kritik, dennoch stimmte die jeweilige Ausschussmehrheit dem Deal zu. Selbst Parteiaustritte und Warnungen einzelner SPD-Mitglieder änderten daran nichts. Zaghafte Vorbehalte der Grünen-Basis – »einen Ausverkauf wird es mit uns nicht geben« – konterkarierte Fraktionschef Dominik Lorenzen unter anderem mit den Worten, die HHLA habe »meines Erachtens keinen hohen Stellenwert im Alltag« und sei »auch kein Bestandteil der Daseinsvorsorge«.

Mahnungen der CDU-Opposition, mit dem HHLA-Einstieg von MSC werde Staatsvermögen weiter unter Wert verkauft, ignoriert der Senat bislang ebenso wie den Ruf der Partei Die Linke nach einem Volksentscheid »wie bei Olympia«: Ihr Hafenexperte Norbert Hackbusch verlangt, »die ganze Stadt« über die Zukunft ihres Hafens entscheiden zu lassen. Technikhistoriker Jürgen Bönig sieht gar die Speicherstadt in Gefahr, weil die als Immobilie der HHLA gehöre und entgegen anderslautender Beteuerungen im Aktiendeal enthalten sei. Sowohl Die Linke als auch die FDP warnen eindringlich davor, MSC Einfluss auf den gesamten Hafen zu gewähren. Hinweise, der Deal könne gegen die Landesverfassung verstoßen, lassen den Senat kalt. Zwar prüft aktuell die EU-Kommission das Vorhaben unter Wettbewerbs- und Subventionsaspekten, jedoch hat dies bislang keine aufschiebende Wirkung.

Die jüngste Warnung kam am Wochenende von Verdi-Fachbereichsleiter André Kretschmar: »Nach unseren Informationen plant die Reederei Cosco den Abzug von Ladung von dem HHLA-Terminal Tollerort. (…) Wir vermuten, dass diese Entscheidung eine Reaktion auf den angestrebten Verkauf der HHLA-Aktien an den Konkurrenten MSC sein könnte.« Auch Hapag-Lloyd hat bereits Ladung vom HHLA-Terminal Altenwerder abgezogen. »Senat droht ›Schiffbruch‹«, titelte jüngst das Fachblatt THB. Mal sehen …

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