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Aus: Ausgabe vom 09.07.2024, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Industriepolitik

Schwedter Kraftstoff

»Deutsch-Polnischer Aktionsplan« zur Erdölraffinerie wenig aussagekräftig. Weitere Treuhandverwaltung der Anlage durch BRD-Regierung offen
Von Knut Mellenthin
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Viel Spekulation und noch mehr Fragen: Die Rohölverarbeitung in der Uckermark (Schwedt, 7.3.2022)

Um die Erdölverarbeitung im brandenburgischen Schwedt an der Oder, einst ein Vorzeigestück der DDR-Industrie, war es in den vergangenen Monaten auffallend still geworden. Unter diesen Umständen ließ es aufmerken, als die deutschen Medien am 2. Juli unter Überschriften wie »Deutschland und Polen wollen stabile Versorgung der Raffinerie in Schwedt sichern« Bewegung meldeten. Der Sachhintergrund der Freude ist allerdings minimal: Er besteht aus einem einzigen nichtssagenden Absatz in einem 40 Seiten langen »Deutsch-Polnischen Aktionsplan«, der anlässlich der Warschau-Visite von Kanzler Olaf Scholz (SPD) veröffentlicht wurde.

Zur Erinnerung: In Schwedt wurden früher pro Jahr elf bis zwölf Millionen Tonnen Erdöl zu Benzin, Diesel, Heizöl, Kerosin und Bitumen für den Straßenbau verarbeitet. Versorgt wurden von dort aus Nordostdeutschland, Berlin und Umgebung sowie Teile Westpolens. Der Rohstoff kam fast ausschließlich durch die 1964 in Betrieb genommene Druschba-Pipeline aus der Sowjetunion und nach deren Auflösung aus Russland. Als Reaktion auf Russlands Krieg gegen die Ukraine kündigte die Bundesregierung schon im Frühjahr 2022 an, ab Jahresanfang 2023 kein russisches Erdöl mehr zu importieren.

Die Bundesregierung entschied, ohne dass Gewissheit über die künftige Versorgung der Raffinerie in Schwedt bestand. Eine Behauptung des Wirtschaftsministeriums im Dezember 2022, es seien entsprechende verbindliche Vereinbarungen mit Polen abgeschlossen worden, erwies sich schnell als falsch. Die offiziell angegebene Kapazitätsauslastung sank zeitweise unter 60 Prozent. Gegenwärtig liegt sie angeblich bei 80 Prozent. Das Erdöl kommt über den Hafen Rostock durch eine Pipeline, aus Kasachstan durch die alte Druschba-Leitung und über den polnischen Hafen Gdansk. Für diesen Teil der Belieferung der Raffinerie gibt es offenbar noch immer keine vertragliche Regelung.

In diesem Kontext muss der auf Schwedt bezogene Absatz aus dem »Deutsch-Polnischen Aktionsplan« gelesen und interpretiert werden: »Wir werden die deutsch-polnische Zusammenarbeit von Unternehmen in den Bereichen Rohölinfrastruktur und Stabilität der Kraftstoffversorgung von Deutschland nach Polen fördern. Wir werden uns im Hinblick auf die Sicherstellung der Öllieferungen an die Raffinerie PCK in Schwedt, den Bedarf und Status von Öllieferungen an die Raffinerie PCK in Schwedt über das polnische Unternehmen Naftoport und dessen Eigentümerstatus abstimmen. Im Falle einer Störung der Transitflüsse durch Russland werden Polen und Deutschland in enger Abstimmung handeln, um eine stabile Versorgung der Raffinerie PCK in Schwedt mit Öl und eine sichere Versorgung der Region aufrechtzuerhalten.«

Von zentraler Bedeutung ist die Aussage, dass die beiden Staaten sich »abstimmen« wollen, wobei der präzise Inhalt dieses Wortes – und damit der Umfang des polnischen Mitspracherechts über die Zukunft von Schwedt – unerklärt bleibt. Verbunden wird auf jeden Fall die Lieferung von Erdöl über Danzig – für die das polnische Unternehmen Naftoport zuständig ist – mit der Änderung des »Eigentümerstatus« der Raffinerie in Schwedt. Mehrheitseigentümer ist dort immer noch der halbstaatliche russische Konzern Rosneft, auch wenn dessen deutsche Tochtergesellschaft seit Dezember 2022 unter Treuhandverwaltung der deutschen Regierung steht.

Die polnische Seite setzt die Abhängigkeit der Schwedter Raffinerie vom Nachschub aus Gdansk ein, um eine Enteignung von Rosneft zu erzwingen. Im März hat die Bundesregierung darauf verzichtet, nachdem Rosneft angekündigt hatte, einen Käufer für seine Mehrheitsbeteiligung zu suchen. Passiert ist seither aber offenbar nichts. Im September muss erneut über die Verlängerung der Treuhandverwaltung entschieden werden. Die Formulierungen im »Aktionsplan« sagen zur gesamten Problematik nichts aus und lassen alle Fragen offen.

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Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

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