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Umsonst und draußen

Von Gabriele Damtew
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Wo guckst du? Bar in der Naunynstraße in Berlin-Kreuzberg

Es war merkwürdig still in Kreuzberg nach dem Spiel der Niederlande gegen die Türkei. Obwohl Ort und Zeit von mir hier ziemlich unpräzise benannt sind, ich war gesundheitlich angeschlagen, wenn auch nicht mit Maske wie Mbappé.

Von der ersten und bis zur zwanzigsten Minute der zweiten Halbzeit weilte ich noch in 36 (für Nicht- und Neuberliner: die alte Postleitzahl des östlichen Kiezes), wo im Görlitzer Park ein Reggae-Jam für den Reggae an sich und gegen die von unserem ungeliebten Regierenden Bürgermeister geplante Schnapsidee stattfand, besagte Grün- und Entspannungsfläche zu umzäunen, um sie angeblich sicherer zu machen – die Idee dazu natürlich voll geklaut. Von der Mucke ließ ich mich mal überraschen (positiv), bei letzterem bezog ich klare Front dagegen. Zugegeben, beim Toilettengang schaute ich verstohlen auf das Geschehen im Berliner Olympiastadion, das auf einem mittelgroßen Tech-Rechteck in die Berliner Mitte der Herzen übertragen wurde. Falsche Scham, schließlich hatte der alte Bob u. a. ja auch dem Fußballgott gehuldigt. 1:0 für die Türkei, what? Hatte gar keine Böller gehört, muss der harte Dancehall-Rhythm gewesen sein.

Anyway, nachdem Punkt 22 Uhr Schluss mit lustig war – ja, früher war das »umsonst und draußen« tatsächlich endlos –, trank ich ein schnelles Bierchen mit einer Freundin und einem der Musiker, bei immer noch knapper Führung der Türken. Auf den paar Schritten zur Untergrundbahn Görlitzer Bahnhof, eigentlich eine Hochbahn, dann spitze Schreie, entsetztes Stöhnen, in den Nacken geschmissene Köpfe. Die Kiezjugend vor, in und (kostenlos) neben den dicht an dicht gestanzten Kneipen, Shisha-Bars und Cafés wollte ihren Augen nicht trauen. Ein Ausgleich, der den Flaschensammlern und Leuten ohne Dach überm Kopf natürlich so was von wumpe war.

Vor dem Umsteigen Hallesches Tor dann das große Raunen, hallo liebe App, warum haben alle anderen Empfang? Die meisten entpuppen sich als diverse EU-Bürger mit eigenem Hotspot im Internet, denen dennoch fußballtechnisch kaum zu trauen ist; sämtliche Holländer im dicken B sind sowieso im Stadion. Genau, es war nur »Outernet«, kein Tor für die Türkei.

Endlich war ich am Mehringdamm, nur noch 650 Meter bis ins verdiente Bett. Ein langer Weg, wenn »Holland« plötzlich führt, Leute dich fragen, warum, und dich nicht mal kennen, hier im sogenannten Kreuzberg 61. Ich muss mich setzen und noch ein Bier trinken, zuerst tu ich nur so, dann wirklich. Ich besitze seit langem keinen Fernseher mehr und müsste für RTL im Stream bezahlen. So geht es vor allem jungen Leuten. Nicht nur deshalb sind sie hier. Die letzten Minuten sind so spannend, kaum auszuhalten, die Türkei rennt an, Fußballenergie vom feinsten, auch wenn man kein Fan ist. Dann ist es vorbei. Traurige oder leere Gesichter, schnell leeren sich die Tische vorm Späti. Stille im Kiez.

Und ja, Spätis haben sich zu einem interkulturellen und günstigen Treffpunkt entwickelt, nicht nur zum Fußballgucken, noch etwas, was der Bürgermeister eingrenzen will.

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