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Aus: Ausgabe vom 10.07.2024, Seite 2 / Inland
Rechte Gewalt

»Die Polizei verharmlost den gezielten Angriff«

Berlin: Brutaler Überfall mutmaßlicher Neonazibande auf mehrere Menschen, die zu antifaschistischer Demo wollten. Ein Gespräch mit Emil Martens
Interview: Gitta Düperthal
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Den Beamten vor Ort wird vorgeworfen, viel zu spät aktiv geworden zu sein (Symbolbild, Berlin, 28.7.2023)

Mehr als ein Dutzend vermummter Personen soll am Sonnabend am Berliner S-Bahnhof Ostkreuz Menschen brutal angegriffen haben, die auf dem Weg zu einer von Ihnen organisierten antifaschistischen Demonstration gewesen sind. Was können Sie zum Überfall sagen?

Anwesende aus unserem Bündnis berichteten, dass sich am Ostkreuz in Berlin-Friedrichshain mehrere Dutzend Personen sammelten, um gemeinsam zur Demo »Nach den Rechten schauen« anzureisen. Diese skandalisierte rechte Strukturen und Gewalt in ganz Berlin, insbesondere aber in Marzahn-Hellersdorf durch Organisationen wie die faschistische Kleinstpartei »Der III. Weg«. Um 16.10 Uhr kamen etwa 20 Personen aus Richtung der Simplonstraße auf unseren Treffpunkt zu. Sie marschierten in Zweierreihen, waren vermummt und bewaffnet mit Holzknüppeln, Schlagstöcken und Pfefferspray. Sie prügelten auf dort wartende Personen ein, möglicherweise auch auf unbeteiligte Passantinnen und Passanten. Sie schlugen gezielt gegen Köpfe und ließen auch von bereits am Boden liegenden Personen nicht ab. Einer der Täter trat einem Betroffenen mit dem Stiefel ins Gesicht.

Wie geht es den Opfern des Angriffs?

Der Rettungsdienst musste teils schlimme Verletzungen behandeln. Zum Schutz der Betroffenen möchten wir nicht mehr dazu sagen.

Laut Ihrer Mitteilung war die Polizei vor Ort, hat jedoch nicht reagiert. Diese wiederum stellt das anders dar: Beamte der Bundespolizei seien auf »die Auseinandersetzung zwischen zwei Gruppen« aufmerksam geworden und eingeschritten. Eine Polizeikraft sei ins Gesicht geschlagen worden. Wie erklären Sie diese Diskrepanz?

Wir haben mit Augenzeuginnen und -zeugen gesprochen und die Erfahrungsberichte ausgewertet. Das angebliche Einschreiten der Polizeikräfte vor Ort konnte durch sie nicht bestätigt werden. Weder während des Angriffes noch danach wurden sie dabei beobachtet, wie sie in die Situation eingegriffen oder Pfefferspray angewendet hätten. Verstärkung rückte erst an, als die Täter bereits lange geflüchtet waren. Wenn die Polizei von »Auseinandersetzung« spricht, verharmlost sie die Tatsache, dass hier linke Menschen, die zu einer antifaschistischen Demo wollten, gezielt angegriffen wurden. Der Tathergang war der eines koordiniertern Überfalls. Wir müssen – wie so oft – feststellen, dass wir uns im Kampf gegen Nazis nicht auf den Staat und die Polizei verlassen können; uns also selber schützen müssen.

Was weiß man über die »Nationalrevolutionäre Jugend«, kurz NRJ, deren Mitglieder von Zeugen als Angreifer identifiziert wurden?

»Der III. Weg« hat sich als Partei gegründet, um einem möglichen Verbotsverfahren zu entgehen; auch ihre Jugendorganisation NRJ ist durch das Parteienprivileg geschützt. Es gibt kaum Bestrebungen von politischer Seite, deren gewaltverherrlichendes und teils auch gewalttätiges Treiben zu unterbinden. Betroffene werden mit der rechten Gewalt allein gelassen und nicht ernst genommen. Dazu gibt es in der Bundesrepublik eine lange Historie. Das setzt sich hier fort.

Sie schreiben der NJR auch Überfälle auf linke Berliner Jugendzentren zu, wie »La ­Casa«, »JUP« oder »Bunte Kuh«, sowie auf Personen, die als politische Gegnerinnen und Gegner identifiziert wurden. Woher wissen Sie das?

Bei all diesen Überfällen wurden Kader der Jugendorganisation des »III. Wegs« erkannt.

Sie äußern sich außerdem besorgt über die bundesweite Zunahme der Zahl von Angriffen, mit denen Neonazis Menschen verletzen und einschüchtern. Was muss politisch daraus folgen?

Der beste Schutz gegen Raumnahme und Gewalt von Neonazis ist eine starke Zivilgesellschaft. Die Menschen müssen aufstehen, sich solidarisch zeigen, um zu verdeutlichen, dass wir solche Gewaltausbrüche in unserer Gesellschaft nicht dulden. Wo die Strafverfolgungsbehörden stehen, hat sich am Sonnabend wieder gezeigt. Aktiv wurden sie erst beim Start der antifaschistischen Demo, wo die Polizei Menschen festnahm, durchsuchte und kriminalisierte. Sie ist kein Partner im Kampf gegen rechts, kein Freund und Helfer.

Emil Martens (Name geändert) ist Sprecher des Organisationsbündnisses der »Nach den Rechten schauen«-Demonstration

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