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Aus: Ausgabe vom 10.07.2024, Seite 5 / Inland
Hartz IV

Bitte nach unten treten

Hubertus Heil erklärte am Dienstag auf einer Sommerreise die Rückkehr von Hartz IV
Von Alexander Reich
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»Die allermeisten brauchen gar keine Sanktionen«: Hubertus Heil auf seiner Sommerreise

Vor malerischer Kulisse gab Bundesarbeitsminister Hubertus Heil am Dienstag dem Sender NTV ein Interview zur groben Einigung auf den Haushalt des kommenden Jahres. »Es gibt keine Kürzungen bei sozialen Leistungen«, bramarbasierte der Sozialdemokrat im baden-württembergischen Sigmaringen. Im Hintergrund des Fernsehbildes ragte ein riesiges Schloss in den Himmel. Und weil es in diesem Donautal nur gepflegtes Grün und pralle Sonne gibt, aber keine Menschen, schien nichts und niemand die Selbstzufriedenheit des Regierungspolitikers stören zu können. Allerdings war da ja noch die Interviewerin des Senders. Sie erinnerte Heil daran, dass er im Zuge der Einigungen auf den Haushalt gerade den kompletten Hartz-IV-Horror wiedereingeführt hatte. »Meldepflichten«, »Schonvermögen«, »Sanktionen«, »Arbeitswege« waren ihre Stichworte: »Warum kommt jetzt Hartz IV zurück, das Sie doch eigentlich gerade abgelöst hatten durch das Bürgergeld?«

Heil steckte die linke Hand in die Tasche seines Anzugs, hob die rechte mit der Handfläche nach oben Richtung Kamera und bot seine Erklärung dar: »Wir steuern nach, was die Treffsicherheit betrifft«, meinte er. »Richtig ist, dass wir nachschärfen, weil die Praktiker aus den Jobcentern uns Hinweise gegeben haben« und so weiter. Immerhin räumte er dann noch ein: »Die allermeisten brauchen gar keine Sanktionen.« Was ja hieß: Einige brauchen sie durchaus.

Künftig sollen bei Verstößen gegen Meldepflichten oder der Verweigerung einer zumutbaren Arbeit pauschal 30 Prozent des künstlich heruntergerechneten Existenzminimums gestrichen werden, und zwar jeweils gleich für drei Monate. Gleichzeitig sollen die Meldepflichten verschärft und die Grenzen der Zumutbarkeit ausgeweitet werden. Bei einer Arbeitszeit von »bis zu sechs Stunden« zum Beispiel sollen zweieinhalb Stunden Fahrzeit als angemessen gelten. Wer also für einen bescheuerten Ein-Euro-Job keine lange Reise mit unzuverlässigen Verkehrsmitteln auf sich nehmen will, muss mit der Hungerstrafe rechnen.

Außerdem soll das Schonvermögen schon nach einem halben Jahr aufgebraucht werden, nicht erst nach einem ganzen, wie zur Zeit noch. »Um die Akzeptanz der Leistungen zu erhalten (…), ist es erforderlich, das Prinzip der Gegenleistung wieder zu stärken«, hatte das Finanzministerium zu dieser Einigung mitgeteilt. »In klarstem Hartz-Deutsch«, wie etwa der Spiegel jubelte, völlig begeistert vom »alten Schröder-Sound«.

Zwar wurden die Daumenschrauben im Zuge der Haushaltsplanung angezogen. Es geht dabei aber nicht um die Staatsfinanzen. Der zu erwartende Spareffekt liegt bei null, wenn der Bund für sein System der Drangsalierung nicht noch draufzahlt. Es geht auch nicht darum, angebliche Faulpelze in Arbeit zu bringen, wie Heil gern behauptet. Die grüne Arbeits- und Sozialpolitikerin Beate Müller-Gemmeke konstatierte völlig zu Recht: »Das sind alles Maßnahmen, die uns bei der Integration in Arbeit kein bisschen weiterhelfen.«

Der tiefere Sinn der nun noch mal geölten Hartz-Maschinerie liegt in der Umlenkung des Zorns auf Millionenerben oder superreiche Finanzberater. Bitte nach unten treten, ist die Botschaft. Die Bundesregierung hält an zum Schwelgen in offener Verachtung der Armen und Hilfebedürftigen, denen es gar nicht beschissen genug gehen kann.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (10. Juli 2024 um 07:59 Uhr)
    Warum der Titel »Bitte nach unten treten« für einen Artikel, der den Befehl, den Zwang, nach unten zu treten, beschreibt? Nach oben treten ist übrigens auch nicht leicht, dazu muss man auf dem Rücken liegen …