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Aus: Ausgabe vom 10.07.2024, Seite 11 / Feuilleton
Festivalsommer

Da liegt was in der Luft

Räuchermännchen und Wolkenbrüche beim Wohlfühlfestival im thüringischen Rudolstadt
Von Thomas Behlert, Rudolstadt
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Auch die Sonne ließ sich wieder blicken: Straßenmusik beim 32. Rudolstadt-Festival (5.7.2024)

Nun ist das 32. Rudolstadt-Festival Geschichte. Mit seinen internationalen Gästen brachte es erneut alle Farben des Regenbogens in das derzeit politisch braun respektive blau gefärbte Thüringen. Die Veranstalter orientierten sich beim Schwerpunktthema an Udo Lindenbergs Motto »Bunte Republik Deutschland«. Die große Roots-, Folk-, Weltmusiksause eröffnete am Donnerstag (4. Juli) der Brite Julian Marley, ein Sohn von Bob Marley, der natürlich in Jamaika lebt und nun die frohe Botschaft der dortigen Rastafarireligion nach Rudolstadt brachte. So hing über den 16.000 Zuschauern im Heinrich-Heine-Park eine Wolke göttlichen Dunstes, der glücklicherweise seit kurzem legal ist. Die Musik groovte, was das Zeug hielt, beseelt swingte das Publikum in die kommenden drei Tage. Neben den Songs des aktuellen Albums »­Colours of Royal«, für das Julian Marley einen Grammy erhielt, durften auch Papas Klassiker nicht fehlen. »Jamming« ging cool und vergnügt über die Bühne, und zum Ende der 90minütigen Show sangen alle: »One love, one heart. Let’s get together and feel all right.«

Auch in der letzten Stunde des Tages ging es auf der Konzertbühne weiter mit Reggae. Der 1942 im jamaikanischen Kingston geborene Stranger Cole hatte seine Karriere mit einer Mischung aus Ska und Rocksteady begonnen. Sein Song »Bangarang« von 1968 gilt als erster Reggae-Track überhaupt und er seither als Urvater des Stils, den die Marley-Family weltberühmt machte. In Rudolstadt trat Cole mit der bayrischen Gruppe The Steadytones auf, die mit Bläsern, Breaks und Funkgitarre dem jamaikanischen Sound eine geniale bayrische Note gaben.

95.000 Besucher fluteten an den folgenden drei Tagen den Heine-Park und vor allem die kleineren Auftrittsmöglichkeiten in der Innenstadt, die Tanzsäle, Kirchen und Kneipen (Bier: 2,50 Euro!). 120 Bands und Künstler, die aus 30 Ländern in die Thüringer Stadt kamen, spielten u. a. auf dem Neumarkt, am Güntherbrunnen, im Handwerkerhof, auf dem Marktplatz und am Saalestrand. So konnten die »Folkies« das Thüringer Folkloretanzensemble sehen, das historische Tänze mit viel Power wiederbelebte. Leider fiel ein Auftritt des Ensembles regelrecht ins Wasser, denn am Sonnabend musste das Folkfest wegen einer Unwetterwarnung unterbrochen werden. Mit Verspätung ging es schließlich weiter, die Straßen füllten sich wieder, Bands und Musiker begannen zu spielen, und auch die Sonne ließ sich wieder blicken. Die »Drückerkolonne« aus Berlin bot eine beschwingte Mischung aus Country, Sirtaki, Chansons und Gypsy-Swing, während der Ire Kenan Flannery typische Dubliner-Musik mit Klängen verschmolz, die an Tom Petty, John Prine oder Townes Van Zandt erinnerten. Weiter ging es mit dem Quartett Kabra Adabra, das portugiesischen Gesang mit Ska und osteuropäischen Melodien verband. Schließlich traten die verrückt-genialen Punkmusiker vom Ukulele Death Squad aus Australien mit ihren kleinen, aber energisch bearbeiteten Zupfgeräten auch den letzten Träumern in den Hintern und ließen die Fahne der Anarchie wehen.

So könnte ich immer weiter lobpreisen, etwa Zitherklänge, französischen Balkanpop, schwyzerdütsche Volksmusik oder die herrlichen Balafonklänge von Doubassin Sanogo aus Burkina Faso. Berichtet sei noch, dass der künstlerische Leiter des Festivals, Bernhard Hanneken, das wortwörtlich größte zukünftige Problem des Festivals in den immer raumgreifenderen Caravan-Fahrzeugen sieht. Nächstes Mal (3. bis 6. Juli 2025) heißt der Länderschwerpunkt übrigens Mali.

Den deutschen Weltmusikpreis »Ruth« erhielt in diesem Jahr das Projekt »Silent Tears: The Last Yiddish Tango«, das auf Texten von Holocaustüberlebenden basiert – ein beeindruckendes Zeugnis jüdischer Kultur und deutscher Schuld, ein Zeichen der Mahnung wie der Hoffnung.

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Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Thomas M. aus Rudolstadt (10. Juli 2024 um 16:30 Uhr)
    Mein Dank als Augen-und Ohrenzeuge, als Rudolstädter, geht an ausdrücklich alle Tanzfestgäste in 2024, die wie jedes Jahr mit unbändiger Begeisterung ihr Folk-Festival in Rudolstadt, in Thüringen, erleben wollten. Und sie konnten es erleben, egal, wie das Wetter war, ob Regen oder Sonnenglut, ob Tag oder Nacht. Den hunderten helfenden Händen aus allen Teilen des Landkreises sei gedankt, dazu die Händler, die Künstler sowieso und die Gewerbetreibenden aus nah und fern. Alle taten ihr Bestes, damit der Wohlfühlfaktor, die Freude am Beisammensein in kulturellem Flair von internationaler Musik voll zur Geltung kam. Was will die bunte Gästeschar von jung und alt mehr? Überquellende Musik in und an allen Ecken unserer und tanz-und musikverliebten kleinen Stadt, die immer sauber gehalten wurde und wo man immer rücksichtsvoll zueinander war. Wen stört da in diesen 4 tollen Tagen und 3 tollen Nächten die weitverbreitete Protesthaltung der hier immer Lebenden zur aktuellen Politik der deutschen Regierungen, von Krieg und Abzocke, von Heuchelei und Hetze. Rudolstadt zeigte und zeigt, auch aus Protest, wie es geht und wie die Völker es wollen – Frieden und friedliches Zusammenleben aller Staaten und Völker dieser einen Erde. Absonderliche Wortspiele des Autors Th.B. von »braun und blau« belegen das krasse Unverständnis, also Intoleranz, vom realen Leben und den Befindlichkeiten der Betroffenen und hier Lebenden weit entfernt. Rudolstadt zeigte reale Toleranz.

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