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Aus: Ausgabe vom 10.07.2024, Seite 16 / Sport
Fußball-EM

EM-Depesche (22)

Endspiel
Von Jürgen Roth
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»Ich dachte die ganze Zeit: Da liegt er auf dem Sofa, löst ein Kreuzworträtsel und grinst«

Pfarrer S. war da, ein freundlicher, zurückhaltender Mann. Ich habe zum »Verein« (George Clooney) keine Verbindung. Und natürlich bin ich in die Kirche gegangen, weil mich mein Vater darum gebeten hatte, dieser große kleine Mann, der mich vom Foto, das neben dem Esstisch steht, anlächelt, und da stand er noch in Saft und Kraft, dieser Lausbube, der mir, zusammen mit meiner Mutter, ermöglicht hat, ein Quatschkopf zu werden.

Pfarrer S. hat uns, meiner Mutter und meinen Geschwistern und Schwägern und Schwägerinnen, Fragen zum Vadderla gestellt. Wir haben viel gelacht. Wir haben uns Geschichten erzählt. Ich dachte die ganze Zeit: Da liegt er auf dem Sofa, löst ein Kreuzworträtsel und grinst. Herrje, was für eine Scheiße. Ich habe mich nach der Erdbestattung und nach dem Gottesdienst beim Pfarrer bedankt. Er habe das würdevoll gemacht. Warum erzähle ich das?

Mein Bruder Thomas, der sozialste Kerl der Welt, ging, als der Pfarrer da war, zum Regal und nahm einen Wälzer heraus, von Alfred Dürr: »Johann Sebastian Bach – Die Kantaten«. »Das war neben der Bibel sein Lieblingsbuch«, sagte Thomas, als er Pfarrer S. den Ziegel reichte.

Sonntagmorgen, 8.05 Uhr, BR-Klassik. Der heilige Termin für meine Eltern. Mein Vater konnte Bach auswendig. Wir haben darüber diskutiert, ob Bach oder Beethoven der Größte gewesen sei. Ich war für Beethoven, und als es mein Vater noch die Treppen hinaufschaffte, kam er in mein Arbeitszimmer und schenkte mir einen Radiergummi in der Form einer Beethoven-Büste. Dieser Radiergummi wird nie benutzt werden.

Am vergangenen Sonnabend haben wir während der Kerwa auf der Straße getanzt, die schöne Frau und ich (und noch ’ne schöne Frau, eine Frau aus ausgerechnet Augsburg). Irgendwo lief Fußball.

Am Sonntag schwankte ich hinunter ins Erdgeschoss. Meine Mutter hörte die Bach-Kantate. Der Dürr war aufgeschlagen. Sie sagte: »Lies doch mal. Hat sich nichts geändert.« Ich las: »Vergnügte Ruh! beliebte Seelenlust! / Dich kann man nicht bei Höllensünden, / Wohl aber Himmelseintracht finden.«

BWV 88, Seite 170.

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