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Aus: Ausgabe vom 11.07.2024, Seite 7 / Ausland
Ecevit Piroğlu

Ecevit Piroğlu endlich frei

Serbien: Türkischer Sozialist nach Besuch internationaler Delegation aus Haft entlassen. Weiterreise dennoch verwehrt
Von Dieter Reinisch, Belgrad
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Internationaler Druck wirkt: Pressekonferenz der Unterstützer von Ecevit Piroğlu (Belgrad, 9.7.2024)

Groß war die Freude, als Ecevit Piroğlu mit seinem Anwalt am Dienstag nachmittag den brütend heißen Gastgarten eines Kaffeehauses in der serbischen Hauptstadt Belgrad betrat. Unterstützer aus Deutschland, Österreich und der Schweiz waren gekommen, um Piroğlu willkommen zu heißen.

Drei Jahre lang mit Unterbrechung saß der sozialistische Aktivist aus der Türkei, der in seiner Heimat wegen »Terrorismusunterstützung« gesucht wird, in serbischer Haft. Die Türkei will Piroğlu ausgeliefert haben, da er an den Gezi-Park-Protesten teilgenommen und in Rojava gegen dschihadistische Gruppen wie Daesch/IS als Kommandant gekämpft hatte. Als er 2021 von Dubai nach Belgrad flog, wurde er bei der Einreise am Flughafen aufgrund eines Interpol-Haftbefehls festgenommen. »Ich wusste nichts von dem Interpol-Haftbefehl. Zuvor bin ich in den Irak und nach Dubai geflogen, und das war kein Problem gewesen«, erzählte der Aktivist im jW-Gespräch direkt nach seiner neuerlichen Entlassung.

Anfang des Jahres war er abermals festgenommen worden und verbrachte seither 180 Tage in Haft. In dieser Zeit trat er für 136 Tage in den Hungerstreik: keine Nahrungsaufnahme, nur Getränke, Salz und Vitamine. Am 26. Juni beendete er seinen Protest, nachdem er 30 Kilogramm abgenommen hatte. Nur noch 43 Kilogramm wog er – nun hat er wieder 48 Kilogramm auf den Rippen, sagt er. Es war bereits sein zweiter Hungerstreik in serbischer Gefangenschaft.

Die Zeit sei schwer gewesen, da er in einer Zelle mit anderen, nicht politischen Gefangenen gewesen ist: »Ich habe mich oft nicht wohlgefühlt«, sagt Piroğlu, »es war auch ein Sicherheitsproblem, da es viele türkische und kurdische Gefangene gab.« Immer wieder wurde Piroğlu in Einzelhaft gesteckt: »Sie nannten es Sicherheitshaft, um mich zu schützen, aber in Wahrheit war es nichts anderes als Isolationshaft.« Diese habe ihm sehr zugesetzt: »Ich wollte die Isolation bekämpfen und gleichzeitig von den kriminellen Gefangenen getrennt werden, daher war ich in den vergangenen beiden Jahren insgesamt 272 Tage im Hungerstreik.«

Zweimal hatten Gerichte entschieden, dass Piroğlu freigelassen werden und nicht in die Türkei ausgeliefert werden sollte. Doch »es gab eine unsichtbare Kraft, die das verhinderte«. Die Gerichtsentscheide hätten ihm Kraft gegeben, die Hungerstreiks durchzuführen, betont Piroğlu. Und weiter: »Menschen sind in der Lage, derartige Dinge für ihre Freiheit zu überstehen«.

Aufgrund seines Gesundheitszustandes verbrachte Piroğlu die letzten Wochen in Unfreiheit im Krankenhaus von Pančevo. Dort stand er unter permanenter Polizeibewachung. Am Dienstag morgen wurde er dann vom Krankenhaus in ein Flüchtlingslager gebracht und dann in eine Polizeistation in Belgrad, von der ihn sein Anwalt abholen konnte. »Als ich aus der Haft entlassen wurde, war ich plötzlich nicht mehr müde. Es war alles anders«, beschrieb er das Gefühl beim Verlassen der Polizeistation. Es sei ein Gefühl des Sieges gewesen: »Seit über 100 Jahren kämpfen die unterdrückten Völker, wie die Kurden und andere. Daraus schöpfe ich meine Kraft.«

So rasch wie möglich will Piroğlu nun Serbien verlassen und in ein anderes Land ziehen. Doch Ausreiseversuche nach Brasilien, wofür er kein Visum benötigt und wo es kein Auslieferungsabkommen mit der Türkei gibt, wurden ihm am Dienstag abend und Mittwoch früh verwehrt. Auch von der Interpol-Fahndungsliste ist sein Name nicht gestrichen worden. Dennoch gibt er sich kämpferisch: »Mein politischer Kampf hat die vergangenen drei Jahre nur eine Pause gemacht.« Sobald wie möglich wolle er den wiederaufnehmen, erklärt er im jW-Gespräch. Doch zunächst müsse er seine Gesundheit wiedererlangen, und dann will er dort helfen, wo er kann. Dass eine Rückkehr nach Kurdistan nicht mehr möglich sein wird, weiß auch Piroğlu. Bevor er jedoch weiter planen kann, wünscht sich Piroğlu am Dienstag nach so vielen Tagen Haft und mehr als vier Monaten Hungerstreik erst einmal nichts mehr als eine Pizza zum Abendessen.

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