Noch mal davongekommen?
Von Barbara Peveling, ParisIn den letzten Wochen glich der Alltag in Frankreich einem politischen Alptraum. Marine Le Pens rechte Bewegung Rassemblement National (RN) bereitete lautstark ihre erwartete Machtübernahme nach den Parlamentsneuwahlen vor. Rassistische Übergriffe durch Rechtspopulisten, auch auf Schulkinder, waren an der Tagesordnung.
Die politische Bühne füllte sich immer weiter mit skurrilen Gestalten aus der rechten Ecke. Zu den diesen Kandidaten gehörte beispielsweise Thomas Lutz, der schon mal im Regionalrat der Bourgogne-Franche-Comté den Nazibegriff der »Untermenschen« gebraucht hat, oder auch Annie Bell aus dem Département Mayenne, die wegen einer bewaffneten Geiselnahme verurteilt worden war. Zu den neu aufgestellten kamen die bekannten Gesichter, wie die bisherige RN-Abgeordnete Caroline Parmentier, die in einem Zeitungsartikel Abtreibung mit einem Genozid verglich. Die Angst vor einem Erdrutschsieg der Rechten wuchs mit Veröffentlichung ihrer Wahlprogramme. Französische Bürger mit doppelter Staatsbürgerschaft sollten nach Meinung der Rechtspopulisten beispielsweise nicht mehr bestimmte Ämter bekleiden können. Ob Forderungen nach Massenabschiebungen oder die Angst vor Ausweisung – Ansichten, die bislang nur hinter verschlossenen Türen geäußert wurden, fand man plötzlich unverhohlen auf offener Straße vertreten.
Der Zusammenschluss linker Kräfte zur Neuen Volksfront (Nouveau Front Populaire) war da zunächst nur ein Hoffnungsschimmer. Doch er wurde zur Kampfansage. Nach und nach traten neue Gesichter der Linken auf die Bühne. Kandidatinnen und Kandidaten wie die Feministin Céline Thiébault-Martinez (Parti Socialiste) aus dem Département Seine-et-Marne, oder der Kinderrechtsaktivist Lyes Louffok (La France insoumise) aus Val-de-Marne, die mit ihrem sozialen Engagement auf sich aufmerksam gemacht hatten. Eine emblematische Figur der neu formierten politischen Linken ist die Frau im grünen Jackett, Marine Tondelier, natürlich von den Grünen. Diese begann ihre Karriere in der nordfranzösischen Stadt Hénin-Beaumont, einst geprägt von den örtlichen Kohleminen, heute von hoher Arbeitslosigkeit und einer besonders niedrigen Lebenserwartung. Der Ort gilt als eine der Hochburgen von Marine Le Pens RN. Marine Tondelier sagt, sie käme direkt aus dem Widerstand. Für Jordan Bardella, Spitzenkandidat der rechten Partei, kam es nicht in Frage, sich seiner Gegnerin in einem Fernsehduell zu stellen. Er wollte – ganz Sexist – lieber nur mit Jean-Luc Mélenchon diskutieren, dem Gründer der Linksbewegung.
Allen Unkenrufen zum Trotz ist die Neue Volksfront aus der Wahl als stärkste Kraft hervorgegangen. Und mit ihr ist die Hoffnung zurück, auf mehr Engagement für mehr soziale Gerechtigkeit und ein besseres Klima. Der Alptraum ist vorerst vorbei, wie es scheint, doch für große Träume bleibt keine Zeit. Zwar grölen die Partisanen von Marine Le Pen nicht mehr so selbstbewusst auf den Straßen wie vor dem zweiten Wahlgang, doch die Gefahr ist nicht gebannt. Auch sind rechte Politiker, etwa der Partei Horizons, weiter Teil der Regierung. Schon verbreitet die Internetseite »Réseau libre« mit extrem rechten Inhalten, deren Server in Russland stehen, im Netz erneut Mordaufrufe gegen Repräsentanten der französischen Linken. Die Neue Volksfront hat mit Marine Tondelier einen öffentlichen Aufruf an den Präsidenten Emmanuel Macron (Renaissance) veröffentlicht, nun nicht mehr länger die neue Regierungsbildung mit der Linken hinauszuzögern. Die »Brandmauer« hält vorerst, aber was nun passiert, ist weiter offen.
Barbara Peveling ist eine deutsch-französische Schriftstellerin und hat sich in einem Pariser Vorort zugunsten der Neuen Volksfront im Wahlkampf engagiert
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