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Aus: Ausgabe vom 11.07.2024, Seite 15 / Betrieb & Gewerkschaft
Haushaltsentwurf zu Rentnerarbeit

Griff in die Rentenkasse

Ältere Beschäftigte sollen länger arbeiten. Haushaltsentwurf der Bundesregierung macht dafür Vorschläge
Von Gudrun Giese
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Unternehmer sparen sich den Versicherungsbeitrag. Rentner greifen (nach getaner Arbeit) in die Tonne

Da das Geld in der Rentenversicherung absehbar kaum noch für eine auskömmliche Alterssicherung reichen wird, greift die Ampelkoalition schon jetzt in die Kasse. Ziel ist es, mehr ältere Beschäftigte in Arbeit zu halten, wie bei den Beratungen über den Entwurf für den Bundeshaushalt 2025 vereinbart wurde.

Vergangene Woche Freitag traten Bundeskanzler Olaf Scholz, Wirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) nach langwierigen Verhandlungen mit ihren Ideen vor die Presse. Ein Vorschlag unter vielen betrifft einen Großteil der Menschen, die in den nächsten Jahren in Rente gehen möchten. Wegen des Fachkräftemangels und der notleidenden gesetzlichen Rentenversicherung wollen die Regierungsvertreter diese Gruppe unbedingt länger im Berufsleben halten. Die Spitzenkoalitionäre ließen sich davon leiten, dass sich mit Speck Mäuse und mit finanziellen Anreizen Arbeitskräfte locken lassen. In den Worten des Bundesfinanzministers: »Wenn Beschäftigte über die Regelgrenze des Renteneintritts hinaus arbeiten, werden sie zukünftig den Arbeitgeberbeitrag für die Arbeitslosenversicherung als Netto ausgezahlt bekommen. Wer als eigentliche Rentnerinnen oder eigentlicher Rentner (sic!) über die Regelaltersgrenze hinaus arbeitet, wird den Arbeitgeberanteil für die Rentenversicherung ebenfalls erhalten«, so Lindner vor der Bundespressekonferenz. Damit bestehe ein »ganz deutlicher Anreiz«, über das reguläre Renteneintrittsalter hinaus zu arbeiten. Lob gab es dafür aus den Oppositionsreihen. Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) bewertete am Rande einer Bundesratssitzung den geplanten Schritt als positiv.

Mit einem Rechenbeispiel veranschaulichen die Autoren auf dem Internetportal rentenbescheid24.de, wie sehr sich das Weiterarbeiten vor allem für ältere Beschäftigte mit guten Einkommen unter diesen Bedingungen lohnen würde: So hätte ein arbeitender Rentner mit einem monatlichen Bruttoentgelt von 3.500 Euro bei Steuerklasse 3 durch die Zahlungen der Arbeitgeberanteile für Arbeitslosen- und Rentenversicherung ungefähr 370 Euro netto mehr zur Verfügung. Da 2028 der Beitrag für die Rentenkasse auf 20 Prozent steigen werde, sei mit einem baldigen Zuwachs des Lohnextras zu rechnen. Doch die Autoren kritisieren den Griff in die Kassen. Die Idee der Ampelkoalitionäre sei »ein fauler Kompromiss zu Lasten der Rentenversicherung«, heißt es auf rentenbescheid24.de. Die Webseite wird von Rentenberatern und Rechtsanwälten für Sozial- und Rentenrecht betrieben. Erhebliche Beitragsanteile gingen der Rentenkasse ohne den Arbeitgeberbeitrag verloren. »Besser wäre es gewesen, wenn Arbeitnehmern bei Weiterarbeit im Alter ein allgemeiner Lohnsteuerfreibetrag eingeräumt worden wäre«.

Ohnehin erhalten immer weniger ältere Beschäftigte Gehälter wie in dem Rechenbeispiel. Schon heute müssen viele Rentner aus materieller Not im Ruhestand weiterarbeiten. Nach aktuellen Zahlen der Deutschen Rentenversicherung erhalten derzeit knapp 61 Prozent der Ruheständler monatlich weniger als 1.200 Euro vor Steuern an gesetzlicher Rente. Bei Alleinstehenden liege die Rente damit unter der offiziellen Armutsgefährdungsschwelle, berichtete im Februar deutschlandfunk.de. Jeder dritte Rentner bekommt sogar weniger als 750 Euro netto im Monat, womit die Beantragung von Grundsicherung oder die Aufnahme eines Jobs unumgänglich sind, denn mit solchen Einkommen lässt sich gerade einmal die Warmmiete finanzieren. Zwar verfügen manche Rentner noch über Einkünfte aus Betriebsrenten oder Geldanlagen, doch bleiben mehr als genug Menschen übrig, die im Alter mit prekären Einkommen dastehen. Mit den »Anreizen« fürs Weiterarbeiten über das Renteneintrittsalter hinaus fördert die Ampelkoalition – so diese Regelung die Abstimmungen im Bundestag und im Bundesrat übersteht – auf jeden Fall eine indirekte Erhöhung des Rentenalters. Arbeiten bis Siebzig wird absehbar zur Realität.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (11. Juli 2024 um 00:03 Uhr)
    Die Idee der Ampelkoalitionäre ist kein fauler Kompromiss zu Lasten der Rentenversicherung, sondern die konsequente Fortsetzung der Plünderung der Rentenkassen seit Helmut Kohl. Mit Helmut Kohl habe ich die Gnade der späten Geburt, bin aber früh genug auf die Welt gekommen und konnte gerade so mit einer Vertrauensschutzregelung für Schwerbehinderte (heutzutage heißt das, glaube ich, anders, »Andersfähige«, »Herausgeforderte«, »Spezielle« oder »Leute mit besonderen Bedürfnissen«) der Agenda 2010 mit 60 in Rente gehen. Seither steigt für NeurentnerInnen der zu versteuernde Anteil der Rente Jahr für Jahr. Der Wahnsinn hat Methode. Warum gibt es keine Massenproteste dagegen? PDL, BSW?

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