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Aus: Ausgabe vom 12.07.2024, Seite 1 / Titel
Neue US-Waffen in Deutschland

Zurück im Kalten Krieg

USA wollen weitreichende Waffen in der Bundesrepublik stationieren. Bundestag wurde nicht gefragt, Protest von BSW, Die Linke, AfD und IPPNW
Von Arnold Schölzel
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Protest gegen die Stationierung von »Pershing II«-Raketen in Mutlangen 1983

Die USA und Deutschland beginnen ein neues Wettrüsten. Sie wollen erstmals seit dem Abzug von Pershing-Raketen 1991 ab 2026 US-Waffensysteme in Deutschland stationieren, die Russland erreichen können – zunächst befristet, später dauerhaft. Dabei handelt es sich um »Tomahawk«-Marschflugkörper mit deutlich mehr als 2.000 Kilometern Reichweite, seegestützte Flugabwehrraketen vom Typ SM-6 sowie »derzeit in Entwicklung befindliche hypersonische Waffen«. Das gaben das Weiße Haus und die Bundesregierung am Mittwoch abend am Rande des NATO-Gipfels in Washington bekannt. Die Waffen hätten eine »deutlich weitere Reichweite als gegenwärtige landgestützte Systeme in Europa«. Offenbar war der Bundestag vor dieser Entscheidung, die Deutschland zum möglichen Schlachtfeld macht, nicht konsultiert worden.

Zudem gab NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg beim Gipfel bekannt: Ein neuer US-Standort für ballistische Raketen im polnischen Redzikowo, knapp 400 Kilometer von Berlin entfernt, ist jetzt betriebsbereit. Das dort angeblich zur Raketenabwehr installierte System kann ebenso wie das seit 2016 betriebene im rumänischen Deveselu auf Angriffsaktionen umprogrammiert werden. Das widersprach nicht nur nach russischer Auffassung dem INF-Vertrag von 1987 zur Begrenzung von Kurz- und Mittelstreckenraketen. 2019 kündigte US-Präsident Donald Trump den Vertrag. Außerdem beschloss der NATO-Gipfel den Start eines neuen NATO-Kommandos in Wiesbaden für diesen Freitag. 700 Soldaten, davon 40 Deutsche, sollen von dort aus künftig Waffenlieferungen und Ausbildung für die Streitkräfte Kiews koordinieren. Das hatten bisher die USA übernommen. Am Donnerstag teilten Deutschland, Frankreich, Italien und Polen mit, dass sie gemeinsam bodengestützte Marschflugkörper mit einer Reichweite von über 500 Kilometern entwickeln wollen. Die Verteidigungsminister der Länder unterzeichneten in Washington eine Absichtserklärung.

Mit der Stationierung von »Tomahawk« und Hyperschallraketen steigt die militärische Bedrohung für Russland auf eine ähnliche Stufe wie die nach der Stationierung von US-Mittelstreckenraketen 1983 in Westeuropa für die Sowjetunion. Laut Medienberichten handelt es sich dabei um die Long-Range Hypersonic Weapon (LRHW), genannt »Dark Eagle«, mit einer Reichweite von etwa 2.750 Kilometern und etwa fünffacher Schallgeschwindigkeit. Laut einem Bericht des Forschungsdienstes des US-Kongresses vom 2. Juli fand am 28. Juni der erste erfolgreiche Test des LRHW und einer Gleitbombe von Hawaii aus im Pazifik statt. Danach habe die US-Armee erklärt, dass nun die erste Produktion erfolge. Die erste Rakete werde in etwa sechs Wochen, die erste Batterie mit acht Raketen in etwa elf Monaten geliefert.

Die russische Führung reagierte am Donnerstag auf die gebündelte Eskalation u. a. mit einer Erklärung des Präsidialamtssprechers Dmitri Peskow: Es müssten Maßnahmen ergriffen werden, um das westliche Militärbündnis in Schach zu halten. Das Ziel der NATO sei die Unterdrückung Russlands, die Aktionen des Bündnisses stellten eine »ernste Bedrohung« der nationalen Sicherheit dar.

Zustimmung zur Stationierung kam aus SPD und CDU/CSU. Die BSW-Vorsitzende Sahra Wagenknecht nannte den Schritt »hochgefährlich«, die Friedensorganisation IPPNW »brandgefährlich«, Dietmar Bartsch (Die Linke) »höchst problematisch«. AfD-Bundessprecher Tino Chrupalla äußerte, das mache »Deutschland zur Zielscheibe.« Sara Nanni (Bündnis 90/Die Grünen) befürchtete »Ängste« sowie »Raum für Desinformation und Verhetzung.«

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  • Leserbrief von Roland Winkler aus Aue (15. Juli 2024 um 14:24 Uhr)
    Wann ist die Welt dem heißen Krieg zuletzt so nahe gewesen? Wie heiß ist er bereits und längst kein Kalter Krieg mehr? Wann haben die vermeintlichen Herrscher der Welt in Vergangenheit es bewusst darauf angelegt und provoziert den großen und atomaren Krieg auszulösen, bis dahin zu eskalieren? Sie wollen kein Zurück in den Kalten Krieg. So wie sie den Krieg in der Ukraine wollten, wie sie seit 1990 gezielt darauf hinarbeiten, so wollen sie einen dritten Anlauf wagen, die gesamte Welt zu beherrschen. Militant aggressivster Imperialismus lebt seine Wesenszüge. Die Welt wird täglich mehr und mehr von nicht unbekannten Wahn und Irrsinn regiert. Schon zwei Weltkriege haben es offen zutage, zu Bewusstsein gebracht. Kein Funke lehrreichen, schmerzlich vermissten Bewusstseins scheint mehr vorhanden zu sein. Personifiziert in Präsident Biden erleben und hören wir heute sogar das angebliche Schlafwandeln in die großen Kriege, wenn der scheinbare Herrscher der Welt vor seinen verbündeten, hörigen Kriegsfreunden Selenskij mit Putin verwechselt. So etwas steht einer Atommacht vor, bedroht laut NATO-Beschluss das gesamte Territorium Russlands mit bis nach Sibirien reichenden Waffensystemen und atomaren Fähigkeiten, hat seit Jahren Abrüstungsverträge mit Russland aufgekündigt, glaubt Russland besiegen zu können und fordert Russland jeden Tag Stück für Stück dazu auf, den nächsten Angriff atomarer Art zu starten. Wir Deutschen sind selbstverständlich dabei, gehen voran. Was glauben wohl viele Deutsche auf was dieses NATO-Bündnis hinsteuert und wie scheißegal ihm eine Kinderklinik in der Ukraine ist oder ein Deutschland, Frankreich usw. nach atomaren Antworten Russlands? Mit Vernunft, Verstand, realistischem Denken begabte Menschen wissen um die Gefahren der Stunde. Im Deutschen Bundestag scheinen Eigenschaften des Denkens dieser Art am Nullpunkt angelangt zu sein. Das Erinnern an Verhalten der »Volksvertreter« vor den zwei Weltkriegen könnte heute grünen Kriegshetzern empfohlen werden. Hass, Hetze, Behauptungen und Lügen über Russland und Putin, verschweigen der Tatsachen hat bei ihnen längst jeden Verstand aus den Hirnen gespült. Vielleicht ist ein dementer US-Präsident nicht einmal mehr das schlimmste Übel, Gefahr, wenn wir uns in diesem Deutschland umsehen. Ernüchtert müssen wir erkennen und zur Feststellung gelangen, der drohende Weltkrieg beweist auch heute die weitgehende Unkenntnis dazu, wie, woraus die Kriegsmechanismen geboren werden, wie sie objektiv, zwingend heranwachsen, nicht aufzuhalten sind, wenn eine starke Friedensbewegung, linke Parteien nahezu ohne Einfluss sind. Aggressivste Kriegstreiber drehen unentwegt an der Spirale, aber nicht zurück.
  • Leserbrief von Holger K. aus Frankfurt (12. Juli 2024 um 22:26 Uhr)
    Entweder rüstet die NATO zum militärischen Großangriff gegen Russland, eröffnet in kurzer Zeit einen Angriffskrieg gegen dieses Land, sprich Barbarossa II, oder beabsichtigt es durch Hochrüstung, Moskau zur Gegenaufrüstung zu zwingen, hoffend es so finanziell verbluten zu lassen, so wie es gegen die SU praktiziert wurde. So oder so, Russland soll auf jeden Fall ruiniert werden, wie es jüngst das grüne Plappermäulchen bereits verkündete. Wenn jetzt nicht endlich eine breit aufgestellte Friedensbewegung auf die Beine gestellt wird, ist die anstehende Katastrophe wohl unausweichlich.
  • Leserbrief von Peter Groß aus Bodenseekreis (12. Juli 2024 um 15:24 Uhr)
    Olaf pack die Badehose ein und dann ab mit dir nach Rügen. Für Milliarden Euro werden Panzer angeschafft, die teilweise sofort in der Ukraine zerschossen werden. Um dort hinzukommen, ist eine Neuplanung der zivilen Infrastruktur (Bahn und Straßen) nötig. Die künftige Verkehrsinfrastruktur muss strategischen Phantasien genügen, nicht Pendler pünktlich an den Arbeitsplatz bringen. Für Militärfahrzeuge, die mit Überbreite und Gewicht vom äußersten Süden oder Westen der Republik an die Ostgrenze, oder in ein künftiges russisches Kriegsgebiet verlegt werden. Sie hinterlassen zerstörte Brücken, Straßen und Autobahnen. Die Bundesautobahn A4 wird, wie viele andere, nicht aus verkehrsbedingten Gründen sechsspurig ausgebaut. Da sollen im Notfall Kampfflugzeuge starten und landen. Das Grenberger Wäldchen wird eingezäunt. Wie zahllose andere Waldflächen dient es nicht mehr der Naherholung, sondern vermutlich als militärisches Sperrgebiet. Stellplatz mit Tarnung für Flugabwehrraketen, die quer durch Deutschland verlegt werden müssen, damit sie nicht zu einem leichten Ziel werden. Woher kommt das Wachpersonal? Woher sollen die qualifizierten Schrauber kommen, die sich in komplexen Systemen zurechtfinden. Wo soll die Instandhaltung von 105 neuen »Leopard«-Panzern, 6.500 neu bestellten LKW, die bei Rheinmetall für vermutlich 3,5 Milliarden Euro bestellt wurden stattfinden? Der Rahmenvertrag zwischen dem Beschaffungsamt und Rheinmetall sieht vor, dass die Bundeswehr weitere Fahrzeuge flexibel nach Bedarf bestellen kann. Rheinmetall meldet, dass man von der Bundeswehr einen Rahmenvertrag für Artilleriemunition im Wert von bis zu 8,5 Milliarden Euro erhalten habe. Millionen Granaten, die in der Ukraine zu Tausenden täglich in einem gigantischen Feuerwerk vernichtet werden. Als neuesten Hirnschiss fordert Pistorius ein Marschflugkörper und Raketenbauprogramm. Ich fürchte, man ist dumm genug ein neues Schuldenprogramm aufzulegen, bis keiner mehr die jährlichen Zinszahlungen aufbringen kann.
  • Leserbrief von Lothar Böling aus Düren (12. Juli 2024 um 10:44 Uhr)
    Da ist sie wieder, die irre NATO-Erstschlagdoktrin. Mit Marschflugkörpern, die das Radar unterfliegen, organisiert die NATO erneut den atomaren Erstschlag gegen Russland. Die NATO, die größte Angriffsarmee der Welt, gibt 60 Prozent aller weltweiten Rüstungsausgaben aus und fühlt sich von Russland bedroht. Wer soll diesen Unsinn glauben? Unwissende und Gutgläubige? Aber in der Tat, das ist die ihre Kriegspropaganda: Lügen, dass sich die Balken biegen. Zur NATO-Osterweiterung, die 1999 begann, kein Sterbenswörtchen. Zur Wahrheit, von der geplanten Eroberung Russlands – die gierige, europäische Ausbeuter schon mehrmals (1812, 1914, 1918, 1941) versuchten – schweigt man eisern. Keiner soll wissen, was für Lumpen sie sind. Nicht Russland ist der Aggressor, sondern diese NATO, mit ihren 1.000 US-Militärbasen weltweit, die den gesamten Planeten unterwerfen will. Wer wird sich gegen eine solch Übermacht noch wehren? So will man dieses auf grenzenloser Ausbeutung basierende, kranke Wirtschaftsystem aufrechterhalten. Russland, das größte Land der Erde, besitzt unendliche Wälder, riesige Getreidefelder, gewaltige Bodenschätze, die man hemmungslos ausbeuten will. Und dies ohne etwas dafür zu bezahlen, so wie in Asien, Afrika und Südamerika, wo US-Konzerne bereits alles verwertbare Besitzen. Russland soll zur großen NATO-Kolonie werden, an der sich all die alten Kolonialmächte nach Lust und Laune bereichern können. Das ist auch der Grund, warum Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Spanien, Niederlande, Belgien usw. in der NATO sind. Sie alle hoffen auf ein möglichst großes Stück von der Beute, wenn das Fell des russischen Bären zerlegt wird. Anders lassen sich die gewaltigen Rüstungsausgaben der Nato, von 1.250 Mrd. jährlich, wohl kaum erklären. Was soll das, die Steuergelder der arbeitenden Bevölkerung in nutzlose Rüstung zu investieren, die diesen Planeten mehrfach zerstören kann? Werden wir von Geisteskranken regiert? Das alles ist an Schwachsinn nicht zu überbieten!
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Stephan K. aus Neumarkt i.d.OPf. (12. Juli 2024 um 08:48 Uhr)
    Der Beitrag »Zurück zum Kalten Krieg« ist gut. Schwach sind die Überschrift und der erste Satz, beides könnte bereits einige Jahre alt sein. Verständlich, fehlen uns doch fast allen die Begriffe, das Wissen und die Vorstellungskraft dazu, was gerade um uns herum passiert. Das Stadium des »kalten Krieges« ist längst überschritten, das neue Wettrüsten ist im vollen Gange. Ein heißer Krieg, der gefährlichste für Europa und die Gattung Mensch läuft wie ganz großes Kino vor unseren Augen. Wir alle sind Teilnehmer. Auch das ist qualitativ neu. Die neuen Angriffswaffen sind wesentlich schneller als die »Pershing«-Raketen in Moskau. Sie sind nicht abzuwehren. Ihre extrem kurze Flugzeit zwingt den Anderen auf jede Klärung oder Fehlerkorrektur zu verzichten. Wenn der Start einer Hyperschallwaffe in Deutschland registriert wird, muss die andere Seite ebenfalls starten. Russland müsste losschlagen. Beide Seiten geraten in eine Lage, in der sie als erste oder als zweite in Sekunden handeln müssen. Das Stadium der fragilen – aber immerhin irgendwie vorhandenen Sicherheit – des Atomzeitalters ist Geschichte. Die Entscheidung zum (Gegen)Angriff muss automatisiert werden, es gibt keine Zeit für Fehlerkorrektur oder Rückfragen. Die Entscheidung für die qualitativ neuen Angriffswaffen in Deutschland fällt nicht in einer ruhigen Zeit, sie fällt in Kriegszeiten. Einer Zeit, in der die Rüstungskontrolle und die Diplomatie tot sind. In einer Phase, in der Russland sich existenziell bedroht fühlt. Aus russischer Sicht bestätigt, ja verstärkt das die Gründe für den Krieg gegen die Ukraine. Wir nähern uns immer mehr dem Ende des Prologs zum dritten großen Krieg. Welche Optionen bleiben nach gängiger Welt-Logik der Macht, die ohne Zweifel in der strategisch deutlich schlechteren Lage ist und die in allen Bereichen – bis auf die Nuklearstreitkräfte – dem kollektiven Westen deutlich unterlegen ist? Die Alternative: Machen wir die Friedensbewegung Great Again. Make Peace Great Again.

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