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Aus: Ausgabe vom 12.07.2024, Seite 4 / Inland
Politshow

Baerbock schickt Habeck vor

Elf Prozent sind zu dürftig: Außenministerin verzichtet auf Grünen-Kanzlerkandidatur. Vizekanzler hält sich mit Blick auf anstehende Wahlen bedeckt
Von Kristian Stemmler
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Robert Habeck reagiert am Mittwoch in Dortmund auf Annalena Baerbocks »Verzicht«

Bündnis 90/Die Grünen liegen in aktuellen Wählerbefragungen bei bundesweit elf Prozent – weit weg von den rund 25 Prozent, die ihnen am Beginn des Wahlkampfes zur Bundestagswahl 2021 prognostiziert worden waren. Sie sind die mit Abstand unbeliebteste Regierungspartei, und von der damals vorhandenen (oder vielleicht auch nur herbeigeschriebenen) Aura des unaufhaltsamen Aufstiegs dieser Partei ist nichts mehr übrig. Und doch verursacht die Ankündigung der Grünen-Kanzlerkandidatin von 2021, sie wolle 2025 nicht erneut in diesen Mantel schlüpfen, ganz erhebliche Aufregung – nicht zuletzt ein Indiz dafür, dass die Grünen inzwischen in manchen Redaktionen als eigentliche Staatspartei der Republik betrachtet werden.

Umgehend wurde aus dem am Mittwoch abend per CNN-Interview am Rande des NATO-Gipfels erklärten »Verzicht« von Außenministerin Annalena Baerbock abgeleitet, dass nun der Weg für Vizekanzler Robert Habeck frei sei. Die Nachrichtenagentur dpa hatte am Donnerstag bereits die ersten Lobpreisungen parat: Habeck stille »den Durst der Gesellschaft nach Orientierung, rhetorisch und intellektuell«, zitierte sie ein anonymes Parteimitglied. Dass freilich die Chance, dass die Grünen den nächsten Regierungschef stellen, ziemlich klein ist, wurde dagegen kaum thematisiert. Statt dessen fand sich am Donnerstag ein Bundestagsabgeordneter der Grünen, der im Deutschlandfunk auf dicke Hose machte: 25 Prozent seien »natürlich locker drinnen für die Grünen«, erklärte der haushaltspolitische Sprecher der Fraktion, Sven-Christian Kindler.

Das sieht seine Parteifreundin Baerbock aber offensichtlich anders und nahm sich selber aus dem Spiel. Natürlich nur aus »staatspolitischer Verantwortung«. Die Welt sei »eine ganz andere als zur letzten Bundestagswahl«, sagte Baerbock in dem Interview. Angesichts des »russischen Angriffskriegs und nun auch der dramatischen Lage im Nahen Osten« brauche es »nicht weniger, sondern mehr Diplomatie«. »Staatspolitische Verantwortung« zu übernehmen, »in diesen extremen Zeiten«, bedeute für sie: »Statt in einer Kanzlerkandidatur gebunden zu sein, meine Kraft weiterhin voll und ganz meiner Aufgabe zu widmen.«

Habeck hatte 2021 zugunsten von Baerbock auf die Kandidatur verzichtet. Als sie dann von einem PR-Unfall zum nächsten taumelte, wurde schnell geunkt, Habeck wäre der bessere Kandidat gewesen. Der wiederum hat in seiner Zeit als Wirtschaftsminister kaum eine Gelegenheit ausgelassen, um sich als Staatsmann zu inszenieren. Am Donnerstag wich Habeck bei einem Termin in Paderborn dem Thema allerdings aus. »Fragen für Wahlkämpfe« werde seine Partei »über die Gremien« organisieren. Auf die Frage, wie die Grünen aus dem Umfragetief herausgeholt werden könnten, erklärte der Minister: »Erst einmal durch solide und gute Arbeit und perspektivisch durch ein solides und gutes Angebot.«

Dass Habeck sich so bedeckt hält, hat vor allem auch mit den inneren Verhältnissen bei den Grünen zu tun. Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Felix Banaszak, der dem »linken« Flügel der Partei zugerechnet wird, hatte bereits für den Fall einer Grünen-Kanzlerkandidatur eine bessere Einbindung der Partei eingefordert. Dass 2021 mit Baerbock und Habeck zwei »Realos« den Bundestagswahlkampf prägten und der »Linke« Anton Hofreiter hernach kein Ministeramt erhielt, hatte für erhebliche innerparteiliche Wallungen gesorgt. Auf die Frage, ob der Wirtschaftsminister die Kanzlerkandidatur übernehmen solle, sagte Banaszak gegenüber der Rheinischen Post kurz vor Baerbocks Verzichtserklärung: Habeck sei »eine von zwei guten Personen«, die dafür in Frage kämen; er müsse aber unter Beweis stellen, »dass er die Partei in ihrer Breite mitnehmen kann und will«.

Ein zweiter Grund für Habecks vorläufige Zurückhaltung dürften die anstehenden drei ostdeutschen Landtagswahlen im September sein. Hier dürften die Grünen durchweg katastrophal schlecht abschneiden: In Thüringen werden sie ziemlich sicher aus dem Landtag fliegen, in Sachsen und Brandenburg könnte das passieren. Habeck wird wenig Wert darauf legen, sich in zeitlicher Nähe zu diesen Wahlterminen zum Kanzlerkandidaten ausrufen zu lassen. Die desaströsen 11,9 Prozent bei der Europawahl sind auch noch nicht lange her.

Baerbock versprach jedenfalls in einer Nachricht an ihre Fraktion, aus der dpa am Donnerstag zitierte, schon mal volle Unterstützung für Habeck. »Robert und ich gehen jetzt schon fast ewig gemeinsam durch dick und dünn und werden in den kommenden Wochen eng zusammenarbeiten«, schrieb sie. Ohne Frage werde sie sich »natürlich mit Verve in den grünen Wahlkampf reinhängen als Teil eines starken grünen Teams«.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Christel H. aus Aschersleben (12. Juli 2024 um 13:07 Uhr)
    Nachrichten aus Absurdistan: Unser aller »Chefdiplomatin«, die »vom Völkerrecht kommt« und deren Arbeit sich durch Unverstand, Arroganz und Laienhaftigkeit auszeichnet, wollte Kanzlerkandidatin werden? Das ist Selbstüberschätzung Baerbockscher Art!
  • Leserbrief von Bodo Behrendt aus Berlin (12. Juli 2024 um 12:15 Uhr)
    So, so – den Verzicht exclusiv im CNN verkündet. Na, ein weiterer Baustein in der vita von Frau Baerbock: Wes Brot ich ess, des Lied ich sing. Honi soit qui mal y pense
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Wolfgang H. aus 17291 Grünow (12. Juli 2024 um 10:18 Uhr)
    Frau Baerbock hatte beim Verzicht auf die Kanzlerkandidatur erklärt, dass sie sich voll auf die Aufgaben der deutschen Außenpolitik konzentrieren wolle. Der NATO-Gipfel führte in den Kalten Krieg zurück. Das wird Frau Baerbock beflügeln, denn sie lag bereits vor dem Gipfel auf »Kurs«. Sie plauderte nur zu früh aus, Russland ruinieren zu wollen oder sich im Krieg mit Russland zu befinden. Ich halte es für wahrscheinlich, dass die Bundesrepublik nach den kommenden Bundestagswahlen (vielleicht schon vorher) von einer schwarzgrünen Koalition regiert wird. Es kann doch sein, dass sich Frau Baerbock darauf vorbereitet. Da würde eine Kanzlerkandidatur ohne Aussicht nur stören. Frau Baerbock könnte in einer eventuellen schwarzgrünen Koalition Außenministerin bleiben und Vizekanzlerin werden. Diese Perspektive hätte Herr Habeck nicht. Wolfgang Herrmann, Dreesch

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