75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Gegründet 1947 Montag, 9. September 2024, Nr. 210
Die junge Welt wird von 2927 GenossInnen herausgegeben
75 Ausgaben junge Welt für 75 € 75 Ausgaben junge Welt für 75 €
75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Aus: Ausgabe vom 12.07.2024, Seite 4 / Inland
Radioaktiver Abfall

Lemke will beruhigen

Ministerin im Atommülllager Asse II. Trotz eindringender Salzlauge »keine akute Katastrophe«
Von Michael Henrix
Bundesumweltminister_82725970.jpg
Steffi Lemke (Bündnis 90/Die Grünen, r.) lässt sich durch die Anlage nahe Remlingen-Semmenstedt führen (10.7.2024)

Die im Schacht Asse II eingelagerten Fässer mit Atommüll müssten »allerspätestens 2033« geborgen werden. Am Mittwoch nachmittag hat Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Bündnis 90/Die Grünen) die Anlage besucht. Hier wurden 15 Kilometer südöstlich von Braunschweig von 1967 bis 1978 etwa 50.000 Kubikmeter des Materials eingelagert, das damals als »leicht« und »mittel« radioaktiver Abfall klassifiziert worden war. Mit großem Medientross fuhr die Ministerin in das ehemalige Salzbergwerk ein, um sich dort auf der 658-Meter-Sohle die Hauptauffangstelle der seit 1988 in das Bergwerk eindringenden Lauge zeigen zu lassen und auf der 725-Meter-Sohle die Auswirkungen der seit Jahresbeginn veränderten Fließwege.

Problematisch ist aktuell nicht nur, dass ein Teil der Lauge jetzt erst auf 725 Metern aufgefangen wird, sondern der Verbleib von täglich zwei bis drei Kubikmetern der Lauge ungeklärt ist. Diese kann Pfeiler oder Schweben des Bergwerkes durchfeuchten und entfestigen. Außerdem könnte sie auch in Atommüllkammern auf der 750-Meter-Sohle eindringen und dort den strahlenden Abfall vernässen und auflösen, was die gesetzlich vorgesehene Rückholung des Atommülls aus Asse II erheblich erschweren würde. Das Bergwerk müsste verschlossen werden, sobald durch eindringendes Wasser die Rückholung nicht mehr verantwortbar wäre, erklärte dazu die Ministerin. Derzeit zeichne sich eine solche Situation aber nicht ab, betonte Lemke. »Wir haben keine akute Katastrophe.«

Diese 750-Meter-Sohle, in dessen Abbaukammern der meiste Atommüll eingelagert wurde, kann seit der – entgegen wissenschaftlichem Rat und Protest der Bürgerinitiativen – kompletten Verfüllung einer Begleitstrecke vor den Einlagerungskammern im Jahr 2017 nicht mehr besichtigt werden. Bereits vor zehn Jahren war auf der damals noch offenen Begleitstrecke radioaktive Lauge in Laugensümpfen vor einigen der verschlossenen Atommüllkammern aufgefangen worden. Wie hoch mittlerweile die Lauge in den Kammern steht, ist unklar, da es seit 2017 kein zureichendes Monitoring mehr gibt.

Fortwährendes Ärgernis für die Anwohner ist der Plan des Umweltministeriums, auf der Asse über dem maroden Salzstock eine Konditionierungsanlage und ein Zwischenlager für Atommüll zu errichten. Solche Anlagen hätten weitere radioaktive Ableitungen zur Folge, was eine künftige Atommüllrückholung verlangsamen dürfte, die durch die Gesamtmenge zulässiger radioaktiver Emissionen begrenzt wird. Außerdem steht bei einem Absaufen des Schachtes und einem Tagebruch eine Katastrophe für diese Anlagen zu befürchten.

Vertreter von Bürgerinitiativen durften nicht gemeinsam mit der Ministerin hinabsteigen. Die verfügbaren Plätze waren durch Pressevertreter ausgeschöpft, hieß es. Ursprünglich angefragte Vertreter von Initiativen wurden nach jW-Informationen wieder ausgeladen. So versammelten sich Protestierende draußen, um gegen die politisch Verantwortlichen für den Zustand der Asse II zu demonstrieren. Neben einer Einbindung in die Entscheidungsprozesse um die rechtlich vorgeschriebene Rückholung fordern lokale Bürgerinitiativen, dass die zuständige BGE sich eine gerichtsfeste Genehmigung für das Bergen des Atommülls holt und erst dann eine Verpackungsanlage sowie ein Transportbereitstellungslager errichtet – und zwar nur in unbedingt nötigem Umfang.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!

  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (11. Juli 2024 um 23:12 Uhr)
    Ein paar Sehtipps zum Thema, terminlich passend vom 11.7.2019 (SWR, in der Mediathek vorsorglich nicht mehr erreichbar): Wehe wenn das Wasser kommt: https://pdodswr-a.akamaihd.net/swrfernsehen/odysso/2019/07-11/1133571.l.mp4 Zeitbomben unter Tage: https://pdodswr-a.akamaihd.net/swrfernsehen/odysso/2019/07-11/1133567.l.mp4 Wie aus Giftmuell ein Baustoff wird: https://pdodswr-a.akamaihd.net/swrfernsehen/odysso/2019/07-11/1133569.l.mp4 Altlasten sanieren: https://pdodswr-a.akamaihd.net/swrfernsehen/odysso/2019/07-11/1133574.l.mp4 Und: Bohrunfall Lake Peigneur https://www.youtube.com/watch?v=p_iZr2-Coqc https://www.youtube.com/watch?v=PcWRO2pyLA8 https://de.wikipedia.org/wiki/Lake_Peigneur https://digitalcommons.latech.edu/cgi/viewcontent.cgi?article=1036&context=engineering-science-magazine Streit um Altdeponie: Muss der Giftmüll raus? (Panorama 3): https://www.ardmediathek.de/video/panorama-3/streit-um-altdeponie-muss-der-giftmuell-raus/ndr/Y3JpZDovL25kci5kZS9lOGQ4NDRkZi00ZDZlLTQ3ZTQtOTI4OS0zZDRlYWQzMGY1ZTQ Die Verweise ins Netz passen auch gut zum Bratanovic-Artikel »Ungedeckte Wechsel, Profit auf Pump.« (www.jungewelt.de/artikel/478586.produktivkraftentwicklung-ungedeckte-wechsel.html?sstr=ungedeckte%7Cwechsel)

Ähnliche:

  • Strahlt seit einem halben Jahrhundert vor sich hin und wird dies...
    04.04.2017

    Strahlendes Erbe

    50 Jahre unterirdische Atommülldeponierung im ehemaligen Salzbergwerk Asse II. Die Pläne zur Rückholung kommen nicht voran