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Aus: Ausgabe vom 12.07.2024, Seite 7 / Ausland
Ukraine-Krieg

»Wir waren das Erschießungskommando«

Wenn ein Söldner plaudert: Prozess in Prag wirft neues Licht auf Vorgänge im ukrainischen Butscha
Von Reinhard Lauterbach
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Die Wahrheit über Butscha steht weiter aus: Bergung der Leichname am 12. April 2022

Vor dem Stadtgericht in Prag läuft seit einigen Tagen das Verfahren gegen den 27jährigen Tschechen Filip Siman. Er ist angeklagt, ohne die erforderliche Sondergenehmigung des Staatspräsidenten in einer ausländischen bewaffneten Einheit gekämpft zu haben – konkret dem zu Kriegsbeginn in der Ukraine von der faschistischen Swoboda-Partei aufgestellten Bataillon »Karpaten-Sitsch«. Dafür allein droht Siman eine Haftstrafe von bis zu fünf Jahren; für das, was bei den Ermittlungen sonst noch herauskam, noch einiges mehr.

Bei einer Durchsuchung wurden bei Siman nämlich eine Markensonnenbrille, Gold- und Silberbarren, Bargeld in Euro und Dollar sowie fremde Eheringe gefunden, so dass er sich auch wegen Plünderung und Störung der Totenruhe verantworten muss. Der Angeklagte ist nach Berichten tschechischer Medien im wesentlichen geständig und macht geltend, dass er nicht zur persönlichen Bereicherung in die Ukraine gegangen sei, sondern um den Lebensunterhalt seiner Familie zu sichern.

Was aber offenbar nicht ausschließt, dass er die Gelegenheit zur Bereicherung wahrgenommen hat, auch wenn er die Designerbrille als »Erinnerung an einen gefallenen Kameraden« darstellte. Auch erklärte er, die Leitung des Bataillons habe den Kämpfern ausdrücklich freigestellt, sich in den verlassenen Häusern, in denen sie einquartiert waren, an den vorgefundenen Wertsachen zu bedienen – »damit sie nicht den Russen in die Hände fallen«.

Das ist an sich alles wenig überraschend, Plünderungen sind für Angehörige beider Seiten bezeugt. Nur, dass sie in dem Prager Verfahren erstmals ein Angeklagter gestanden hat. Ihre eigentliche politische Bedeutung gewinnen die Aussagen Simans aber durch drei Aspekte: Erstens hat Siman eingeräumt, unter anderem in Butscha eingesetzt gewesen zu sein, wo nach der Rückeroberung der Stadt durch ukrainische Truppen im April 2022 die Leichen zahlreicher ermordeter Zivilisten entdeckt worden sind. Zweitens hat er erklärt, seine Truppe sei in jenen Tagen »Polizei, Gericht und Erschießungskommado in einer Instanz« gewesen. Schließlich hat er ausgesagt, sein Einsatz in der Ukraine habe bei ihm »traumatische Erlebnisse ausgelöst«, weil er erstmals in seinem Leben »Morde und Vergewaltigungen miterlebt« habe.

Damit nährt Siman – wahrscheinlich unbeabsichtigt – Zweifel an der seit 2022 von ukrainischer und westlicher Seite vorgetragenen Version, es seien abziehende russische Truppen für die Morde in Butscha verantwortlich gewesen. Denn wenn das Kommando des Bataillons verlassene Häuser zur Plünderung freigegeben und sogar angewiesen haben soll, Toten die Eheringe abzunehmen, dann entspricht das der Logik einer Racheaktion gegenüber der »Kollaboration« mit Russland verdächtigen Landsleuten und nicht der einer angeblichen Befreiung dieser Landsleute vom Besatzungsjoch. Wenn Siman erklärt, er habe Morde und Vergewaltigungen »miterlebt« – ob er damit eine mögliche eigene Teilnahme an diesen Taten beschönigt hat, ist an dieser Stelle unwesentlich –, dann spricht einiges dafür, dass er Zeuge solcher Taten von seiten seiner Kameraden geworden sein muss. Marodierende Russen hätten wohl kaum einem Angehörigen des gegnerischen Militärs erlaubt, bei ihren Kriegsverbrechen zuzusehen, ohne ihn zum Abschluss selbst umzubringen – was gegenüber Angehörigen der Faschistenbataillone ohnehin häufig vorgekommen sein dürfte. Und dass er schließlich die Funktion seiner Einheit als »Polizei, Gericht und Erschießungskommando« beschrieben hat, deutet darauf hin, dass es sich bei diesen Morden nicht um Exzesstaten gehandelt haben dürfte, sondern um von oben gedeckte, wenn nicht sogar angeordnete Kriegsverbrechen.

Wie peinlich die Aussagen Filip Simans für die Pfleger des ukrainischen Narrativs sind, zeigen die Kommentare angeblicher »Faktenchecker« im Westen. Sie laufen darauf hinaus, dass Siman ja gar nicht wegen seiner Taten in Butscha vor Gericht stehe – als würde dies den Inhalt seiner Aussagen entwerten. Bemerkenswert auch das völlige Schweigen der sogenannten Leitmedien zu der ganzen Angelegenheit.

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  • Leserbrief von Volker Wirth aus Berlin (17. Juli 2024 um 11:51 Uhr)
    Auch dieser eigentlich extrem wichtige Artikel wird wohl nichts bringen – wer vor 35 Jahren an »das Massaker von Racak« und 2014 an »die Ermordung von einhundert Aktivisten auf dem Maidan durch Janukowitschs Berkut-Sonderpolizei« geglaubt hat oder nun an den »zuverlässig« berichteten »vorsätzlichen Angriff Russlands auf ein Kiewer Kinderkrankenhaus« glaubt, der glaubt auch weiter blind den »offiziellen Berichten« über das »russische Massaker in Butscha«. Dass aber offenbar Sympathisanten Russlands in Butscha und Irpin vom plötzlichen Abzug der russischen Truppen und der tödlichen Gefahr des blau-gelben Terrors nicht informiert oder aber nicht überzeugt werden konnten, so dass sie ihm zum Opfer fielen und ihre Leichen auf den Straßen deponiert und dann als »russische Massaker-Opfer« dort »aufgefunden« werden konnten, muss auch das russische Kommando belasten. So viel Infamie hat man wohl dem Gegner, der eben doch ein tückischer Feind ist, nicht zugetraut. Bei vielen Linken setzt sich das bis heute fort. Speziell vom britischen MI 6 haben sie offenbar noch nie etwas gehört, also dann auch nicht von dessen ukrainischem Ableger, der »Safari«-Sonderpolizeieinheit. Die war Anfang April 2022 als erste Einheit in Butscha – perfekte Killer. Zu einer »Säuberungsoperation«. »Verschwörungstheorie?« S´wäre ja schön, wenn es so wäre.
    Siehe: https://en.lb.ua/news/2022/04/02/12441_special_forces_regiment_safari.html ;
    Scott Ritter – what happened in Bucha was the National Gard »Safari Unit« taking out Collaborators!: https://www.youtube.com/watch?v=Ctlu6Enfzsg
    • Leserbrief von Fred Buttkewitz aus Ulan - Ude (17. Juli 2024 um 12:48 Uhr)
      Sehr geehrter Herr Wirth, als Ergänzung zu Ihrem Beitrag über Butscha möchte ich in Erinnerung rufen: 1. Noch einen Tag vorher (bereits nach Abzug der Russen) äußerte sich der ukrainische Bürgermeister von Butscha in einem Video ganz positiv und hoffnungsfroh. Von einem Massaker wäre er sofort informiert gewesen und hätte mit Entsetzen darüber berichtet. 2. Es lagen am Straßenrand drapiert auch Tote mit weißen Armbinden, dem Zeichen des Wohlwollens gegenüber Russland. Die Russen werden wohl kaum ihre Anhänger erschossen haben. 3. Wenn die Toten dort am Straßenrand lagen, werden viele von ihnen ja zuvor in der Gegend gewohnt oder gearbeitet haben. Verwandte, Nachbarn, Bekannte, Freunde oder Arbeitskollegen oder die Kassiererin vom Laden (neben einem Toten lag ein Fahrrad mit Einkaufsnetzen) hätten sie identifizieren und mit einer normalen Beerdigung zum Friedhof auf den letzten Weg begleiten können. Die Leichen wurden in Eile anonym in einem Massengrab beigesetzt, um Spuren zu verwischen. Die Ukraine stellt bis heute keine Liste der Namen der Toten zur Verfügung. Lawrov hat das wiederholt angemahnt. Das alles beweist, dass die Toten aus anderen Teilen der Stadt oder der Umgebung eingesammelt wurden und dort am Straßenrand (wie beim Sender Gleiwitz) ausgelegt wurden, und das noch unprofessionell, in verdächtig – unnatürlich ganz regelmäßigen Abständen. 4. Die EU ließ sich sechs Wochen (!) Zeit für eine Untersuchung. Die Verurteilung Russlands erfolgte jedoch sofort. 5. Trotzdem wurden Leichen des angeblichen russischen Massakers zeitnäher von westlichen Ärzten untersucht. Man fand zahlreiche Splitter, die ja dann nur von ukrainischem Artillerie aus der Zeit der russischen Besetzung stammen können. Butcha war eine Propagandaaktion der Ukraine, um den Abbruch der Verhandlungen in der Türkei und die Fortsetzung des Krieges zu rechtfertigen. Das sind die gleichen faschistischen Methoden wie beim Sender Gleiwitz.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (12. Juli 2024 um 13:45 Uhr)
    Die Leitmedien werden bald herausfinden: Der Prozess ist eine von Putin gesteuerte Desinformationskampagne und Simans ein bezahlter Agent. Hat er nicht auch den Zaun eines ukrainischen Transportunternehmens niedergebrannt?

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