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Aus: Ausgabe vom 12.07.2024, Seite 8 / Ansichten

Alles nur Bluff?

NATO droht China
Von Jörg Kronauer
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Friedenskundgebung im Washington, D. C., am 7. Juli

Sind lautstarke Töne ein Ausdruck von Stärke oder von Schwäche? Die Frage stellt sich immer wieder, so auch bezüglich derjenigen Passagen in der Abschlusserklärung zum NATO-Jubiläumsgipfel, die China betreffen. Die NATO hat sie – das hatte sie vorab durchsickern lassen – in Teilen klar gegenüber der Abschlusserklärung zum Vilnius-Gipfel im vergangenen Jahr verschärft. Hatte sie damals Beijing noch aufgefordert, »eine konstruktive Rolle zu spielen« und von der Lieferung todbringender Waffen an Russland Abstand zu nehmen, so heißt es jetzt beinahe ultimativ, die Volksrepublik sei »ein entscheidender Ermöglicher von Russlands Krieg gegen die Ukraine« geworden: Sie müsse »jegliche materielle und politische Unterstützung für Russlands Kriegsanstrengungen beenden«. Unterlasse sie das, dann habe dies »negative Auswirkungen auf ihre Interessen«. Auch wenn die Drohung unbestimmt bleibt: Eine Drohung ist sie doch.

Muss China sie ernst nehmen? Na klar. Immer wieder haben sich Unternehmen aus der Volksrepublik jüngst gezwungen gesehen, ihr Geschäft mit Russland zurückzufahren oder gar zu beenden, weil US-Sanktionen sie allzu teuer zu stehen gekommen wären. Das nordatlantische Bündnis hat unverändert erhebliche Macht. Es ist ihm freilich nicht gelungen, die Volksrepublik und zahlreiche andere Staaten zur Einstellung ihres gesamten Russland-Geschäfts zu nötigen. Im Gegenteil: Vor allem das chinesische Russland-Geschäft boomt. Die Frage, die nun zur Entscheidung steht: Haben die NATO-Staaten wirklich die Macht, es gravierend zu schädigen, oder bluffen sie bloß? Man wird sehen.

Inzwischen beginnt aber auch China die Machtfrage zu stellen. Während die NATO in Washington das 75. Jubiläum ihrer Gründung feierte, flogen innerhalb von nur 24 Stunden 66 Militärflugzeuge in der Nähe von Taiwan, 56 davon jenseits der offiziellen Mittellinie der Taiwan-Straße – das sind mehr denn je in diesem Jahr. Auch gegenüber den Philippinen, die sich exklusiv an Washington binden, verschärft Beijing militärisch seinen Kurs. Was wird geschehen, sollte es wirklich zum Krieg gegen China kommen? Hat die NATO wirklich genug militärische Kapazitäten, um neben dem Ukraine-Krieg, für den sie schon heute nicht ausreichend Waffen und Munition zusammenbekommt, einen zweiten Waffengang gegen die Volksrepublik zu führen? Reicht ihr militärisches Potenzial, zugespitzt formuliert, für einen Zwei-Fronten-Krieg gegen zwei Atommächte? Oder sind ihre antichinesischen Tiraden von ihrem militärischen Potential nicht mehr gedeckt?

Es gibt Fragen, die sich nur durch praktisches Erproben beantworten lassen; und es gibt Fragen, die man besser in der Praxis unbeantwortet lässt. Letztere Frage gehört dazu, zumal es bei ihr letzten Endes um einen Weltkrieg geht. Die Alternative ist Deeskalation. Die aber ist bekanntlich nicht die Stärke der NATO.

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  • Leserbrief von Volker Wirth aus Berlin (15. Juli 2024 um 12:40 Uhr)
    Dass China »die Machtfrage zu stellen« wagt, ist für den vereinigten »Westen plus« (»plus« soll dabei Japan, Südkorea, Australien und Neuseeland, neuerdings die Philippinen und nicht zuletzt auch die abtrünnige »Republic of China« mit Sitz in Taibei auf der Insel Taiwan bedeuten) ein Alarmsignal.
    Um Prinzipien geht es dabei schon gar nicht: Was man im Falle der Krim und der »Separatistengebiete im Donbass« mit allen Mitteln und Waffensystemen zu verhindern sucht, »weil Russland dahintersteckt«, wurde im Kosovo und wird im Herrschaftsbereich der Regierung von »Taipeh« kräftig unterstützt – eine »unfriedliche« Loslösung vom »Mutterland«. Und zwar einschließlich einiger hoch militarisierter Inseln direkt vor der Küste von »Festlandschina«, jenseits der »offiziellen Mittellinie (in) der Taiwanstraße«, die es in Wirklichkeit allerhöchstens als Provinzgrenze gibt. Denn beide – Beijing und Taibei – erkennen sich bekanntlich gegenseitig nicht an! »Es gibt nur ein China!«
    Völkerrechtlich können also Hunderte von Flugzeugen der VR China jenseits dieser Mittellinie fliegen! Dass es dazu in jedem Falle bei einer Unabhängigkeitserklärung der »R. O. C.« als »Taiwan« kommen würde, und wohl zu noch viel mehr, »Kosovo« hier also nicht wiederholbar sein wird, ist allen Staaten des west-fernöstlichen Bündnisses klar. Aber die Versuchung ist von Washington bis Tokio sehr groß, den Aufstieg Chinas zur Weltmacht Nr. 1 noch rechtzeitig, »präventiv« sozusagen, mit allen Mitteln zu verhindern. Wenn dazu ein »Kalter Krieg 2.0« nicht ausreicht, was dann? Für Linke und Friedenskräfte muss es darum unbedingt um »Frieden und Verständigung mit Russland und China« gehen, nicht um »höchst problematische« Bedenkenträgerei.

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