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Aus: Ausgabe vom 12.07.2024, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Autoindustrie

Audi schließt Werk in Brüssel

Mehr als 2.000 Arbeitsplätze vor Vernichtung. Hilfe könnte aus China kommen
Von Gerrit Hoekman
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Schlappe Nachfrage: »Q8 E-Tron«-Produktion in Brüssel

Ford in Genk, Opel in Antwerpen oder Renault in Vilvoorde – viele Jahrzehnte lang war die Autoindustrie für Belgien von großer Bedeutung. Bis in die 1960er besaß das Land mit Minerva und Imperia sogar zwei eigene Marken. Inzwischen rostet die Branche aber vor sich hin. Nur Volvo in Gent und Audi Brussels sind von der einstigen Phalanx der Hersteller noch übrig. Wobei das Audi-Werk in Brüssel-Vorst »dem Tode geweiht« ist, wie es das alternative Stadtradio Bruzz ausdrückt. Reanimateure könnten aus China herbeieilen.

Am Dienstag abend hatte die VW-Tochter Audi Brussels der Belegschaft auf einer außerordentlichen Betriebsratssitzung mitgeteilt, dass die Produktion des Elektromodells »Q 8 E-Tron« in Vorst Ende 2025 eingestellt wird, meldete die Nachrichtenagentur Belga. Es ist das einzige Modell, das Audi in der Fabrik baut. Alternativen sind nicht in Sicht, das Werk steht offenkundig kurz vor dem Aus. »Wenn das so bleibt, ist eine Schließung des Standortes unumgänglich«, bestätigte Franky De Schrijver von der sozialistischen Gewerkschaft ABVV am Dienstag im öffentlichen-rechtlichen flämischen Sender VRT.

Zum 1. November drohen Massenentlassungen: 1.410 Festangestellte und etwa 500 Leiharbeiter verlieren aller Voraussicht nach ihre Jobs. Ende 2025 stehen dann auch die restlichen etwa 1.600 Beschäftigten auf der Straße. »Gerade für Brüsseler Arbeitnehmer – oft mit Migrationshintergrund – befürchten Gewerkschafter, dass sie nicht schnell einen neuen Job finden«, schrieb die flämische Tageszeitung De Standaard am Mittwoch. Ferner sollen bei Zulieferern mehrere Tausend Arbeitsplätze indirekt in Gefahr sein. Bis dahin wird die Produktion stark zurückgefahren. Vergangenes Jahr liefen in Vorst 53.555 Fahrzeuge vom Band – sieben Prozent mehr als 2022. Heuer werden es aber lediglich 20.000 bis 25.000 sein, im nächsten Jahr nur noch 6.000.

Seit einiger Zeit schon stehen die Bänder häufig still. Aktuell hat die Belegschaft bis zum Nationalfeiertag am 21. Juli zwangsweise Urlaub. Danach beginnen die planmäßigen Betriebsferien. Ronny Liedts von der größten belgischen Gewerkschaft, der christlichen ACV, hat auf die Absicht hinter dem Termin der Betriebsratssitzung am Dienstag hingewiesen: »Als Gewerkschaft können wir jetzt nicht aktiv werden, weil niemand da ist«, sagte er gegenüber De Standaard. Am Mittwoch standen trotzdem etwa 50 Gewerkschafter vor den geschlossenen Werkstoren zwecks Mahnwache.

Zum Hintergrund der Entlassungen gehört die schlappe Nachfrage nach dem recht teuren »Q8 E-Tron«, der kaum unter 80.000 Euro zu haben ist. Chinesische E-Modelle sind erheblich billiger. Außerdem sitzen die zehn wichtigsten Hersteller von Batterien für Elektroautos in Asien, die ersten sechs kommen allesamt aus der Volksrepublik. »China und Südkorea haben vor 20 Jahren mit der Produktion von Elektrobatterien begonnen«, sagte der belgische Branchenexperte Johan Geeroms am Mittwoch bei Bruzz. Die mächtige Autolobby in Deutschland und Frankreich habe hingegen weiter auf Verbrenner gesetzt.

Audi macht für die Schließung des Werks in Vorst auch die vergleichsweise hohen Produktionskosten verantwortlich, so Belga. Ab 2027 soll statt dessen in Mexiko produziert werden. »Mindestens zehn Prozent der VW-Fabriken suchen nach neuen Modellen, um die Arbeitsplätze zu erhalten, darunter einige deutsche Fabriken«, erklärte Gewerkschafter De Schrijver in De Standaard. Vor die Wahl zwischen einer deutschen und einer belgischen Fabrik gestellt, treffe die Geschäftsführung in Wolfsburg mutmaßlich eine »deutsch-chauvinistische« Entscheidung, bemerkte De Standaard.

Hilfe könnte aus China kommen. In Vorst steht eine vollständige Produktionslinie mit dazugehöriger Infrastruktur. »Chinesische Autohersteller haben sich bereits in Schweden und Ungarn niedergelassen. Ich denke, dass sie sicherlich auch an anderen Orten in Europa nach möglichen Standorten suchen«, so Branchenkenner Geeroms.

»Mitarbeiter von Audi Brussels waren Pioniere beim Bau von Elektrofahrzeugen für den Konzern. Sie verfügen über unschätzbares Fachwissen. Dies ist eine moderne und technologisch fortschrittliche Fabrik«, lobte der Vorsitzende der marxistischen PVDA-PTB, Raoul Hedebouw, am Mittwoch auf der Internetseite der Partei. »Wir können nicht mit dem Leben Tausender Arbeiter und ihrer Familien spielen.«

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