EM-Depesche (24)
Von Jürgen RothWieso bringen die Öffentlich-Rechtlichen gescheite Dokumentationen bloß dann daher, wenn Sportereignisse behandelt werden? Und langen bei zum Beispiel politischen Themen zuverlässig in die Jauchetonne?
Für das Augustheft der Konkret musste ich gerade den Fünfteiler »Angela Merkel – Schicksalsjahre einer Kanzlerin« besprechen. Etwas Dreckigeres, Degoutanteres habe ich mir lange nicht mehr angeschaut. Es war Nervenschändung.
Deshalb möchte ich Leser O. aus Frankfurt noch einmal für seinen Tipp danken. Ohne ihn wäre mir die brillante, behutsame ZDF-Produktion »Sevilla 1982 – Die Geschichte eines Jahrhundertspiels« entgangen.
Man sieht sie beide wieder, in alten Aufnahmen: die gebildeten Edelleute Rolf Kramer und Harry Valérien, die live formulierten wie Menschen und nicht wie schwerstgestörte Betriebsstricher und -huren.
Und ja, Pierre Littbarski – und das ist darüber hinaus vielerorts bezeugt – ist ein tadelloser Mann: freundlich, geradezu warmherzig, präzise in seinen Schilderungen. Leser O. hat sich für das Attribut »bieder« (für Littbarski) beinahe entschuldigt. Das muss er nicht. Die Biederen schlachten in der Regel niemanden ab. Während sich der beleidigte Paul Breitner als der Stinkstiefel geriert, der er immer war. Das ist in seiner sacht kontrastierenden Dramaturgie äußerst aufschlussreich.
Am bewegendsten sind die Interviewpassagen mit Toni Schumacher, den die – zumal französischen – Medien zum »Nazischwein« und »SS-Mann« gestempelt hatten. »Du wirst dann auch dunkel«, sagt er – und spricht über seine tiefen Depressionen. Möge dieser Satz von ihm ins kollektive Gedächtnis eingehen: »Das war das wichtigste, aufregendste und schönste Spiel, was ich in meinem Leben mitmachen durfte.«
Nachdem ich den Film zu Ende gesehen hatte, knallte ein Gewitterregen runter. Ich saß am Fenster und dachte darüber nach, wie man das Geräusch beschreiben könnte, das die über die halb überflutete Straße brummenden Autos machen. Ist’s ein Rauschen? Oder eher ein Zischen? Oder so, wie wenn man mit einem feinen Schleifpapier eine Holzplanke bearbeitet?
Es ist, wie’s ist.
Solidarität jetzt!
Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren. Denn nicht allen lernen die junge Welt kennen, da durch die Beobachtung die Werbung eingeschränkt wird.
Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!
-
Leserbrief von Onlineabonnent/in Franz S. (12. Juli 2024 um 10:15 Uhr)»Möge dieser Satz von ihm ins kollektive Gedächtnis eingehen: ›Das war das wichtigste, aufregendste und schönste Spiel, was ich in meinem Leben mitmachen durfte.‹« Wie ist das jetzt zu verstehen? War das nicht das Spiel, in dem Schumacher den französischen Spieler Battiston in Kung-Fu-Manier foulte, so dass dieser einen Wirbelbruch erlitt und mehrere Zähne verlor. Schumachers zynischer Kommentar nach »einem der übelsten Fouls der WM-Geschichte« (Spiegel): »Wenn es nur die Jacketkronen sind, die bezahle ich ihm gerne«. Und da wundert sich der Autor über die entsprechende Reaktion der französischen Medien.
Mehr aus: Feuilleton
-
In der Stunde der Gefahr
vom 12.07.2024 -
Eine Drachme für die Pumps von Herakles
vom 12.07.2024 -
Ein Song als Vermächtnis
vom 12.07.2024 -
Nachschlag: Königskinder
vom 12.07.2024 -
Vorschlag
vom 12.07.2024