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Aus: Ausgabe vom 15.07.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Reaktionärer Staatsumbau

Tod durch Polizeigewalt

Griechenland: Am 13. Juli 2020 verstarb Vasilis Maggos. Einen Monat vor seinem Tod hatten Einsatzkräfte ihn gefoltert
Von Alieren Renkliöz, Athen
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Polizisten misshandeln Vasilis Maggos vor laufender Kamera, das Gesetz müssen sie nicht fürchten (Volos, 14.6.2020)

Vor vier Jahren hat eine Mutter in der griechischen Hafenstadt Volos ihren Sohn tot in seinem Zimmer aufgefunden. Der Verstorbene war Vasilis Maggos, den die griechische Polizei am 14. Juni, einen Monat vor seinem Tod, erst vor laufenden Kameras zusammengeschlagen, dann widerrechtlich inhaftiert hatte. Die Polizisten hätten ihn auf der Wache gefoltert, berichtete Maggos vor seinem Tod.

Dieser Fall ist paradigmatisch für die Polizeigewalt, mit der der griechische Staat gegen politische Opposition vorgeht. Infolge der Finanzkrise wurde die Polizei vermehrt zur Aufstandsbekämpfung eingesetzt, so nach Krawallen im anarchistisch geprägten Exárchia in Athen. Hier erschoss die Polizei 2008 den 15jährigen Alexandros Grigoropoulos. Meist müssen Einsatzkräfte keine Konsequenzen fürchten. Zum Beispiel sprach ein Gericht zwei Polizisten frei, die vor zwei Jahren die am Boden liegende Dragqueen Zacharias Kostopoulos auf brutale Art inhaftiert hatten, statt die Wunden der im Sterben Liegenden zu versorgen. Zwei Faschisten hatten Kostopoulos wegen seines politischen Einsatzes für die Rechte queerer Menschen überfallen. Im selben Jahr tötete ein Polizist einen 16jährigen Roma mit einem Schuss in den Kopf. Die mit Sturmhauben vermummten Polizisten, die auf Vasilis Maggos einschlugen, wurden im Anschluss an die Tat vom Strafvollzug gedeckt. Der Vater des Opfers musste sich über den Rechtsweg die Namen der Täter erkämpfen.

Da die Polizeigewalt gegen Maggos im Zuge von Demonstrationen gegen den Zementproduzenten Lafarge stattfand, wirft der Tod des 27jährigen die Frage auf, inwiefern er den Profitinteressen des Konzerns weichen musste. Als die Polizei Maggos angriff, hatten die Protestierenden sich nämlich vor dem städtischen Gerichtsgebäude versammelt, weil am Tag zuvor auf einer Demonstration gegen Lafarge zwei Aktivisten gefangengenommen worden waren. Folgt man den Berichten des Opfers, kannten die Polizisten Maggos’ Namen, ohne ihn diesbezüglich befragt zu haben.

Maggos wollte sich mit den Gefangenen solidarisieren, als er auf das Gerichtsgebäude zulief. In diesem Moment verließen vier schwarzgekleidete und mit Sturmhauben vermummte OPKE-Einheiten das Gebäude. Die OPKE ist eine mit Sonderrechten ausgestattete »Gruppe zur Kriminalprävention und -bekämpfung«, so die Abkürzung. In der Praxis kommt sie überwiegend bei gewaltsamen Räumungen von Hausprojekten und anderen politischen Besetzungen in Einsatz. Ein Video dokumentiert den Tathergang: Es gibt keine Befragung, die OPKE versuchen Maggos nicht zu fixieren, sondern traktieren den am Boden Zuckenden mit Schlagstockhieben und Fußtritten. Ein Dutzend Bereitschaftspolizisten stellt sich schützend um die Täter. Nach dem Angriff schrieb Maggos in sozialen Netzwerken: »Sie schlugen mich, bis ich nicht mehr atmen konnte, denn ich wurde schwer in die Rippen geschlagen. Ich habe geschrien, das war ihnen egal.«

Nachdem die Beamten Maggos auf der Polizeistation weiter misshandelt hatten, warfen sie ihn mit sieben gebrochenen Rippen und mehreren Organverletzungen auf die Straße vor dem Gebäude. Vier Passanten, die Maggos dort fanden, bezeugen diese Verletzungen. Die Staatsdiener hatten dem Gefangenen jegliche medizinische Versorgung verwehrt, erniedrigten ihn und drohten ihn zu vergewaltigen. Maggos wurde zu spät ins Krankenhaus eingeliefert. An seiner Misshandlung waren insgesamt sechs Beamte beteiligt, gegen die aktuell ein Strafverfahren wegen gemeinschaftlicher Folter, gefährlicher Körperverletzung und gemeinschaftlicher Täterschaft sowie illegaler Inhaftierung läuft. Die Angeklagten dürfen Griechenland nicht verlassen.

Dass es zu solchen Gewaltexzessen kommt, liegt auch daran, dass die Migrationspolitik der EU Polizeigewalt als notwendiges Mittel braucht. Gewalt und Repression, die die Polizei gegen Migranten einsetzt, normalisieren sich: So wurden im Mai 2024 in Athen Aktivistinnen, die auf den Völkermord an den Palästinensern aufmerksam machten, in ein Gefangenenlager für Migranten gesteckt (jW berichtete).

Angesichts der erfahrenen Ungerechtigkeit blieb Vasilis Maggos kämpferisch, auf Social Media schrieb er wenige Tage nach dem Angriff auf ihn: »Wenn sie glauben, dass sie uns Angst einjagen, dann irren sie sich gewaltig: Unsere Ideen werden nie sterben, wir werden immer hier sein, gegen alles, was uns am Atmen hindert, für die Freiheit von uns allen. Und mögen wir auch nie gewinnen, wir werden immer kämpfen!«

Hintergrund: Zementkonzern ­Lafarge-Holcim

Die Stadt Volos ist überdurchschnittlich stark durch Umweltverschmutzung belastet. Mitverantwortlich hierfür ist der Schweizer Zementkonzern Lafarge-Holcim, der am Stadtrand von Volos tonnenweise Abfälle verbrennt, um seine Öfen für die Zementproduktion zu heizen. Das Werk ist eine der größten Verbrennungsanlagen in Europa, und der Staub und die Gifte, die durch die Abfallverbrennung entstehen, gefährden die Gesundheit der Bewohner. Krankheiten wie Krebs häufen sich hier. »Jeden Tag riecht die Luft über der Stadt nach verbrannter Plaste«, berichtet ein Bewohner.

Vasilis nahm an Demonstrationen gegen Lafarge teil, so auch am 13. Juni 2020. Bürger und Verbände forderten an diesem Tag die Schließung der Abfallverbrennungsanlage. Die Polizei setzte Gewalt ein, um die Demonstration aufzulösen und nahm zwei Jugendliche fest. Ein Aktivist aus Volos kritisiert: »Die Polizei schützt Lafarge und geht mit Gewalt gegen jene vor, die sich gegen die Umweltverschmutzung wehren.« Die Gewalt, die Vasilis Maggos durch die Beamten erfuhr, geschah während einer Solidaritätskundgebung mit den gefangenen Aktivisten. Sowohl bei der Demo am 13. Juni 2020 als auch vor dem Gerichtsgebäude am Tag darauf setzte der griechische Staat die Polizei ein, um die Profitinteressen von Lafarge-Holcim gegen das Allgemeinwohl durchzusetzen.

In den USA ist Lafarge 2022 wegen Finanzierung des »Islamischen Staates« (IS) verurteilt worden. Um den Betrieb einer Fabrik in Syrien fortzusetzen, zahlte Lafarge in den Jahren 2013 und 2014 sechs Millionen Dollar an den IS und die Nusra-Front. In Frankreich steht der Konzern wegen Verbrechen gegen die Menschheit vor Gericht. (ar)

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