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Aus: Ausgabe vom 15.07.2024, Seite 4 / Inland
Kriegspolitik

»Asow« on the Road

Neonazibrigade geht auf Europatournee – auch in Deutschland sind Auftritte geplant
Von Susann Witt-Stahl
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Ukrainische Faschisten feiern sich: »Unsere Leute sind überall« (Saporischschja, 5.5.2024)

Die Propagandamaschine der »Asow«-Bewegung präsentiert Kriegshelden zum Anfassen. Am 21. Juli startet sie eine Europatournee mit Angehörigen ihres Kampfverbands 3. Separate Sturmbrigade in der ukrainischen Armee. Geplant hat die Einheit, die von Andrij Bilezkij, einem der einflussreichsten Neonaziführer der Ukraine kommandiert wird, zunächst Auftritte in Warschau und Wrocław, später in Prag, Vilnius, Rotterdam und Brüssel.

Seit ukrainische Faschobanden als Brothers in Arms der NATO im Stellvertreterkrieg gegen Russland fungieren, gilt der kategorische Imperativ »Nie wieder!« auch hierzulande nur noch befristet bis zum nächsten Mal. Und so sind für den 25. und 26. Juli auch Veranstaltungen der »Asow«-Sturmbrigade in Deutschland angekündigt: In Berlin werden die »epischsten Geschichten von der Front« garniert mit »Soldatenhumor« für 20 Euro, in Hamburg für 15 Euro angeboten; der Erlös geht an »Asow«. »Kommt zum Treffen mit den echten Kämpfern der Brigade, die in den Schlachten in Bachmut, Awdijiwka und Charkiw waren«, heißt es in der Werbung, die in Social-Media-Kanälen verbreitet wird. »Unzensiert erzählen sie alles über ihren Dienst.«

Bezweifelt werden darf, dass das auch für hässliche Wahrheiten zutrifft, die die Medien in Deutschland und anderen NATO-Ländern seit 2022 mit großem Aufwand verschweigen, verharmlosen oder leugnen: Die 3. Sturmbrigade inszeniert sich bis heute mit Stolz als historischer Erbe des Bandera-Flügels der faschistischen Organisation Ukrainischer Nationalisten und deren bewaffneten Arms, Ukrainische Aufständische Armee, die einst zu den willigsten Helfern im Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion und dem Holocaust zählten. Ungebrochen ist auch ihre Bewunderung für Hitlers Elitekrieger: Diverse Symbole der 3. Sturmbrigade sind in Anlehnung an die Insignien der Waffen-SS gestaltet, eines sogar nach dem Truppenkennzeichen der 36. Waffengrenadierdivision »Dirlewanger«.

Zweck der Europatournee ist laut der »Asow«-Brigade, »Fans im Ausland zu treffen«. Aber der Ankündigung ist zu entnehmen, dass ihre Mission über Geldakquise und das bereits weit fortgeschrittene Branding von »Asow« – mit eigenen Filmproduktionsfirmen, Modelabels, Verlagen, neuerdings sogar einer Netflix-Serie – für den Kulturindustriemarkt im Westen hinaus geht. »Wir wissen, dass ihr die Heimat vermisst«, so der Wink mit dem Zaunpfahl in Richtung der hier lebenden ukrainischen Männer. »Ihr könnt euch unseren Reihen anschließen.« Wer sich partout nicht für den Heldentod in der Ostukraine begeistern will, soll wenigstens Ersatzdienst im Ausland leisten: »Ihr könnt lokale Initiativen gründen«, so die Aufforderung von »Asow«, die Bewegung in Deutschland zu etablieren. Diese hat mit einem Ableger von »Centuria« (einer der mächtigsten Neonaziorganisationen der Ukraine, deren militärischer Arm in die 3. Sturmbrigade eingegliedert ist) bereits in Magdeburg Fuß gefasst. Dass »Asow« Expansionsdrang hat, indiziert auch der Titel der Tournee: »Unsere Leute sind überall.«

In Hamburg ist für das Nazispektakel im Talkshowformat mit »Feine Ukraine« der optimale Gastgeber gefunden: Der »Verein der deutsch-ukrainischen Zusammenarbeit« initiiert regelmäßig Kundgebungen für mehr Waffenlieferungen und die Einrichtung einer Flugverbotszone über der Ukraine und damit faktisch für den Kampfeinsatz von NATO-Truppen gegen Russland. Vergangenen Monat war »Feine Ukraine« Mitorganisator einer Veranstaltung, inklusive Autogrammstunde, mit der ukrainischen Sanitätssoldatin Julija Pajewska – ein Exmitglied des banderistischen »Rechten Sektors« – in der renommierten Bucerius Law School. In Berlin soll die »Asow«-Show am Donnerstag im Hotel Continental – Art Space in Exile, Zentrum für Moderne Kunst in Treptow stattfinden, das vorwiegend von geflohenen ukrainischen Künstlern genutzt und dessen Träger Ogalala Kreuzberg e. V. »zur Förderung von Kunst und Kultur« ist. Eine Anfrage der jW-Redaktion bei Hotel Continental – das auch Kooperationspartner des Deutschen Theaters ist – zu seiner fragwürdigen Kooperation mit faschistischen Horden, blieb bislang unbeantwortet.

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  • Leserbrief von Wolf Göhring aus Bonn (22. Juli 2024 um 14:58 Uhr)
    »Asow« feiert, um genau zu sein, die SS-Panzerdivision »Das Reich« als »Befreier von Charkow«, weil diese Mitte März 1943 Charkow von der Roten Armee zurückerobert hatte. Die Rote Armee hatte ihrerseits Charkow Mitte Februar 1943, kurz nach der deutschen Kapitulation in Stalingrad, von der Wehrmacht befreit. »Asow« schmückt sich auch mit dem Zeichen dieser SS-Division, nämlich der Wolfsangel. Mein Stiefvater berichtete einmal in den 1950ern meiner Mutter, dass er mehrmals in Charkow war, das letzte Mal nach dieser Rückeroberung. Und er sagte: »Da hatte die SS die Balkone mit Gehängten ›verziert‹!« Er sagte das so sarkastisch, um meiner Mutter, die wenig vom Geschehen an der Front wusste, klarzumachen, welche Verbrechen die SS dort begangen hatte. Diese von »Asow« gefeierten Verbrecher wurden später in den Westen verlegt. Dort beging am 10. Juni 1944 eine Einheit der von »Asow« bewunderten SS-Division, aufgefüllt mit zwangsrekrutierten Elsässern, das Massaker von Oradour sur Glâne in Frankreich. Die Kommandeure hatten solches in den besetzten Gebieten der Sowjetunion »gelernt«: Sie verübten dort regelmäßig derartige Massaker.

    Maximilian Krah von der AfD wollte nicht alle SS-Leute als Verbrecher sehen; man müsse das im Einzelfall bewerten. Für diese öffentlich geäußerte Ansicht wurde er zurecht scharf kritisiert. "Asow" treibt die Entschuldigung von SS-Verbrechern auf die Spitze: sie feiern solche Verbrecher. Letztlich verehren sie die Kommandeure des Massakers von Oradour sur Glâne und verspotten jene, die am 10 Juni dieses Jahres der Opfer gedachten.

    Die "Asow"-Auftritte in Deutschland sind zu verbieten.
  • Leserbrief von Reinhard Hopp aus Berlin (15. Juli 2024 um 11:06 Uhr)
    Der Faschismus ist grenzenlos. Die (deutsche) Dummheit jedoch ebenfalls.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Marc P. aus Cottbus (14. Juli 2024 um 23:39 Uhr)
    Die Veranstaltung in Berlin wird möglicherweise eine illustre Mischung unterschiedlicher Besucher aufweisen, lässt sich vermuten mit Blick auf die Art der Unterstützer und Sponsoren ukrainischer Nationalisten in der jüngeren Vergangenheit, von deutschen Neonazis über Bürgerlich-Liberale bis hin zu einzelnen Linken-Politikern.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (14. Juli 2024 um 22:38 Uhr)
    … und was sagen für gewöhnlich gut informierte Kreise zu dieser Europatournee?

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