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Aus: Ausgabe vom 15.07.2024, Seite 5 / Inland
Klimaschutzgesetz

Klimaregeln zum Trotz

Verkehrs- und Wirtschaftsministerium ergreifen keine Maßnahmen gegen Treibhausgasemissionen
Von Wolfgang Pomrehn
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Nicht nur im Verkehr wurden die Emissionsziele deutlich verfehlt

Eigentlich müssten Wirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) und Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) an diesem Montag Sofortprogramme vorlegen, wie im Verkehrs- und im Gebäudebereich rasch der Treibhausgasausstoß gesenkt werden könnte. So sieht es das Klimaschutzgesetz vor: In ihren Sektoren wurden die Minderungsziele erneut nicht erreicht, wie vor genau drei Monaten der Expertenrat für Klimafragen der Bundesregierung attestiert hatte.

Das Gremium ist ebenfalls im Gesetz vorgesehen und hat die Aufgabe, über die Einhaltung der dort definierten Höchstmengen an Treibhausgasen zu wachen. Am 15. April hatte der Rat seine Beurteilung für 2023 vorgelegt. Demnach war das Ergebnis für den Gebäudesektor ziemlich knapp, für den Verkehrssektor allerdings eindeutig: »In seiner Prüfung (...) bestätigt der Expertenrat, dass der Verkehrssektor die im Bundes-Klimaschutzgesetz zulässige Jahresemissionsmenge um 12,8 Mt CO2-Äq. (Millionen Tonnen CO2-Äquivalente) überschritten hat.«

Laut Paragraph acht Klimaschutzgesetz hätte zumindest Verkehrsminister Wissing nun binnen drei Monaten – also bis diesen Montag – »ein Sofortprogramm für den jeweiligen Sektor« vorlegen müssen, »das die Einhaltung der Jahresemissionsmengen des Sektors für die folgenden Jahre sicherstellt«. Doch aus dem Ministerium war am Freitag verklausuliert zu erfahren, dass man sich nicht an diese gesetzliche Vorgabe halten werde. Offensichtlich hatte Wissing, wie vermutlich auch Habeck, gehofft, dass das alte Klimaschutzgesetz bis dato nicht mehr in Kraft sein würde.

Denn die Ampelkoalition hatte – auf Drängen der FDP, die sich selbst noch gegen die kleinsten Klimaschutzmaßnahmen im Verkehrssektor sträubt – bereits im April eine Novelle des Gesetzes durch den Bundestag gebracht, in der die Sektorenziele gestrichen wurden. Künftig soll es nur ein allgemeines Ziel, also weniger klare Verantwortlichkeiten geben. Mitte Mai hatte auch der Bundesrat zugestimmt, seitdem liegt das neue Gesetz beim Bundespräsidenten. Dieser lässt sich mit seiner Unterschrift ungewöhnlich lange Zeit, weshalb die Novelle noch nicht in Kraft getreten ist. Wie es aus dem Bundespräsidialamt heißt, wird die Prüfung demnächst abgeschlossen. Hintergrund etwaiger präsidialer Bedenken könnte ein Sondergutachten des Expertenrats sein, in dem dieser dem neuen Gesetzestext Anfang Juni bescheinigte, die dort formulierten Klimaziele würden voraussichtlich nicht erreicht.

Mag auch sein, dass die Ankündigung der Umweltschutzverbände, vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen, im Bundespräsidialamt ernstgenommen wird. Denn die noch gültige Fassung, die durch die Novelle entkernt werden soll, wurde 2020 aufgrund eines Verfassungsgerichtsurteils verabschiedet. Die Karlsruher Richterinnen und Richter hatten seinerzeit geurteilt, dass der Gesetzgeber mit seinem mangelhaften Klimaschutz die Freiheitsrechte künftiger Generationen unzulässig einschränkt. Die Sektorenziele waren daraufhin etwas verschärft und auch für die Zeit nach 2030 weitere Absenkungen der Treibhausgasemissionen festgelegt worden.

Doch nun soll das Rad zurückgedreht werden. »Während sich die Klimakrise zuspitzt, bleibt die Ampel-Regierung den Beitrag Deutschlands schuldig«, kritisierte der Vorsitzende des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND), Olaf Bandt. Der BUND werde sich daher an den Verfassungsklagen beteiligen. Es sei nicht nachvollziehbar, dass eine Preisstabilität beim Deutschlandticket nicht möglich sein soll, während Minister Wissing vollmundig den Bau neuer, teurer und naturzerstörender Autobahnen ankündigt, so Bandt.

Der Umweltschützer forderte als Sofortmaßnahmen unter anderem ein generelles Tempolimit auf Autobahnen, eine Reform der Dienstwagenbesteuerung und die Einführung einer Kerosinsteuer, die auch für Frachtflieger und Privatjets gilt. Außerdem brauche es einen »Sanierungsturbo« für Schulen, Schwimmbäder und Sporthallen.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Olaf M. aus München (16. Juli 2024 um 11:05 Uhr)
    Diesem Artikel möchte ich einen Satz entgegensetzen, den Clara Mattei im Interview in der gleichen jW-Ausgabe gesagt hat: »Es gibt kein Geld für das Sozialsystem, aber es gibt immer einen Haufen Geld für das Großkapital, den militärisch-industriellen Komplex, die gesamte grüne Transformation, die in den Händen der globalen Vermögensverwalter liegt.« Das sogenannte Klimaschutzgesetz ist Teil der grünen Transformation. Es wäre so wünschenswert, wenn mehr Menschen aufwachen und die katastrophale Entwicklung erkennen würden, die durch die »Rettung des Klimas« ausgelöst wird! Hierzu nur ein Satz von Professor Michael Kelly von der Universität Cambridge: »Eine Dekarbonisierung um 80 % bis 2050 ist ohne Massensterben unmöglich«. Sein Vortrag ist von 2010, aber er ist leider heute aktueller denn je (https://www.rbkc.gov.uk/pdf/Prof%20Mike%20Kelly%20-%20FENand%20ER.pdf).
  • Leserbrief von Klaus Peters aus St.Peter-Ording (14. Juli 2024 um 20:56 Uhr)
    Klimaregeln zum Trotz. Die Klimapropaganda hat eigentlich beispielhaft funktioniert, doch der Verkehrs- und Wirtschaftsminister setzt auf Untätigkeit und wird belohnt. Das Ende ist noch nicht sicher, aber die Propagandamaschine ist gut geschmiert. Die Straßenverkehrsopfer haben keine vergleichbare Lobby. Seit Jahrzehnten hat die Straßenverkehrssicherheit nur geringes Interesse bei Politik, Medien und Umweltverbänden. Nach den kürzlich von Statistischen Bundesamt veröffentlichten Daten für 2023 ist die Zahl der Getöteten nach vielen Jahren des Rückgangs erneut gestiegen, gegenüber 2022 um 1,8 Prozent auf 2.839. Die Zahl der getöteten Fahrradfahrer ist in den vergangenen Jahren sogar überproportional gestiegen. Täglich sterben acht Personen auf unseren Straßen. Deshalb sind nicht nur drastische Geschwindigkeitsbegrenzungen, wie in prinzipiell allen Staaten der EU und in der Welt, erforderlich, es muss auch eine Pflicht zum Tragen von Fahrradhelmen geben, zumindest für Kinder und E-Bike-Fahrer.

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