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Aus: Ausgabe vom 15.07.2024, Seite 7 / Ausland
Gazakrieg

Suche nach Verantwortung in Israel

Erster Teilbericht der Streitkräfte zum 7. Oktober. Öffentlichkeit und Parteien fordern Enquetekommission
Von Knut Mellenthin
ISRAEL-PALESTINIANS.JPG
Hatten dem Angriff der Hamas und ihrer Verbündeten erstaunlich wenig entgegenzusetzen: Israelische Soldaten bei Aschkelon (7.10.2023)

Nach der Vorlage des ersten Teilberichts der israelischen Streitkräfte (IDF) zum 7. Oktober 2023 am Donnerstag vergangener Woche haben die Spitzenpolitiker der Oppositionsparteien ihre Forderung nach der Einrichtung eines staatlichen Untersuchungsausschusses über die Vorgänge während des Angriffs aus dem Gazastreifen und dessen Vorgeschichte bekräftigt. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, welche deutlichen Warnsignale im Vorfeld ignoriert wurden und warum dies geschah.

»Die Regierung kann nicht weiter fortfahren, ihrer Verantwortung gegenüber Israels Bürgern, den Familien der Gefallenen und den Familien der Geiseln auszuweichen«, kommentierte der Oppositionsführer im Parlament und Chef der liberal-zentristischen Partei Jesch Atid (Es gibt eine Zukunft). »Statt Soldaten zu beschuldigen, die ihr Leben zum Schutz der Bewohner vor blutrünstigen Terroristen riskierten«, müsse die Untersuchung bei Premierminister Benjamin Netanjahu und Verteidigungsminister Joaw Gallant beginnen, erklärte der Führer der radikalnationalistischen Partei Jisrael Beitenu (Unser Haus Israel), Avigdor Lieberman. Auch die gesamte Spitze der IDF trage Verantwortung, »besonders diejenigen, die im Vorfeld des Krieges behaupteten, die Hamas sei abgeschreckt und habe kein Interesse an einer Eskalation«. Naftali Bennett, 2021/22 Chef einer Koalitionsregierung, warf der Regierung und dem Oberkommando der IDF vor, sie hätten »einen riesigen, unvorstellbaren Fehler« verschuldet, »indem sie zuließen, dass der 7. Oktober geschehen konnte«. Der Chef eines vor wenigen Tagen gebildeten Zusammenschlusses der Arbeitspartei mit der etwas linkeren Meretz, Jair Golan, kritisierte, dass der am Donnerstag vorgestellte Teilbericht »nur ein Tropfen im Ozean« sei, »verglichen mit der Untersuchung, die durchgeführt werden müsste«.

Sogar Verteidigungsminister Gallant selbst, der zwar der rechten Regierungspartei Netanjahus angehört, aber häufig Konflikte mit dem Premierminister offen austrägt, unterstützt die Forderung nach einem Untersuchungsausschuss. Dieser müsse »objektiv sein«; »er muss uns alle überprüfen – die Regierung, die Armee und die Sicherheitsdienste«. Für eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung steht das Urteil jetzt schon fest: Einer Umfrage zufolge, über die israelische Medien am Freitag berichteten, befürworten 72 Prozent der Gefragten, dass Netanjahu wegen seiner Fehler im Zusammenhang mit dem 7. Oktober zurücktreten sollte. 44 Prozent meinen, dass das sofort geschehen sollte, 28 Prozent wollen das Ende des Krieges abwarten.

Der am Donnerstag präsentierte erste Untersuchungsbericht beschäftigt sich nur mit den Kämpfen im Kibbuz Beeri zwischen dem 7. und 10. Oktober. Die Zahl der Opfer war dort besonders hoch: Von rund 1.000 Einwohnern starben 101, außerdem wurden 31 Angehörige der Einsatzkräfte getötet und 32 Menschen in den Gazastreifen entführt. Gegen sieben Uhr morgens waren mehrere hundert bewaffnete Palästinenser in Beeri eingedrungen, wenige Minuten nach neun waren die ersten Soldaten, zunächst nur 13 Mitglieder einer Spezialeinheit der Luftwaffe, zur Stelle. Im Bericht wird festgestellt, dass die Bewohner von Beeri mehrere Stunden lang völlig auf sich allein gestellt blieben. Am Abend zwischen 17.30 und 19 Uhr gab es einen »Zwischenfall«, bei dem ein Panzer insgesamt vier Granaten auf ein Haus schoss, in dem sich acht palästinensische Kämpfer und 14 Israelis befanden, von denen nur zwei überlebten. Im Bericht wird den beteiligten israelischen Soldaten bescheinigt, sie hätten »professionell und verantwortungsvoll gehandelt«.

Insgesamt sind Berichte der IDF zu rund 40 einzelnen Schauplätzen des 7. Oktober geplant. Sie sollen jeweils nach Fertigstellung zugänglich gemacht werden und bis Ende August abgeschlossen sein. Untersuchungen zur Missachtung der Hinweise auf eine geplante palästinensische Großoffensive sind zwar versprochen, lassen aber weiter auf sich warten.

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