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Aus: Ausgabe vom 15.07.2024, Seite 15 / Politisches Buch
Staatsverbrechen

Der Staat und die Macht

»Geheimsache Italien«: Giuliano Turones fundierte Arbeit über das Netzwerk um die Loge P2
Von Gerhard Feldbauer
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Wusste zuviel: Der im Juni 1982 in London ermordete »Bankier Gottes«, Roberto Calvi, hier 1981 in Mailand

Das von dem ehemaligen Untersuchungsrichter und Hochschullehrer Giuliano Turone verfasste Buch »Geheimsache Italien« rekonstruiert mit vielen neuen Perspektiven das nach 1980 aufgedeckte Netzwerk von Faschisten, Größen der Wirtschaft und Politik, des Sicherheitsapparates, der Mafia und der Kirche. In 14 Kapiteln hellt der Autor die »zentrale Rolle« des »geheimen Machtmechanismus« auf, der unter der Tarnung der Freimaurerloge Propaganda Due (P2) operierte. Er geht der Rolle der von Geheimdiensten unterwanderten Roten Brigaden beim Mordkomplott gegen den christdemokratischen Parteiführer Aldo Moro im Jahr 1978 nach und behandelt die Komplizenschaft des mehrmaligen Ministerpräsidenten Giulio Andreotti mit der Mafia. Er zeigt, wie das P2-Mitglied Roberto Calvi als Finanzmanager des Vatikans bei dessen Zusammenwirken mit Mafia und Faschisten die Fäden zog.

Turone war in Mailand als Richter und Mitglied der nationalen Antimafiakommission des Parlaments führend an den Ermittlungen zu diesen Verbrechen beteiligt. Auf der Grundlage eigener Recherchen sowie vieler unveröffentlichter oder in Urteilen nicht ausgewerteter Dokumente hat er ein in dieser Tiefe bislang nicht vorhandenes fundiertes Werk vorgelegt.

Er bestätigt, dass Mitglieder der P2, unter denen auch der 1994 an die Macht gehievte Silvio Berlusconi war, in wichtigen Positionen des Militärs, der Geheimdienste, der Pressewelt, der Finanzen, der Politik saßen, darunter drei Minister und drei Staatssekretäre Andreottis. In den mit der Fahndung nach den Entführern Moros befassten Stäben saßen 57 P2-Mitglieder, darunter fünf direkt im Krisenstab von Innenminister Francesco Cossiga, die alle Maßnahmen, welche zur Befreiung des DC-Vorsitzenden hätten führen können, durchkreuzten.

Der diensthabende Offizier im Polizeipräsidium verschleppte die Auslösung der Fahndung; der Direktor des römischen Fernsprechamtes sorgte nach dem Überfall eine Stunde lang für den Ausfall der Telefonverbindungen, was die Koordinierung der Fahndung erschwerte; der leitende Staatsanwalt Luciano Infelisi ließ Fotos von den unmaskierten Attentätern und ihren Fahrzeugen, die der Leiter einer Kfz-Werkstatt geistesgegenwärtig gemacht hatte, verschwinden; Hinweisen auf ein Versteck, die sich später als richtig erwiesen, wurde nicht nachgegangen. Turone kann darlegen, dass die eigentliche Schlüsselfigur des Mordkomplotts Andreotti war.

Zur Sprache kommt die Verwicklung des Vatikans in ungeheuerliche Vorgänge, so die Geschäfte des Präsidenten der Vatikanbank mit Finanzhaien wie dem Mafia-Vertrauten Michele Sindona und dem P2-Bankier Roberto Calvi. Turone erinnert auch an viele Opfer des Terrors von Mafia und Faschisten, die bis heute im Ausland kaum bekannt sind. Darunter war Piersanti Mattarella, Bruder des heutigen Staatspräsidenten Sergio Mattarella. Nachdem er auf Sizilien nach dem Beispiel Moros eine Regionalregierung mit den Kommunisten angekündigt hatte, wurde er im Januar 1980 ermordet.

Ein ausführliches Literaturverzeichnis, Anmerkungen, Glossar und Register helfen dem Leser bei der Orientierung.

Giuliano Turone: Geheimsache Italien. Politik, Geld, Verbrechen. Marix, Wiesbaden 2023, 416 Seiten, 29,90 Euro

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