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Aus: Ausgabe vom 09.07.2024, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Klassenkampf von oben

Kranker Selbstzahler

Österreich: Salzburgs Wirtschaftskammer fordert kein Geld für Arbeiter bei erstem Krankenstandstag. ÖGB und AK kontern – Kritik aus Nationalrat
Von Oliver Rast
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Der wichtigste Statistikwert: 90 Prozent der Beschäftigten gehen auch erkrankt hackeln

Es braucht immer einen, der vorprescht. Bei arbeiterfeindlichen Vorschlägen etwa. In dem Fall ist es Peter Buchmüller, der Präsident der Wirtschaftskammer Salzburg (WKS) und Obmann des Salzburger Wirtschaftsbundes, einer Teilorganisation der konservativen Österreichischen Volkspartei (ÖVP). »So viele Krankenstände wie in den vergangenen Jahren habe ich in vier Jahrzehnten als Arbeitgeber nicht erlebt«, hatte er am vergangenen Dienstag den Salzburger Nachrichten gesagt. Kurzfristige Krankenstände hätten stark zugenommen. Sein Rezept: kein Geld für den ersten Krankheitstag, von Arbeitsunfällen abgesehen. Buchmüller: »Das wäre ein sozialverträglicher Ansatz, der helfen würde, Kurzzeitkrankenstände erheblich zu reduzieren und Missbrauch zu verhindern.«

Richtig ist: 2023 waren Österreichs Beschäftigte im Schnitt 15,4 Tage im Krankenstand. Ein Rekordwert – und ein Viertel mehr als noch 2021. Das ergab der gleichentags vorgestellte »Fehlzeitenreport« des Wirtschaftsforschungsinstituts (Wifo). Ferner fallen pro Krankenstandstag eines Lohnabhängigen 250 Euro für die Kapitalseite an. Einer der Hauptgründe für den Zuwachs ist leicht erklärbar: Erst ab August 2022 sind Covid-19-Infektionen in die Krankenstandsstatistik eingeflossen.

Wenn etwas alarmieren sollte, dann das: Rund 90 Prozent der Beschäftigten geht regelmäßig krank arbeiten, so Philipp Brokes, Vizeleiter der Abteilung Sozialpolitik bei der Arbeiterkammer Wien, am Montag zu jW. Fatal, denn »kommen Arbeiternehmer:innen krank in den Betrieb, sind sie unfallanfälliger«, teilte Barbara Kasper vom Österreichischen Gewerkschaftsbund (ÖGB) auf jW-Nachfrage mit. Und nicht zuletzt steige die Ansteckungsgefahr in der Belegschaft. Oliver Jonischkeit fordert seitens des ÖGB und der Arbeiterkammer, »den Anschlag auf die Kolleg:innen mit ganzer Kraft abzuwehren«. Sozialpartnerschaft sei die falsche Medizin, betonte der Bundessekretär des KPÖ-nahen Gewerkschaftlichen Linksblocks (GLB).

Gegenwind erhält der Wirtschaftskämmerer aus der Mozartstadt auch aus dem Nationalrat. Beispielsweise von Markus Koza: Bösartig, absurd und kontraproduktiv sei Buchmüllers Vorschlag. »Er passt besser ins Mittelalter als ins 21. Jahrhundert«, befand der Sozialsprecher der Grünen gegenüber jW. Betont arbeiterfreundlich inszeniert sich die rechte FPÖ. Die ÖVP samt parteinahem Kämmerer agierten »politisch asozial«, und es sei typisch für jene, dass es ihnen »nur um die Profitmaximierung ihrer Großindustriellen geht«, meinte deren Sozialsprecherin Dagmar Belakowitsch.

Interessant: Selbst die Kammervertreter scheinen uneins. Rolf Gleißner, Abteilungsleiter für Sozial- und Gesundheitspolitik der Wirtschaftskammer Österreich, distanzierte sich vom Vorstoß seines Kollegen Buchmüller, hatte der Standard am Mittwoch voriger Woche berichtet. Man erwarte jedoch von allen Beschäftigten »korrektes Verhalten«.

Eine Mahnung, die völlig falsch ansetzt, weiß Tobias Schweiger. In den Blick müsse das marode Gesundheitssystem genommen werden, sagte der KPÖ-Spitzenkandidat für die Nationalratswahl im September jW. Mehr noch: »Neoliberale Sparzwänge, Spitalschließungen und Fehlplanungen haben ein System der Zweiklassenmedizin geschaffen.« Kurz, Krankwerden hat System.

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