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Aus: Ausgabe vom 16.07.2024, Seite 1 / Titel
Wohnungskrise

Immer mehr ohne Bleibe

Die Wohnungslosigkeit in der BRD ist erneut gestiegen. Mehr als doppelt so viele Menschen wie vor zwei Jahren leben in kommunalen Unterkünften
Von David Maiwald
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Ob nun untergebracht oder »verdeckt«, jede wohnungslose Person ist eine zuviel

In der BRD leben knapp 440.000 Menschen in Unterkünften für Wohnungslose. Die Anzahl in Sammel- oder Wohnungslosenunterkünften sowie in überlassenen Wohnungen untergebrachter Menschen war zum Stichtag 31. Januar zum dritten Mal in Folge angestiegen, teilte das Statistische Bundesamt (Destatis) am Montag mit. Zudem hat sich ihre Anzahl in zwei Jahren mehr als verdoppelt: So waren im Jahr 2023 noch 372.000 Menschen betroffen, nach 178.000 in 2022. Destatis führte den Anstieg auf eine »Verbesserung der Datenmeldungen« im dritten Jahr der Erhebung zurück. Doch die Zahl an Wohnungslosen ist insgesamt weit höher. So weisen auch die Wiesbadener Statistiker darauf hin, ein Großteil werde in ihrer Erhebung gar nicht erfasst.

Wohnungslos untergebracht sind offenbar besonders Menschen ohne deutschen Pass. Rund 86 Prozent in kommunalen Unterkünften untergebrachter Menschen hatten laut Destatis-Erhebung keine deutsche Staatsangehörigkeit (rund 378.000). Beinahe 137.000 der ermittelten Wohnungslosen waren demnach vor dem Krieg in der Ukraine Geflüchtete. Mit rund 7.000 mehr als im Vorjahr und mit knapp einem Drittel aller untergebrachten Wohnungslosen stellten sie »wie bereits im Vorjahr die größte Gruppe« in der Statistik, so Destatis. Die Zahl untergebrachter Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit war von 2023 auf 2024 dagegen um 1.300 Menschen auf 61.500 (14 Prozent) gesunken.

Die Statistik fasse »nur einen Teil des erschreckenden Gesamtausmaßes der Wohnungsnot«, sei aber dennoch »alarmierend«, teilte die Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Wohnungslosenhilfe am Montag mit. Erst im November hatte eine eigene Hochrechnung für das Jahr 2022 mehr als 600.000 Wohnungslose bundesweit ermittelt. Ihre Erfassung berücksichtige etwa auch »verdeckt wohnungslose«, also notdürftig bei Freunden, Bekannten oder Familienangehörigen untergebrachte Personen, sowie jene, die »ohne Unterkunft auf der Straße leben«, erklärte die Pressestelle der BAG auf jW-Anfrage am Montag. Die Zählung ergab eine zusätzliche Anzahl von 50.000 Obdachlosen.

Wer auf der Straße lebt, lebt gefährlich: Im Juni wurde etwa bekannt, dass zwei Angreifer in Duisburg einen Wohnungslosen ins Krankenhaus geprügelt hatten. »Nach bisherigem Kenntnisstand« war ein am 7. Juli im Berliner Stadtteil Moabit getöteter Mann »wohl tatsächlich obdachlos und lebte auf der Straße«, teilte die Berliner Staatsanwaltschaft am Montag auf jW-Anfrage mit. Ein bereits festgenommener Tatverdächtiger stammte demnach »ebenfalls aus dem Obdachlosenmilieu«. Ein gezielter Angriff »gerade wegen der Obdachlosigkeit« sei daher zwar noch nicht auszuschließen, demnach aber wenig wahrscheinlich.

17,5 Prozent akut wohnungsloser Menschen müssen auf der Straße übernachten, bevor sie eine Fachstelle zur Hilfe aufsuchen, geht aus dem BAG-Dokumentationssystem zu Wohnungslosigkeit hervor. Weitere 50 Prozent seien demnach »verdeckt« wohnungslos bei Verwandten oder Bekannten untergebracht, teilte die BAG am Montag mit. Zur letzten Erhebung im Jahr 2022 kamen so 49.000 Menschen unter, 37.000 weitere hätten »auf der Straße oder in Behelfsunterkünften übernachtet«. Verdeckt oder nicht, es sind zu viele. Für nachhaltigen Schutz brauche es laut BAG – neben einer »wirksamen« Mietpreisbremse etwa – weitere Anstrengungen. Aber »alles in allem wird es ohne mehr bezahlbaren Wohnraum nicht klappen«.

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  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (16. Juli 2024 um 10:25 Uhr)
    Es scheint, als ob Deutschland nicht nur den schleichenden Prozess der »Deindustrialisierung« durchmacht, sondern jetzt auch einen neuen, faszinierenden Trend setzt: den »Nomadisierungs-Versuch« eines Teils der Gesellschaft. Unter der sozialen Führung einer SPD-Regierung, die anscheinend beschlossen hat, die Bevölkerung zurück zu unseren Wurzeln als wandernde Nomaden zu führen, erleben wir eine Renaissance des Lebens ohne festen Wohnsitz. Die Statistik zeigt jedenfalls deutlich, dass Deutschland auf dem besten Weg ist, ein globales Zentrum für Wohnungslosigkeit zu werden, in der Hoffnung, dass die Klimawanderung es ermöglicht. Man könnte darüber lachen, wenn es nicht so traurig wäre!
    • Leserbrief von Reinhard Hopp aus Berlin (16. Juli 2024 um 14:37 Uhr)
      Machtlos waren wir schon immer. Heimatlos sind wir schon lange. Nun folgt die nächste Stufe: Wohnungslos. Endstadium: Unbehaust und würdelos – aber in »Freiheit«!

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