Gaza unter Dauerfeuer
Von Jakob ReimannIm gesamten Gazastreifen eskaliert die Gewalt: »Israel bombardierte Gaza am Montag aus der Luft, vom Meer und vom Land aus«, heißt es bei AFP. Artilleriegranaten gingen in mehreren Vierteln in Gaza-Stadt im Norden der Küstenenklave sowie im Zentrum in Gebieten um das Geflüchtetenlager Nuseirat nieder. Augenzeugen berichteten demnach von Angriffen im südlichen Khan Junis. Im Süden beschossen auch »Apache«-Kampfhubschrauber Gebiete westlich der Stadt Rafah. Auch die Marine hat Ziele im Süden beschossen, während Kampfjets und Bodentruppen im gesamten Gazastreifen Angriffe ausführten.
Unterdessen sind neue Einzelheiten zum Massaker im Geflüchtetenlager Al-Mawasi vom Sonnabend bekanntgeworden, bei dem israelische Truppen durch Luftschläge 92 Menschen getötet und 300 weitere verletzt hatten. Der Angriff, der nach israelischen Angaben der Tötung der zwei Hamas-Führer Mohammed Deif und Rafa Salama dienen sollte, habe sich über anderthalb Stunden hingezogen, schreiben die drei Menschenrechtsorganisationen »Palestinian Center for Human Rights«, Al-Hak und »Al-Mezan Center for Human Rights« in einer gemeinsamen Erklärung am Montag. »Nach den von unseren Feldforschern gesammelten Informationen« begann der »mehrstufige Angriff« gegen 10.30 Uhr, »ohne dass die Bewohner und Vertriebenen vorher gewarnt wurden«. Kampfflugzeuge feuerten demnach zunächst mindestens vier Raketen auf eines der Gebäude im Camp ab. Darauf folgten mehrere Raketen auf das weitere Areal und die Zelte der Vertriebenen. Auch schossen Quadrokopter (mit Schusswaffen ausgestattete Minidrohnen) »auf jeden, der sich näherte«. Schließlich feuerte eine Drohne auf ein Fahrzeug des palästinensischen Zivilschutzes, das am Tatort Leichen bergen und Verletzte evakuieren wollte. Diese Darstellung widerspricht deutlich der israelischen Behauptung, es habe sich um einen »präzisen« Schlag gegen zwei Hamas-Führer gehandelt.
Während das israelische Militär behauptet, Salama sei »eliminiert« worden, ist es am Montag von der Spekulation zurückgerudert, dass wohl auch Deif getötet worden sei. »Hat Israels Attentat das Geiselabkommen zunichte gemacht?« fragte Haaretz mit Blick auf die laufenden Verhandlungen über einen Waffenstillstand und die Freilassung der rund 120 in Gaza verbliebenen Geiseln. In Israel herrsche die Meinung vor, »dass gezielte Tötungen zusammen mit der Offensive in Rafah sowie Razzien in anderen Teilen des Gazastreifens« den Druck auf die Hamas erhöhen und Jahja Sinwar, den Anführer der Organisation in Gaza, dazu veranlassen könnten, »etwas flexibler« zu werden. Auch der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu zeigte sich zuversichtlich, dass sich der Angriff vom Sonnabend positiv auf das Ziel, »alle unsere Geiseln zurück nach Hause zu bringen«, ausgewirkt habe. »Die Beseitigung hochrangiger Hamas-Führer«, versicherte er am Tag des Angriffs auf einer Pressekonferenz, »bringt uns bei der Verwirklichung aller unserer Ziele voran.«
Am Sonntag meldete AFP jedoch zunächst, dass die Hamas die Verhandlungen tatsächlich aufgekündigt habe. Unter anderem seien »die andauernden Massaker an unbewaffneten Zivilisten« der Grund für die »Entscheidung, die Verhandlungen einzustellen«, habe demnach der in Katar lebende Führer der Gruppe, Ismail Hanija, erklärt. Insgesamt hat das israelische Militär am Sonnabend 141 Menschen in Gaza getötet, so die Zahlen des palästinensischen Gesundheitsministeriums, was den höchsten Tageswert seit mehreren Wochen darstellt. Und am Sonntag hat Israel im Nuseirat-Camp eine UNRWA-Schule bombardiert, in die sich zuvor Hunderte Vertriebene geflüchtet hatten, und dabei mindestens 17 Menschen getötet, berichtet Al-Dschasira am Montag. Dies sei der fünfte Angriff auf UN-Schulen in acht Tagen.
Im Verlauf des Sonntags widersprach die Hamas laut Reuters zwar der eigenen Darstellung, sie habe sich aus den Gesprächen zurückgezogen. War aber laut Beobachtern ein durch Ägypten und Katar vermitteltes Abkommen zuvor tatsächlich nähergerückt, könnte die extreme Gewalteskalation der vergangenen Tage diese Bemühungen nun auf absehbare Zeit sabotieren.
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