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Aus: Ausgabe vom 16.07.2024, Seite 7 / Ausland
Frankreich nach der Wahl

Brotlose Spiele in Paris

Frankreich: Kein Regierungschef in Sicht. Präsident Macron kümmert sich lieber um olympische Geschäfte
Von Hansgeorg Hermann
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Das Staatsoberhaupt (M.) lässt sich feiern: Parade zum Nationalfeiertag (Paris, 14.7.2024)

Mehr als eine Woche nach den vorgezogenen Parlamentswahlen müssen sich die Franzosen weiter mit einer provisorischen geschäftsführenden Regierung zufriedengeben. Die politischen Eliten, ihr Präsident Emmanuel Macron an der Spitze, haben es bisher nicht vermocht, einen Kandidaten für den Posten des Premierministers zu finden. Gewonnen hatte die Wahl die linke Nouveau Front Populaire (Neue Volksfront, NFP). Allerdings verschleißen deren führende Köpfe ihren Sieg seither mit Positionskämpfen. Am Wochenende hatten die Kommunisten – neben La France insoumise (LFI), Sozialdemokraten und Ökologen eine der die Volksfront tragenden Parteien – die von der Insel Réunion im Indischen Ozean stammende Politikerin Huguette Bello als Regierungschefin vorgeschlagen. Als die Sozialdemokraten ihren Ersten Sekretär Olivier Faure dagegensetzte, zog Bello zurück.

Ein Schauspiel, das wohl vor allem Macron gefallen haben dürfte. Der Präsident, der mit der vorzeitigen Auflösung der Nationalversammlung am 9. Juni die gegenwärtige chaotische Situation erst geschaffen hat, zeigt sich in diesen Tagen lieber als feinsinniger Organisator der Olympischen Spiele in Paris denn als verantwortungsvoller Staatschef. Millionen Landsleute sahen ihn am Sonntag – es war 14. Juli und französischer Nationalfeiertag – frohgemut im Kreise seiner abgewählten rechtsliberalen Regierungstruppe beim alljährlichen Defilee der Armeen. Die Uniformierten marschierten diesmal nicht die Champs-Élysées hinunter, sondern die Avenue Foche, benannt nach dem gleichnamigen Maréchal, einem der militärischen Betonköpfe des frühen 20. Jahrhunderts. Die »Champs« sind aktuell reserviert für Fackelträger, die das »olympische Feuer« – gezündet im antiken Olympia auf der griechischen Peloponnes – durch die Pariser Arrondissements tragen.

Macron kommt seinem zur »Rettung der Republik« erklärten Ziel offenbar näher: der Spaltung der in der Volksfront erstmals seit 1936 vereinigte politische Linke. So wies er das am Tag nach der Wahlniederlage eingereichte Rücktrittsgesuch seines Ministerpräsidenten Gabriel Attal sofort zurück. Statt dessen beauftragte er ihn, auf unbestimmte Zeit die Regierungsgeschäfte weiterzuführen, und schaut seither zu, wie die von ihm zu nicht regierungsfähigen »Linksradikalen« erklärten Köpfe der Volksfront sich öffentlich bei der Suche nach einer vorzeigbaren Personalie zerreiben. Kolumnisten linksliberaler Hauptstadtzeitungen wie Le Monde oder Libération fragten sich am Montag, ob es inzwischen überhaupt irgendein Wahlbündnis in der Nationalversammlung wagen wolle, einem Mitglied bei den gegenwärtigen Mehrheitsverhältnissen – die drei führenden Gruppen blockieren sich im Parlament gegenseitig – eine Kandidatur für das Amt des Regierungschefs anzutragen.

Ein Rücktritt des Präsidenten nach den Olympischen Spielen und den großen Sommerferien scheint nicht mehr ausgeschlossen. Die »republikanische Tradition« missachtend, wonach er die Wahlsieger längst hätte auffordern müssen, ihm einen Kandidaten zu präsentieren, tut Macron erst mal gar nichts. Dem Volk »schenkt« er statt dessen, als sei er ein römischer Imperator, Spiele, die auf allen TV-Kanälen stündlich zu einem »absolut großartigen« Spektakel hochgejubelt werden. Die für die große Mehrheit der Menschen des Landes brotlose, aber lückenlos im Fernsehen übertragene Megaveranstaltung wird, jeweils zur besten Sendezeit, untermalt von den TV-Spots der wichtigsten »Partner«. Einem der größten wirtschaftlichen Profiteure etwa fiel der Spruch ein: »Vivre la magie des Jeux Olympiques avec Coca-Cola« (Es lebe der Zauber der Olympischen Spiele mit Coca-Cola).

Nicht mehr im Zentrum des politischen Spiels, das in den kommenden Tagen vom sportökonomischen Ereignis Olympia überlagert werden wird, sind Personalien wie die der ehemaligen Politiker von LFI und Sozialdemokraten, François Ruffin und Raphaël Glucksmann, die sich von ihren politischen Lagern abgewandt haben. Wer dem Parlament vorsitzen soll, müssen die 577 Abgeordneten am Donnerstag in der ersten Plenarsitzung des Parlaments entscheiden.

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