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Aus: Ausgabe vom 16.07.2024, Seite 8 / Inland
Antimilitarismus in der EU

»Deserteure haben es schwer, Aufenthaltsrecht zu erhalten«

Finnland: Aktivisten gegen Krieg und Wehrdienst vernetzen sich international. Ein Gespräch mit Ronja Neumann
Interview: Gitta Düperthal
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Kriegsdienstverweigerer willkommen: Aber nur die von einer Seite?

Ihre Aktionsgruppe fordert mit einer Adbusting-Aktion, Deserteuren in Europa Asyl zu gewähren, etwa mit bearbeiteten Plakaten vor der russischen und der belarussischen Botschaft in Berlin. Wie vernetzt sich dieser Teil der Friedensbewegung mit Kriegsgegnerinnen und -gegnern in Finnland?

Unser Treffen in Helsinki thematisierte Frieden und Kriegsdienstverweigerung. Am 11. Juli begannen wir dort, Werbeflächen mit Plakaten zu bestücken, die Asyl für Kriegsdienstverweigerer aus Russland und Belarus einfordern. Darin sehen wir einen cleveren Weg, das Kriegführen in der Ukraine zu erschweren. Es gilt, gewaltfreie Kampfformen zu entwickeln, statt immer mehr Geld in Waffen zu investieren. Mitgewirkt haben Aktive aus Deutschland und Helsinki sowie Menschen aus Belarus, die von dort vor einiger Zeit nach Litauen geflohen sind.

Unsere Aktionsgruppe fand sich im Anschluss an das Camp der Kampagne »Food Not Bombs – Essen statt Bomben« zusammen. Das Camp fand vom 24. Juni bis 5. Juli in Helsinki statt. Dort ging es um Gewaltlosigkeit und soziale Probleme in Finnland. Mahlzeiten wurden an Bedürftige verteilt, verbunden mit der Idee, sich auf die Lösung von Problemen wie Hunger, Obdachlosigkeit und Armut zu konzentrieren und zugleich Krieg, Aufrüstung und Umweltzerstörung zu beenden.

Wie fielen die Reaktionen auf die Aktion in Helsinki aus?

Die Plakate hingen tagelang aus. Adbusting ist auch in Finnland strafbar. Inwieweit sich das repressiv umsetzt, hängt auch von Firmen ab, denen die Werbetafeln gehören.

Was ist Ihr Ziel?

Überall in Europa haben Deserteure Schwierigkeiten, Aufenthaltsrecht zu erhalten. Sie müssen den Einberufungsbefehl schon erhalten und ihn mit sich über die Grenze gebracht haben, um den Nachweis zu führen, dass sie den Kriegsdienst verweigert haben. Dann ist es für eine Flucht oft zu spät. Wir müssen gemeinsam Druck auf die jeweiligen Regierungen ausüben, Asyl zu gewähren. Auch bedarf es konkreter Hilfe, damit Menschen über die Grenze kommen können.

Aktuell wird in der BRD die Debatte geführt, ob Ukrainern im wehrfähigen Alter Asyl gewährt werden soll. Wie werten Sie es, wenn Bodo Ramelow, Linke-Ministerpräsident in Thüringen, auf X schreibt: »256.000 junge Männer aus der Ukraine, im wehrfähigen Alter, leben derzeit in Deutschland. Wie sollen wir uns als Behörden dazu verhalten?«. Er sei weiter für die Lieferung von Waffen – »aber was ist mit Wehrpflicht und Soldaten?«

Unsere Intention war, vor allem den Angreifer zu stoppen. Ich bin aber generell dagegen, Menschen für einen Krieg einzuziehen. Alle sollten freiwillig entscheiden können, ob sie mit Waffengewalt kämpfen oder etwa den Krieg sabotieren wollen: zum Beispiel Versorgungswege für Waffenlieferungen abschneiden oder entsprechende Firmen blockieren.

Die USA wollen ab 2026 Langstreckenwaffen in Deutschland stationieren. Das hatten das Weiße Haus und die Bundesregierung am Mittwoch am Rande des NATO-Gipfels verkündet. Warum erfolgte in der BRD kein Aufschrei?

Die Friedensbewegung ist zu wenig präsent, um Kampagnen zu starten, die den Krieg beenden könnten. Statt als Kriegsgegnerinnen und -gegner strategisch vorzugehen, ist sie mit internen Auseinandersetzungen befasst. Aufgrund von deren Problemen, sich von Rechten abzugrenzen oder weil Verschwörungstheorien kursieren, engagieren sich junge Menschen eher in der Klimabewegung.

Der Kriegssektor wird bei Klimakonferenzen oft ausgeblendet. Dabei ist er, abgesehen von den menschlichen Katastrophen, ein großes Umweltproblem. Die »Tornados« verbrennen eine Menge Treibstoff. Wir müssen aufs Abrüsten setzen. Das Geld, das aktuell in Waffen fließt, benötigen wir, um die Klimakrise in den Griff zu bekommen und Armut zu bekämpfen.

Ronja Neumann ist Sprecherin der Aktionsgruppe »Asyl für Kriegsdienstverweiger*innen jetzt!«

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Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

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