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Aus: Ausgabe vom 16.07.2024, Seite 16 / Sport
Fußball-EM

Einmal Döner mit alles

Verdienter Europameister: Spaniens Fußballer setzen sich im Finale gegen England durch
Von Felix Bartels
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Wie viele EM-Titel hatten Sie mit 17? Lamine Yamal nach dem Berliner Finale

Noch ein weiterer Titel, und Spanien kann die Faust ballen. Als nunmehr vierfacher EM-Sieger – und damit Rekordhalter – ging die Auswahl von Luis de la Fuente am Sonntag abend im Berliner Olympiastadion vom Platz. England hatte so schlecht gar nicht gespielt. Also nicht so schlecht wie in den Spielen davor. Am Ende gewannen die Spanier verdient den Titel, sowohl auf das Finale bezogen als auch auf das gesamte Turnier.

Was macht diese Mannschaft so besonders? Es sind nicht nur die hübschen Anekdoten. Etwa dass Lamin Yamal, der jüngste Torschütze der EM-Geschichte, im Laufe des Turniers quasi im Fernstudium seinen Schulabschluss geschafft hat. Oder dass der von unsportlichen deutschen Fans aufgrund eines phantasierten Handspiels penetrant ausgepfiffene Marc Cucurella die Vorlage zum Siegtreffer der Spanier gab. (In Deutschland nämlich verliert man nie, weil wer anders besser gewesen ist, sondern grundsätzlich durch Dolchstöße.) Es war die neue Spielweise der Spanier. In der Ära Xavi ist dem spanischen Nationalteam gelungen, die klassische Dreispaltung Spanier – Basken – Katalanen mit katalanischen Mitteln zu kitten. Die Mannschaft von de la Fuente spielt wie einmal Döner mit alles. Das reine Kurzpassspiel unter Xavi wirkte gravitätischer, quasi unantastbar, war aber in seiner Anlage einseitig: kaum noch direkt getretene Ecken, selten hohen Bälle, wenig Dribblings oder Distanzschüsse. Auch unter Führung von Rodri spielt Spanien grundsätzlich schnelles Kurzpassspiel, wechselt aber beständig die Mittel: Kurzpassstakkato, lange Vertikalpässe, Tempoläufe an der ­Seite, Dribblings im Halbraum, Flanken mit Kopfbällen, Distanzschüsse folgen einander. Wodurch die ohnehin schwer zu verteidigenden Angriffe der Spanier weniger ausrechenbar werden. 2012 wussten die Gegner, was die spanischen Spieler als nächstes tun, sie konnten bloß nichts dagegen machen. Jetzt wissen sie nicht einmal mehr, was sie als nächstes tun.

So gilt auch vom Turnier überhaupt, dass das alles ein wenig wirkte, als ­hätte jemand die Zeit zurückgedreht auf die Ära vor Guardiola, als sei dessen Purismus überwunden. Doch was auf dem Feld passierte, sah ganz anders aus. Denn das Zusammenspiel von Pressing und Gegenpressing ist durch Guardiola auf ein Niveau gehoben worden, hinter das man nicht mehr zurück kann. Und das gilt für alle Mannschaften, weil ganz Europa bei Barça in die Schule gegangen ist. So trägt der Erfolg der Spanier palimpsestartig auch die Handschrift des Pep, der taktikgeschichtlich sozusagen für einen Umschaltmoment sorgte. Man kann in Jonathan Wilsons wunderbarer Studie »Inverting the Pyramid« (2008) nachspüren, wie lange Taktik hauptsächlich auf die Defensive bezogen war. Die Barça-Schule steht vor allen anderen für die Entscheidung, auch die Offensive nicht intuitiv, sondern organisiert anzugehen.

Ebenfalls auf dem Platz standen die Engländer, das sollte man der Vollständigkeit halber erwähnen. Man muss anerkennen, dass sie in diesem Finale die beste Vorstellung ihres Turniers aufs Spielfeld gebracht haben. Weit davon entfernt, auf dem Niveau der Spanier mitspielen zu können, konnten sie durch hohes Pressing deren Spielfluss oftmals stören. Das gelang durch eine recht klare Zuordnung, mit dem Spiel eins gegen eins aus zwei intelligent gestaffelten Viererabwehrreihen heraus fand diese Mannschaft einen Zugriff, der ihren robusten und schnellen Abwehrspielern liegt. Befremdlich war vielmehr, dass das Team es überhaupt ins Finale geschafft hat. Der englische Kader ist, was die Qualität der Einzelspieler betrifft, besser als der von 2021, als die Mannschaft ein insgesamt gutes Turnier absolviert hatte. Bei dieser EM 2024 verblüffte Gareth Southgate wiederholt durch erratische Entscheidungen, die niemand nachvollziehen konnte, und der dumme Satz »Der Erfolg gibt ihm recht« wird kein bisschen weniger dumm, wenn man nervenstarke Individualisten besitzt, die in letzter Minute dann doch noch ein Tor schießen. Irgendwie erinnert Southgate an den von Humphrey Bogart verkörperten Captain der »Caine«, mit dem Unterschied, dass die fällige Meuterei hier ausblieb. Der Kane war sein Schicksal.

Am Ende haben die Spanier eben die Qualität gezeigt, die ihnen in den letzten großen Turnieren fehlte: Überlegenheit auf dem Feld auch in Ergebnisse umzusetzen. Sie hatten den einen oder anderen Lucky Punch, aber immer aus einem Spiel heraus, das unter Kontrolle war. Man kann die Daten heranziehen (19:9 Torschüsse, 90:78 Prozent Passquote, 17:5 Flanken, 10:2 Ecken, 65:35 Prozent Ballbesitz), sie verraten nicht, was man auf den Platz sehen konnte: eine nicht zu verunsichernde Mannschaft, die ihr komplexes, vom Gegner kaum zu beantwortendes Spiel durchzieht und die Begegnung selbst bei fehlendem Momentum oder Rückstand unter Kontrolle behält.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Michael S. aus Bonn (16. Juli 2024 um 12:14 Uhr)
    Von einem phantasierten Handspiel zu sprechen, entwertet den Artikel etwas. Eine klare Linie bei den Handspiel-Entscheidungen im Strafraum fehlt auch zu VAR-Zeiten. Geht es um absichtlich oder um vergrößerte Fläche? Unabhängig davon, ob der geblockte Schuss ins Tor gegangen wäre, wäre ein Strafstoß angebracht gewesen. Aber vor allem hätte der Referee die Chance zur Prüfung nutzen sollen. Natürlich waren die Spanier die Besten, aber im Fußball gewinnt nicht immer die bessere Mannschaft, sonst wären die Engländer nach der Vorrunde raus gewesen. Und die deutsche Mannschaft hatte Spanien an der Grenze zur Niederlage. Häme wegen der Niederlage ist auch bei der JW nicht angebracht.
  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (16. Juli 2024 um 09:57 Uhr)
    Tapas vom Feinsten! Über Geschmack lässt sich nicht streiten. Aber warum »Einmal Döner mit alles«? Ich habe nichts gegen Döner, den ich ab und zu auch gern esse, aber dieser Vergleich passt eben nicht zu dem, was Spanien im EM-Turnier geleistet hat. Spanien ist Europameister, und das völlig verdient. Die Mannschaft von Luis de la Fuente bot eine beeindruckende Vorstellung im Berliner Olympiastadion und sicherte sich den Titel zum vierten Mal, womit sie nun alleinige Rekordhalter sind. Ihre Spiele waren wie ein »Tapas-Menü vom Feinsten« – abwechslungsreich, unvorhersehbar und stets beeindruckend. Mein Kompliment und Gratulation!
    • Leserbrief von Wieland König (16. Juli 2024 um 19:42 Uhr)
      Ein Tag ohne Kommentar-Repliken von Herrn Istvan Hidy ist denkbar, aber sinnlos. Sein Name erscheine im Kommentarbereich der junge nWelt, mindestens zweimal täglich. Seine ultimativen Kommentare sind unsterblich, weil sie wahr sind. Oder andersrum.

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