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Aus: Ausgabe vom 18.07.2024, Seite 1 / Inland
jW gegen BRD

Pressefreiheit verteidigen!

Gerichtstermin in Berlin: junge Welt wehrt sich gegen Verfassungsschutzbeobachtung. Vorwurf marxistische Orientierung
Von Redaktion, Verlag und Genossenschaft
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Der Marxismus dient der jW als Kompass bei der Analyse weltweiter Vorgänge. Für den Inlandsgeheimdienst ist das schon »verfassungsfeindlich« und Grund genug, die Tageszeitung zu bekämpfen

Am Donnerstag heißt es: Verlag 8. Mai GmbH gegen Bundesrepublik Deutschland. Das sind die Prozessgegner einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Berlin. Geklagt hatte der Verlag bereits vor drei Jahren dagegen, dass die Tageszeitung junge Welt vom Inlandsgeheimdienst seit Ende der 90er Jahre in dessen Verfassungsschutzberichten aufgeführt wird. Sich aus dieser Nennung ergebende Nachteile bei Verbreitung und Bewerbung sind Absicht. Es gehe darum, junge Welt den »Nährboden zu entziehen«, hat die Bundesregierung im Frühjahr 2021 auf eine parlamentarische Anfrage eingestanden.

Der Zeitung wird vorgeworfen, nicht primär ein journalistisches Produkt zu sein. Vielmehr seien die jW, der Verlag und die Genossenschaft als Haupteigentümerin »linksextremistische« Personenzusammenschlüsse mit umstürzlerischer Agenda. Ableiten will der Inlandsgeheimdienst dieses irre Konstrukt aus dem Marxismus, der junge Welt erklärtermaßen als Kompass zum Verständnis inländischer wie weltweiter Vorgänge dient. Dabei verstößt laut Bundesregierung schon die von vielen Sozialwissenschaftlern oder Gewerkschaftern geteilte Feststellung einer Klassenspaltung der Gesellschaft gegen das Grundgesetz.

Im letzten Schriftsatz der Geheimdienstanwälte, der die Klägerin am Mittwoch erreichte, wird der Zeitung eine »Diffamierung« durch die Beschreibung der BRD als kapitalistisch und imperialistisch unterstellt. Zudem verwende jW Vokabular wie »Arbeiterklasse«, »Klassenkampf« und »Klassenjustiz«. Inwieweit letzteres eine adäquate Zustandsbeschreibung ist, davon kann der Prozess vor dem Verwaltungsgericht Berlin Zeugnis ablegen. Denn im Kern geht es darum, inwieweit und für wen die grundgesetzlich garantierte Pressefreiheit gilt – gerade in Zeiten, in denen das Land wieder auf »kriegstüchtig« gedrillt wird.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!

  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Manfred P. aus Hamburg (18. Juli 2024 um 17:36 Uhr)
    Die Einschränkung bzw. den vollständigen Abbau der bürgerlichen Rechte und Institutionen zur Sicherung der Herrschaft des Kapitals nennt J. Agnoli Involution. Ablesbar an aktuellen Versuchen, Meinungs-, Versammlungs- u. Pressefreiheit massiv einzuschränken. Ein Herz für Kinder (BILD) hat dieselbe Funktion wie »ein Herz für Demokratie, gegen Rassismus, gegen Antisemitismus« o. Ä. Damit werden grundlegende strukturelle Ursachen verschleiert u. heuchlerisch Werte propagiert, deren Realisierung auf keiner Agenda steht. Widerspruch oder Gegenwehr sollen sich keinesfalls gegen die Regierung, den Staat oder die herrschende ökonomische oder Eigentumsfrage richten. Das geht dann so weit, dass eine Tageszeitung wie die jW u. a. schon deshalb auf den Index und in die extremistische Tüte gepackt wird, weil in ihr gerade auch diese Themen kritisch aufgearbeitet werden. Dabei entblöden sich die Zensoren und Gerichte nicht, dieser Zeitung vorzuwerfen, dass dort häufig auch von Klassen, Klassengesellschaften oder Klassenkampf die Rede sei, was laut GG ja gar nicht möglich und sogar durch Artikel des GG ausgeschlossen sei, weil ja alle Menschen »gleich vor dem Gesetz« seien! Schon W. F. Haug sah »in der einseitigen Verteilung der Informationschancen (…) im tendentiellen aktiven wie passiven Informationsmonopol der Eliten von Macht und Besitz« eine wesentliche Wirkungsvoraussetzung antidemokratischer Strategien. »Die kunstvoll gezüchtete Ahnungslosigkeit, Gleichgültigkeit des Volkes gegenüber der Politik, ja geradezu Politikabscheu zu nennende Einstellungen, machen bestimmte gegen die Volksmehrheit eingesetzte Strategien so wirksam.« Diese Wirksamkeit zu erhalten ist Aufgabe der Massenmedien, denn eine durchschaute Strategie wäre eine wirkungslose Strategie. Mit der jW, vielen neuen Abonnenten und zunehmender Verbreitung einer wissenschaftlichen Weltanschauung, droht die Entlarvung sich zu einer demokratischen Epidemie auszuwachsen, was mit allen Mitteln verboten gehört. Siehe Urteil v. 18.07.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Rainer Erich Kral aus Potsdam (18. Juli 2024 um 07:52 Uhr)
    Im Grunde geht es dem Staat BRD darum, wie man die im Artikel 4, 5 und 11 des Grundgesetzes verbrieften Rechte interpretieren und aushebeln darf. Hierfür ist sich die Beklagte nicht zu schade, ganz offensichtliche und für jedermann sichtbare Zustände hierzulande in Abrede zu stellen und daraus der Klägerin Verstöße gegen die hiesige Ordnung zu unterstellen. Man darf gespannt sein, wie die Richter diese absurden Vorwürfe bewerten.