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Aus: Ausgabe vom 18.07.2024, Seite 5 / Inland
Bundeshaushalt

Alles Soziale einstellen

Kabinett billigt Haushaltsentwurf 2025: Milliarden werden von unten nach oben umverteilt, Rüstungsetat wächst
Von Alexander Reich
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Lacht sich einen Ast: Finanzminister Lindner bei der Kabinettssitzung am Mittwoch

Weniger Geld für Erwerbslose und Rentner, mehr Geld für Kriegsgerät und Spitzenverdiener. Auf diese »Priorisierung der Ausgaben« im Haushalt 2025 hat sich die Ampelkoalition geeinigt. Am Mittwoch wurde der Entwurf des Finanzministeriums im Kabinett angenommen. Er sieht Ausgaben in Höhe von 480,6 Milliarden Euro vor. FDP-Finanzminister Christian Lindner sprach vom »Einstieg in die Wirtschaftswende«. Allerdings wird der Entwurf nicht gleich an den Bundestag weitergeleitet, erst muss noch ein Verschuldungstrick juristisch geprüft werden.

Die Ausgaben für Erwerbslose sollen im Vergleich zu diesem Jahr um 5,5 Milliarden Euro gekürzt werden. Der größte Teil davon, 4,7 Milliarden Euro, soll bei der Auszahlung des Bürgergelds eingespart werden. Nicht durch Kürzungen der Regelsätze, die bereits weit unter dem Existenzminimum liegen. Statt dessen sollen ein verschärftes Sanktionsregime »viele Tausend« Bezieher in Arbeit bringen, wie Lindner wiederholt erklärt hat. Zeitraubendes Pendeln wird für zumutbar erklärt (zweieinhalb Stunden Fahrzeit für einen Halbtagsjob). Das Recht auf Sparguthaben in Höhe von bis zu 40.000 Euro erlischt nun schon nach einem halben Jahr statt nach einem ganzen. Außerdem sollen arbeitsfähige Bürgergeldbezieher wieder regelmäßig beim Jobcenter vorstellig werden. Wer einen Termin verpasst, bekommt 30 Prozent der Stütze gekürzt, und das gleich für drei Monate. Auch so lässt sich Geld bei denen sparen, die es am allernötigsten haben.

Als wäre das nicht pervers genug, werden den Jobcentern im Vergleich zu 2023 mehr als eine Milliarde Euro Verwaltungskosten gestrichen. Und die Ausgaben für die Eingliederungshilfe werden um 450 Millionen Euro gekürzt. Die Arbeitsagentur hat darauf hingewiesen, dass eine Vermittlung Tausender Bürgergeldbezieher in passende Jobs durch die »faktische Mittelkürzung in den Jobcentern« zum Ding der Unmöglichkeit wird. Aber Lindner dürfte sich der Unlösbarkeit dieser Aufgabe völlig bewusst sein. Wohin die Reise geht, ließ er während der Haushaltsverhandlungen gegenüber dem Portal The Pioneer durchblicken. »Wir wenden Milliarden Euro auf, um Menschen zu unterstützen, die nicht arbeiten«, sagte der Finanzminister, als sei das nicht die verfassungsmäßige Pflicht des Staates gegenüber Bürgern in Not, sondern ein handfester Skandal: »Man muss diese Verteilungspolitik einstellen.«

Vor allem Spitzenverdiener kommen mit dem Haushalt in den Genuss von Steuererleichterungen, die Lindner als »Abbau der kalten Progression« für unerlässlich hält. Mehr als elf Milliarden Euro sind dafür veranschlagt. Ermöglicht werden soll das auch durch Kürzungen der Zuschüsse an die Rentenversicherung. Weil die Höhe dieser Zuschüsse rechtlich vorgegeben ist, ist dafür ein Haushaltsbegleitgesetz 2025 nötig. Alles kein Problem, zumal die Beitragssätze wohl erst nach Ablauf der Legislatur erhöht werden müssen.

Etwas weiter voraus greift der Haushaltsentwurf beim Rüstungsetat: »Die NATO-Quote von zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts wird sowohl im Jahr 2025 als auch in den kommenden Jahren bis einschließlich 2028 übertroffen, sie beträgt dann 80 Milliarden Euro«, heißt es in dem Papier mit unverhohlenem Stolz. Nur mit langanhaltendem Wettrüsten kann die Kriegswirtschaft wirklich zum Brummen gebracht werden. Für das kommende Jahr wird der Wehretat erst mal nur um 1,3 Milliarden Euro aufgestockt, aber da fließen ja noch die vielen Milliarden Sondervermögen.

Womit wir bei dem Verschuldungstrick wären. Zuschüsse an Bahn und Autobahn GmbH in Höhe von insgesamt acht Milliarden Euro sollen lediglich als Darlehen gewährt werden, um die Regeln der Schuldenbremse zu unterlaufen. Lindner lässt wie gesagt prüfen, ob dieser Kniff in Karlsruhe Bestand haben könnte. Vieles an dem Entwurf ist Wunschdenken, etwa »globale Mehreinnahmen« von 14,27 Milliarden Euro durch ein 49-Punkte-Programm für Wirtschaftswachstum. Wichtig waren dem FDP-Politiker die Sozialkürzungen. Und die Ersetzung der »Kindergrundsicherung« durch einen Heiermann-Trostpreis. Kindergeld, Kinderfreibetrag und Kinderzuschlag (für Familien in Bürgergeld) sollen 2025 um jeweils fünf Euro steigen. Wie Lindner der ARD erklärte, ist alles, was darüber hinausgeht, »gegenwärtig nicht etatreif«.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Rainer Erich Kral aus Potsdam (18. Juli 2024 um 12:35 Uhr)
    Man kann bekanntlich jeden Euro nur einmal ausgeben. Jedenfalls, wenn man eine solide Finanzierung bevorzugt. Und da muss man sich entscheiden, ob man ein sozialer Staat sein will oder ein kriegsertüchtigter Staat, der darüber hinaus Milliarden Euro in ein Kriegsgebiet transferiert. Die Ampel-Regierung hat sich entschieden und diejenigen, die auf die Zuwendungen des Staates angewiesen sind, werden die Entscheidung zu spüren bekommen. Gute Gelegenheit für Parteien, sich auf die Seite der Bedürftigen zu stellen und die unsoziale Politik einer Regierung zu entlarven, die zum Handlanger einer ausländischen Macht mutierte.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (17. Juli 2024 um 23:46 Uhr)
    Das Statistische Bundesamt gibt mir noch sieben, acht Jahre, Wiederbelebung und sinnlose lebenserhaltende Maßnahmen habe ich in meiner Patientenverfügung ausgeschlossen. Soweit genüge ich also meiner Pflicht gegenüber dem Gemeinwohl. Ein gewisses Schuldgefühl gegenüber zukünftigen und schon existieren Generationen umfängt mich trotzdem. Im Gegensatz zu Lindners und Co. kann ich allerdings mit ruhigem Gewissen in die Grube fahren, denn das mir Mögliche gegenüber den Folgegenerationen habe ich getan und tue ich.

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