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Aus: Ausgabe vom 18.07.2024, Seite 6 / Ausland
Bangladesch

Studenten gegen Quote

Bangladesch: Oberstes Gericht bestätigt Begünstigung der Nachfahren von Freiheitskämpfern im öffentlichen Dienst. Protestierende fordern Reform
Von Thomas Berger
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Mit Stöcken und Nationalflagge protestieren Studenten am Dienstag an der Universität zu Dhaka

Sechs Tote, unzählige Verletzte – das ist die vorläufige Bilanz der Studentenproteste in Bangladesch. Zehntausende Studierende aller Universitäten des südasiatischen Landes sind seit zwei Wochen auf den Straßen, um gegen ein aus ihrer Sicht überholtes System von Quoten im Staatsdienst aufzubegehren, das eigentlich schon abgeschafft war, durch ein Gerichtsurteil aber reaktiviert werden soll. Seit Wochenbeginn geht die Polizei mit verstärkter Gewalt gegen die Protestierenden vor – Mitgliedern der Studentenorganisation der Regierungspartei Awami-Liga (AL) wird vorgeworfen, Demonstrierende attackiert zu haben. Laut Dhaka Tribune gab es in der Hauptstadt zwei Tote, in der Hafenstadt Chittagong sollen drei Todesopfer zu beklagen sein und eines in Rangpur. Während die meisten anderen Berichte bei den Verletzten »mehr als 100« melden, ist bei dieser Zeitung sogar von »Hunderten« die Rede. Tatsächlich wird die Lage zunehmend unübersichtlich.

Etwa 800.000 jüngere Akademiker waren Ende 2022 arbeitslos, so die im vorigen Oktober von der Statistikbehörde BSS vorgelegten Zahlen. Das waren etwa doppelt so viele wie 2017 und macht inzwischen zwölf Prozent der Menschen im arbeitsfähigen Alter mit höherer Bildung aus. Vor allem sichere und vergleichsweise gut bezahlte Jobs im öffentlichen Dienst sind gefragt. Doch geht es nach einem Gerichtsurteil vom vorigen Monat, sollen diese jetzt für den normalen Zugang nach Leistung wieder verknappt werden. Am 5. Juni hatte eine Kammer des High Court entschieden, das mit einem Rundschreiben von der Regierung 2018 abgeschaffte Quotensystem für solche Stellen wieder einzuführen. Insgesamt sind 56 Prozent der Positionen im öffentlichen Dienst quotiert: unter anderem zehn Prozent für Frauen und fünf Prozent für ethnische Minderheiten. Besonders in der Kritik stehen die 30 Prozent für die Nachkommen registrierter Freiheitskämpfer.

Das heutige Bangladesch besteht erst seit 1971, als die Bengalen im damaligen Ostpakistan mit indischer Hilfe über die westpakistanische Armee und einheimische Kollaborateure (Razakars) siegten. Die Unabhängigkeit hatte einen hohen Blutzoll gefordert. Da schien es nur sinnig, einen guten Teil staatlicher Jobs denjenigen zukommen zu lassen, die mit eigenem Einsatz zur Geburt der jungen Nation beigetragen hatten. 1997 wurde die quotierte Postenvergabe, da die Stellen nicht mehr besetzt werden konnten, auch auf Kinder und Enkel von Freiheitskämpfern ausgedehnt. Die gleich völlige Abschaffung aller Quoten 2018 war ein Einknicken der Regierung vor einer ersten Protestwelle von Studierenden. Noch umfassender, noch besser organisiert als vor sechs Jahren, so heißt es nun in Berichten über die aktuellen Aktionen. Mehrfach wurden Kreuzungen in der 15-Millionen-Metropole Dhaka und anderen Großstädten blockiert.

»Verfassungswidrig, illegal und ineffektiv« sei das Streichen der Quoten 2018 gewesen, so die beiden Richter in ihrem Urteil, das inzwischen in ganzer Länge von 27 Seiten vorliegt. Momentan liegt es in der Umsetzung noch auf Eis – eine Berufungskammer hat bezüglich einer finalen Entscheidung den 7. August als Anhörungstermin festgesetzt. Die Protestierenden fordern vor allem von der Politik eine Sondersitzung des Parlaments, um eine Reform in die Wege zu leiten, und fänden zum Beispiel auch das Fortführen einer fünfprozentigen Quote für Angehörige ethnischer Minderheiten nicht verkehrt. In dem schriftlichen Urteil heißt es nun, dass ein Verstoß gegen das Quotensystem »menschenverachtend« sei; die Regierung könne das Verhältnis oder den Prozentsatz der Quoten jedoch nach eigenem Ermessen ändern, verringern oder erhöhen.

Die seit 2009 zunehmend autoritär regierende Premierministerin Scheich Hasina erklärte, das endgültige Urteil abwarten zu wollen, goss aber mit jüngsten Äußerungen eher noch Öl ins Feuer. So diffamierte sie die Protestierenden am Sonntag indirekt: »Wenn die Enkel von Freiheitskämpfern diese Chance nicht bekommen, haben dann die Enkel von Razakars ein Recht auf diese Chance?«

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Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

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