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Aus: Ausgabe vom 18.07.2024, Seite 11 / Feuilleton
Kino

Da klappt dir der Kiefer weg

Sommerkino aus dem Schwitztempel: Rose Glass’ lesbische Racheromanze »Love Lies Bleeding«
Von Maximilian Schäffer
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Die Frisuren sprechen für sich: Fitnesswelle anno 1989

»Love Lies Bleeding« ist der perfekte Film fürs Sommerloch: absurd, brutal und sexy. Mit ihrem zweiten Langfilm, der auf der diesjährigen Berlinale Premiere feierte, legt die britische Regisseurin und Drehbuchautorin Rose Glass (34) ein weiteres sehr lesbisches B-Movie vor. In ihrem Erstlingswerk »Saint Maud« von 2019 gab es lesbischen Exorzismus zu genießen, nun morden Steroid­lesben im Vokuhilahinterland.

Wir schreiben das Jahr 1989, die nächste Fitnesswelle rockt die USA. Vorbei die Zeiten des gepflegten Auspuffstemmens eiserner Handwerker – jetzt versammelt sich die körpergeile Meute im Schwitztempel. Schneller wie Schwarzenegger aussehen, das geht vor allem mit Anabolika, die selbst im Provinzfitnesstudio von New Mexico rumgehen wie Schokolinsen auf Kindergeburtstagen. Jackie (Katy O’Brian) ist ein nettes Mädel, das unbedingt einen Job braucht, um sich die Mitgliedschaft im Gym zu finanzieren. Sie träumt von der Bodybuilderinnenmeisterschaft im fernen Las Vegas. Louise (Kristen Stewart) hingegen hockt eher antriebslos hinterm Tresen des Sport­saals. Am liebsten würde sie raus aus dem ganzen trüben Elend zwischen alltäglichem Chauvinismus und sexueller Frustration mangels Angebot. Die beiden verlieben sich zuerst ganz zuckersüß und langweilig – anabole Steroide jedoch haben die angenehme Nebenwirkung, den Charakter zu würzen. Deshalb fackelt Jackie nicht lange, als das Schwein von Ehemann Louises Schwester so dermaßen verdrischt, dass sie zugeschwollen im Krankenhaus landet. Sie besucht ihn zu Hause und schlägt ihm den Schädel zu Brei, dass der Kiefer nur noch so wegklappt. Mit solchen Schlamassel allerdings hat Louise Erfahrung. Ihr Vater (Ed Harris) ist ein Käfer sammelnder Gangster, der nicht nur einen Schießstand betreibt, sondern auch alles aus dem Weg räumt, was ihm nicht passt.

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Zunächst ganz zuckersüß und langweilig: Die Liebesgeschichte von Lou (Kristen Stewart) und Jackie (Katy O’Brian)

So geht es also 104 Minuten lang dahin, eine Abwärtsspirale aus immer brutaler und absurder werdenden Liebes-, Sport- und Mordszenen. Das alles sieht sehr gut aus, erinnert ästhetisch deutlich an Nicolas Winding Refns stilprägenden »Drive« (2011) und David Lynchs noch einflussreicheren »Lost Highway« (1997). Beim pumpenden Elektro-Soundtrack muss man die Referenzen gar nicht erst lange suchen – Clint Mansell höchst persönlich zeichnet verantwortlich. Er komponierte die Musik zu David Aronofskys Filmen, wie »Pi« (1998) und »Requiem for a Dream« (2000). Tatsächlich aber hält sich »Love Lies Bleeding« angenehm zurück, um nicht in ein Zitatfeuerwerk à la Quentin Tarantino zu kippen. Die Autos, Sofas und Frisuren sprechen für sich, die Handlung ist ein Witz und soll es auch bleiben. Man hat es hier schließlich nur mit einem kleinen, feinen Sommernachtstraum zu tun, der außerordentlich gut zu Popcorn und Bier passt. Einer hyperfeministischen, homosexuellen Fata Morgana, die weder moralinsauer, noch »woke«, noch queer jammernd daherkommt.

»Love Lies Bleeding« soll der nächste Kassenschlager von A24 Films werden, der aktuell erfolgreichsten Produktionsfirma für gepflegtes Hollywoodkino. Des Unternehmens letzte Bargeldkuh war der ultrabrutale Bürgerkriegspropagandafetzen namens »Civil War«, welcher knapp 122 Millionen US-Dollar einspielte. Zerfetzte Menschen verkaufen sich in diesen Zeiten gut. Da scheinen es so einige kaum erwarten zu können.

»Love Lies Bleeding«, Regie: Rose Glass, USA/UK 2023, 104 Min., Kinostart: heute

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