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Aus: Ausgabe vom 18.07.2024, Seite 12 / Thema
Verfassungsschutz

Behörde abschalten

Erfahrungen mit dem bundesdeutschen Inlandsgeheimdienst, seinem unkontrollierbaren V-Leute-System und seiner Skandalgeschichte (Teil 2 und Schluss)
Von Rolf Gössner
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Die Leistung des Inlandsgeheimdienstes im Umgang mit dem NSU-Komplex? Es besteht der »Verdacht gezielter Sabotage oder des bewussten Hintertreibens« (Demonstration für eine lückenlose Aufklärung der NSU-Mordserie, München 2013)

Im Zusammenhang mit dem NSU-Komplex waren der Thüringer VS und andere Geheimdienste mit Dutzenden V-Leuten – u. a. Tino Brandt alias »Otto« – bereits im Nazisammel­becken »Thü­ringer Heimatschutz« involviert, in dem die späteren Mörder organisiert waren und aus dem heraus sich der NSU und sein Unterstützerumfeld quasi unter staatlicher Aufsicht entwickeln konn­ten. Die NSU-Mord­serie hätte womöglich verhindert werden können, wenn der VS seine Erkenntnisse über die Untergetauchten und ihre Unterstützer, an denen seine V-Leute hautnah dran waren, rechtzeitig an die Polizei weitergegeben hätte, wozu er gesetzlich verpflichtet war. Auf der Anklagebank des Oberlandesgerichts München hätten seinerzeit jedenfalls weit mehr Angeklagte sitzen müs­sen als Zschäpe, Wohlleben & Co.: Hier fehlten weitere involvierte V-Leute, deren V- Mann-Führer und alle für Versagen, Unterlassen und Vertuschen Verantwortlichen aus VS, Polizei und Sicherheitspolitik.

Das Erschreckendste, was ich bei meinen eigenen Recherchen erfahren musste, ist, dass der VS seine kriminell gewordenen V-Leute allzu häufig deckt, systematisch gegen polizeiliche Ermittlungen abschirmt, ja sogar Belastungsbeweise unterdrückt, um seine Informanten vor Enttarnung zu schützen und weiter langfristig abschöpfen zu können – anstatt sie unverzüglich »abzuschalten«. So hat der VS in so manchen Fällen polizeiliche Fahndungs­maßnahmen torpediert, Akten und Beweise beseitigt, seinen braunen V-Leuten polizeiliche Observationen verraten oder Kontaktpersonen vor Abhör­aktionen gewarnt. Das ist strafbare Strafvereitelung im Amt sowie Unterstützung und Beihilfe zu Straftaten; doch die Verant­wortlichen sind dafür nie zur Rechenschaft gezogen worden, selbst wenn durch ihr Verhalten unbeteiligte Personen geschädigt wurden. Im Bericht des Parlamentarischen Untersuchungsausschus­ses des Thüringer Landtags wird explizit der naheliegende »Verdacht gezielter Sabotage oder des bewussten Hintertreibens« bei der Suche nach dem flüchtigen NSU-Trio geäußert.

Zusammenfassend muss man feststellen: VS-Behörden haben nicht nur den NSU-Komplex, sondern auch darüber hinaus rechtsextreme Netzwerke, Szenen und Parteien, die sie lediglich beobachten sollten, vielfach über ihre bezahlten Spitzel mitfinanziert, geschützt und gestärkt. Über ihr weitgehend unkontrollierbares V-Leute-System verstrickten sie sich heillos in kriminelle und mörderische Machenschaften. Meine These: Auf diese Weise ist der VS gewissermaßen selbst Teil des Naziproblems geworden, jedenfalls konnte er allzu lange Zeit kaum etwas zu dessen Lösung beitragen. Trotz der hohen Zahl an V-Leuten im Nazispek­trum und NSU-Umfeld haben sich die Erkenntnisse des VS in wesentlichen Bereichen offenbar kaum gesteigert, jedenfalls hat er als »Frühwarnsystem«, das er ja sein soll und sein will, über Jahrzehnte hinweg system- und ideologiebedingt grandios versagt, hat Verfassung, Rechtsstaat und Demokratie dabei mehr geschadet als genützt.

Lehrstück in Staatskunde

Zum Schluss und in aller Kürze aus der VS-Skandalchronik noch beispielhaft ein brisantes Lehrstück in Staatskunde – und zwar in eigener Sache: Seit 1970 bin ich, wie eingangs erwähnt, vier Jahrzehnte lang vom Bundesamt für VS beobachtet und ausgeforscht worden – schon als Jurastudent und Gerichtsreferendar, und seitdem fast ein Arbeitsleben lang in all meinen beruflichen und ehrenamtlichen Funktionen als Publizist, Rechts­anwalt, parlamentarischer Berater, später auch als Präsident der Internationalen Liga für Menschenrechte (ILMR) sowie als stellvertretender Richter am Staatsgerichtshof Bremen. Unter solchen Überwachungsbedingungen war an geschützte berufliche Vertrauensverhältnisse, an Mandatsgeheimnis oder Informantenschutz kaum mehr zu denken, war meine Berufsfreiheit mehr als beeinträchtigt.

Einer der abstrusen Vorwürfe des VS lautete: Ich würde mit meiner publizistischen Staats-, Polizei- und Geheimdienstkritik sowie mit meiner »Agitation« gegen KPD-Verbot, Berufsverbote und staatliche Aufrüstungspolitik die Sicherheitsorgane diffamieren und wolle den Staat »wehrlos« machen gegen seine inneren »Feinde« – nicht zuletzt mit meiner Forderung nach Auflösung des VS. Dieser maßte sich damit eine Deutungshoheit über meine Texte an und übte sie in geradezu inquisitorischer Weise aus. Außerdem würde ich »als prominenter Jurist« mit meinen beruflichen und ehrenamtlichen Kontakten auch zu angeblich »linksex­tremi­stischen« bzw. »linksextremistisch beeinflussten« Parteien wie der DKP, Organisationen wie der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN-BdA) oder der »Roten Hilfe« und Medien wie der Tageszeitung junge Welt diese »nachdrücklich« in ihren »verfassungsfeindlichen« Zielen »unterstützen«. So konstruierte man aus völlig legalen und legitimen Berufskontakten anlässlich meiner Mandate, Recherchen, Publikationen, Vorträge und Diskussionen etc. eine beobachtungswürdige »Kontaktschuld«.

Gegen diese rekordverdächtige Dauerüberwachung, inquisitorische Gesinnungskontrolle und »Extremismus«-Stigmatisierung reichte ich 2006 Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland ein wegen schwerwiegender Verletzung meiner Grundrechte auf Meinungs-, Presse- und Berufsfreiheit sowie auf informationelle Selbstbestimmung. Ohne diesen keineswegs einfachen Schritt stünde ich womöglich heute noch unter Beobachtung. Nach einem fünfjährigen Prozess, bei dem das Bundesamt für Verfassungsschutz meine über 2.000seitige Personenakte vorlegen musste – aus »Geheimhaltungsgründen« (»Quellenschutz«, »Ausforschungsgefahr«, »Staatswohl«) allerdings zu fast 80 Prozent geschwärzt – erklärte das Verwaltungsgericht Köln diese Langzeitausforschung 2011 für unverhältnismäßig und grundrechtswidrig. Nach dieser herben Niederlage legte die Bundesregierung prompt Berufung ein. Nach weiteren sieben Jahren erklärte das Oberverwaltungsgericht NRW 2018 die gesamte Beobachtung ebenfalls für grundrechtswidrig, ließ aber »wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache« Revision zum Bundesverwaltungsgericht zu. Und prompt legte die Bundesregierung Revision ein. Nach weiteren zwei Jahren wies das Bundesverwaltungsgericht diese als unbegründet zurück und erklärte die VS-Beobach­tung ebenfalls von Anfang an für rechtswidrig sowie »in handgreiflicher Weise unangemessen« (BVerwG 6 C 11.18 vom 14. Dezember 2020; bverwg.de/141220U6C11.18.0). Diese höchstrichterliche Entscheidung brachte mir endlich Rechtssicherheit und Rehabilitierung. Sie erfolgte nach 15 Verfahrensjahren und insgesamt über einem halben Jahrhundert VS-Drang­salierung. Ohne starken sozialen, kulturellen, politischen, juristischen und gewerkschaftlichen Rückhalt hätte ich diese Überwachungsgeschichte und diese aufwändige Prozedur wohl kaum durchgestanden. Angesichts des immensen staatlichen Ausforschungs- und Verfahrensaufwands: eigentlich ein Fall für den Bundesrechnungshof – wegen Verschwendung öffentlicher Gelder.

Ich empfand es übrigens persönlich mehr als schockierend, mit welcher ideologischen Verbissenheit und Ausdauer dieser Inlandsgeheimdienst, neben vielen anderen linksorientierten Personen und antifaschistischen Gruppen, mich und mein menschenrechtliches Engagement jahrzehntelang beobachtet hatte, während sich zeitgleich Nazis, rechte Gewalt und Terror fast unbehelligt entwickeln und ihre Blutspur durch die Republik ziehen konnten.

Unkontrollierbar und skandalgeneigt

Angesichts eines insgesamt niederschmetternden Befunds muss sich die Sicherheitspolitik endlich ernst­haft den zugrundeliegenden Problemen eines vorverlagerten Staatsschutzes, schwer kontrollierbarer Geheimstrukturen und -methoden stellen und geeignete Konsequenzen ziehen. Doch die bisherigen »Reformbemühungen« laufen in eine andere Richtung.

Abschließend eine thesenartige Zusammenstellung der VS-Problematik und möglicher Auswege aus der Misere:

1. Man muss es so klar und deutlich sagen: Gerade in ihrer Ausprägung als Geheimdienste sind die VS-Institutionen von Bund und Ländern Fremdkörper in der Demokratie. Warum? Weil sie zwar Verfassung und Demokratie schützen sollen, doch selbst demokratischen Grundprinzipien der Transparenz und der Kontrollierbarkeit widersprechen. Kein Wunder, dass solche Geheimorgane auch in einem demokratischen Rechtsstaat immer wieder zu Verselbstständigung, Willkür und Machtmissbrauch neigen, wie ihre ellenlange Skandalgeschichte eindrucksvoll belegt. Streng genommen also selbst ein Fall für den Verfassungsschutz, der sich wegen Demokratiedefizits und Grundrechtsbrüchen selbst beobachten müsste.

2. Das Geheimhaltungssy­stem des VS zum Schutz seiner Informanten, V-Leute und Praktiken geht fast über alles – womöglich über Verhütung und Aufklärung von Verbrechen. Die regierungsamtliche Ermittlungsverhinderung und langjährige Aktensperre im Fall Andreas Temme alias »Klein-Adolf« in Hessen sind hierfür einschlägige Beispiele. Der V-Mann-Führer des hessischen VS war während eines NSU-Mordes in Kassel am Tatort, will aber nichts mitbekommen haben. Ein Ermittlungsverfahren gegen den Verdächtigen wurde eingestellt.

3. Tatsächlich ist es schwer bis unmöglich, VS-Behör­den so wirksam zu kontrollieren, wie das in einem demokratischen Rechtsstaat selbstverständlich sein sollte. Denn das Verdunkelungssystem frisst sich weit hinein in Justiz und Parlamente, die Geheimdienste kontrollieren sollen – und allzu häufig daran scheitern. Die parlamentarische Kontrolle erfolgt systembedingt ihrerseits geheim – und damit wenig demokratisch. Und Gerichtsprozesse, in denen etwa V-Leute eine Rolle spielen, werden teils zu rechtsstaatlich bedenklichen Ge­heimverfahren, in denen Akten vorenthalten und Zeugen gesperrt werden oder nur mit eingeschränkten Aussagegenehmigungen auftreten dürfen – aus Gründen des »Quellenschutzes«, der »Ausforschungsgefahr« oder des »Staatswohls«.

4. Das bedeutet: Sobald Geheimdienste ihre Finger im Spiel haben, bleiben Aufklärung und Wahrheit immer wieder auf der Strecke. Das zeigte sich besonders deutlich im Zusammenhang mit den parlamentarischen NSU-Untersu­chungsausschüs­sen: Seit Aufdeckung der Mord­serie waren einige VS-Behör­den fleißig damit beschäftigt, die Spuren ihres Ver­sagens, ihrer ideologischen Verblendung und Verflechtungen in das NSU-Umfeld zu verdunkeln, zu schreddern, zu vernichten. Die parlamentarischen Kontrolleure blickten in den Abgrund einer organisierten Verantwortungslosigkeit; entsprechend vernichtend fällt parteiübergreifend ihr Urteil aus: »historisch beispielloses Staats- und Behördenversagen«.

5. Doch ausgerechnet diese Geheimdienste erhalten immer wieder unverdienten Auftrieb. Statt ernst­hafte Konsequenzen aus ihren skandalreichen Karrieren zu ziehen, werden sie weiter personell und finanziell ausgebaut sowie technologisch aufgerüstet. So dürfen sie sich inzwischen auf Bundesebene und in manchen Bundesländern – wenn auch besser reguliert, so doch ganz legal – auch krimineller V-Leute bedienen und diese im Zweifel gegen Ermittlungen der Polizei abschirmen. Auch die »Quellen-TKÜ«, also die Ausforschung von Computern mit heimlich eingeschleusten Staatstrojanern, ist legalisiert (TKÜ ist eine Abkürzung für Telekommunikationsüberwachung, jW). Und die Hürden für die Beobachtung von Einzelpersonen wurden abgesenkt. So unglaublich es klingen mag: Der VS mitsamt seinem kaum kontrollierbaren V-Leute-Sy­stem geht aus seinen Desastern gestärkt hervor.

6. Die VS-Behörden erhalten zudem neuen Auftrieb, insbesondere im Zuge des staatlichen Antiterrorkampfes sowie angesichts der verstärkten Be­obachtung von rechtsextremen Partei­en, Organisationen und Strömungen. Hinsichtlich der disparaten »Querdenker«-Bewegung gegen staatliche Anti-Covid-19-Maßnahmen und anderer politischer Strömungen und Gruppen, die nicht eindeutig als »links- oder rechtsextremistisch« eingestuft werden können, schuf sich der VS ein neues, erweitertes Beobachtungsfeld: die »verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates«. Das bedeutet eine Ausweitung von VS-Aufgaben und nachrichtendienstlichen Befugnissen, eine Stigmatisierung auch berechtigter Kritik am Staat, sobald damit das »Vertrauen in staatliche Institutionen und Repräsentanten« angeblich »nachhaltig beschädigt« werde. Letztlich eine gefährliche Bedrohung staatskritischer freier Meinungsäußerung und Medienarbeit.

7. Und hinsichtlich der AfD, die bundesweit als »rechtsextremistischer Verdachtsfall« eingestuft wird, und hinsichtlich der AfD-Jugend »Junge Alternative« und dreier AfD-Landes­verbände (Brandenburg, Sachsen, Thüringen), die inzwischen als »gesichert rechtsextrem« gelten und unter nachrichtendienstlicher Beobachtung stehen: Was soll bei deren heimlicher Ausforschung eigentlich herauskommen – außer personeller Verflechtungen und staatlich mitfinanzierter Radikalisierungsprozesse durch angeworbene und bezahlte V-Leute des VS? Reicht es nicht, Hetztiraden, menschenverachtende Äußerungen und Aktionen von AfD-Ver­tre­tern zu dokumentieren und zivilgesellschaftlich – wo nötig: auch strafrechtlich angemessen – darauf zu reagieren? An verstärkter politischer Auseinandersetzung mit dieser Partei und deren Wählern führt ohnehin kein geheimdienstlicher Schleichweg vorbei – genausowenig an einem überfälligen Politikwechsel in Richtung sozialer Gerechtigkeit, sozialer Sicherheit und Frieden, der womöglich auch AfD, Pegida & Co. das Fahrwasser abgraben könnte.

8. Letztlich wird sich grundsätzlich nur dann etwas ändern, wenn sich die Sicherheitspolitik an das VS-Geheimsystem wagt und die geheimdienstliche Überwachung legaler politischer Oppositions- und Protestgruppen beendet wird. Das heißt: Den VS-Behör­den sollte die Lizenz zur heimlichen Gesinnungskontrolle, zum verdeckten Führen von V-Leuten und Infiltrieren von politischen Szenen und Gruppen aus bereits genannten Gründen prinzipiell versagt werden. Dieser Forderung steht nicht etwa das Grundgesetz entgegen und auch keine Landesverfassung. Denn danach muss der VS keineswegs als Geheimdienst ausge­staltet sein. Deshalb sollten die VS-Behörden als ideologisch geprägte, intransparente, kontrollresistente und demokratiewidrige Inlandsgeheimdienste sozialverträglich aufgelöst werden, wie es namhafte Bürgerrechtsorganisation – darunter die Humanistische Union (HU) und die ILMR in ihrem Memorandum »Brauchen wir den Verfassungsschutz? Nein!« (Berlin/Norderstedt 2013) – längst gefordert und ausführlich begründet haben.

9. Unabhängige, gut ausgestattete und öffentlich kontrollierbare Dokumentations- und Forschungszentren würden etwa die Rechtsentwicklung oder andere Gefährdungen von Demokratie und Verfassung ohne gefährliche Methoden erforschen können, dafür mit weit besseren diagnostisch-analytischen Fähigkeiten. Über die gewonnenen Erkenntnisse könnten Regierungen und Öffentlichkeit umfassend informiert und aufgeklärt werden. Auf dieser Grundlage könnten Politik und Zivilgesellschaft Prävention betreiben. Im Fall von Gewaltorientierung, konkreten Gefahren und straf­baren Handlungen sind ohnehin Polizei und Justiz zuständig. Damit wäre dann auch der geradezu irrsinnige Widerspruch gelöst, mit demokratieunverträg­lichen Geheimdiensten Demokratie und Verfassung schützen zu wollen. Im übrigen gilt ohnehin: »Was die deutsche Demokratie heute ist, wurde sie nicht wegen, sondern trotz des Verfassungsschutzes« (Claus Leggewie/Horst Meier, Berlin 2019).

Epilog

Dieser Beitrag beruht im Kern auf Artikeln, Expertisen und Vorträgen, die der Autor in den vergangenen Jahren erarbeitet hat. Er konzentriert sich auf die strukturellen und methodischen Vorgaben und Probleme des VS, die er einer grundsätzlichen Kritik unterzieht, sowie auf die daraus resultierende VS-Skandalgeschichte. Deshalb wird er leider all jenen Verfassungsschützern nicht gerecht, die trotz oder gar in Opposition zu dieser grundsätzlichen Bürde versuchen, ihren Auftrag angemessen und grundrechtskonform zu erfüllen. Zudem fehlen in dem Text auch mögliche positive Leistungen und »Erfolge« des VS, die jedoch – das ist das systembedingte Los dieses Geheimdienstes – schon aus Geheimhaltungsgründen vielfach weitgehend im Verborgenen bleiben müssen – zu Lasten von Nachweisbarkeit und Glaubwürdigkeit.

Literaturhinweise

Mathias Brodkorb: Gesinnungspolizei im Rechtsstaat? Der Verfassungsschutz als Erfüllungsgehilfe der Politik. Sechs Fallstudien, Springe 2024

Hajo Funke: Sicherheitsrisiko Verfassungsschutz. Staatsaffäre NSU. Das V-Mann-Desaster und was daraus gelernt werden muss, Hamburg 2018

Rolf Gössner: Geheime Informanten. V-Leute des Verfassungsschutzes. Neonazis im Dienst des Staates, München 2003. Aktualisierte Neuauflage als E-Book beim Knaur-Verlag, München 2012; Direktlink: droemer-knaur.de/autor/rolf-goessner-3000215

Humanistische Union/Internationale Liga für Menschenrechte/Bundesarbeitskreis Kritischer Juragruppen (Hg.): Brauchen wir den Verfassungsschutz? Nein! Memorandum. Erarbeitet von Rolf Gössner, Johann-Albrecht Haupt, Udo Kauß, Till Müller-Heidelberg und Thomas von Zabern, Berlin/Norderstedt 2013; Direktlink: humanistische-union.de/publikationen/hu-schriften/publikation/brauchen-wir-den-verfassungsschutz/

Cornelia Kerth/Martin Kutscha (Hg.): Was heiß hier eigentlich Verfassungsschutz? Ein Geheimdienst und seine Praxis, Köln 2020

Claus Leggewie/Horst Meier: Nach dem Verfassungsschutz. Plädoyer für eine neue Sicherheitsarchitektur der Berliner Republik. Zweite, aktualisierte Auflage, Berlin 2019

Heribert Prantl: Wer schützt die Verfassung vor dem Verfassungsschutz? Eine Anklage, München 2012

Bodo Ramelow (Hg.): Schreddern, Spitzeln, Staatsversagen. Wie rechter Terror, Behördenkumpanei und Rassismus aus der Mitte zusammengehen, Köln 2013

Ronen Steinke: Verfassungsschutz. Wie der Geheimdienst Politik macht, Berlin/München 2023

Rolf Gössner ist Publizist und Jurist, Kuratoriumsmitglied der Internationalen Liga für Menschenrechte (ILMR) und Mitherausgeber des jährlichen »Grundrechte-Report. Zur Lage der Bürger- und Menschenrechte in Deutschland«. Zuletzt veröffentlichte er den Band »Datenkraken im öffentlichen Dienst. ›Laudatio‹ auf den präventiven Sicherheits- und Überwachungsstaat«, Köln 2021. Internet: rolf-goessner.de.

Teil 1 erschien in der Ausgabe vom 17. Juli.

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