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Aus: Ausgabe vom 19.07.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Plenum des ZK der KPCh

Beijing gibt Richtung vor

China: Plenum des ZK der Kommunistischen Partei berät über wirtschaftliche Entwicklung und beschließt Programm für die Zukunft
Von Jörg Kronauer
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Eine »sozialistische Marktwirtschaft auf hohem Niveau« ist das Ziel des vorgestellten Programms (Beijing, 18.7.2024)

Mit neuen Weichenstellungen für die chinesische Wirtschaft ist am Donnerstag das 3. Plenum des 20. Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas zu Ende gegangen. Das 3. Plenum ist traditionell dasjenige, auf dem das ZK die grundlegenden Entscheidungen für die chinesische Ökonomie fällt. Recht hoch waren denn auch die Erwartungen, die auf der viertägigen Zusammenkunft in Beijing lasteten. 199 Mitglieder und 165 alternierende Mitglieder des ZK nahmen an ihr teil. Ein Abschlusskommuniqué listet zentrale Beschlüsse auf und lässt die Neuorientierung erkennen, die das 3. Plenum soeben vorgenommen hat. Details werden in den kommenden Tagen erwartet.

Eine zentrale Rolle nimmt der Fokus auf die »Produktivkräfte neuer Qualität« ein. Gemeint sind im wesentlichen modernste Zukunftstechnologien, auf deren Entwicklung sich China verstärkt konzentrieren soll. Hintergrund ist zum einen, dass die technologische Entwicklung dies nahelegt; zum anderen aber auch, dass die Volksrepublik einen Umgang mit dem Wirtschaftskrieg finden muss, den die USA gegen sie entfesselt haben und dem sich mehr und mehr auch die EU anschließt. Mit einem zunehmenden Maß an Sanktionen und an Embargos konfrontiert, setzt Beijing darauf, die Entwicklung von Spitzentechnologien gezielt eigenständig voranzutreiben und sich vom Ausland unabhängig zu machen. Es gelte, »die Resilienz und die Sicherheit von Liefer- und Versorgungsketten zu erhöhen«, ist im Abschlusskommuniqué des 3. Plenums zu lesen. Die qualitative Entwicklung soll dabei Vorrang vor der quantitativen erhalten, sie zählt künftig mehr als Wachstumsziffern.

Soziales und Ökologie

Das ZK strebt darüber hinaus eine Angleichung der Lebensbedingungen der chinesischen Bevölkerung an. Das gilt zum einen für die immer noch klaffenden Differenzen zwischen den hochmodernen Metropolen, insbesondere in den Küstenregionen, und dem Land. Die Partei solle dafür sorgen, dass zwischen Stadt und Land ein gleichwertiger Austausch entstehe, heißt es in dem Kommuniqué. Das solle bestehende Ungleichheiten verringern und Entwicklung und gemeinsamen Wohlstand bringen. Konkret sollen wohl die Landwirtschaft verbessert und die ländliche Infrastruktur aufgewertet werden. Genaueres wird man allerdings erst den Details entnehmen können, die für die kommenden Tage angekündigt sind. Das ZK verlangt zudem, dass die Einkommen besser umverteilt werden, um »das Wohlbefinden der Menschen zu verbessern«. Das knüpft an die Kappung von Spitzengehältern an, die seit geraumer Zeit vorangetrieben wird. Zudem sollen Maßnahmen gegen die Arbeitslosigkeit getroffen werden. Auch die soziale Absicherung sowie das Gesundheitssystem seien zu stärken, heißt es.

Darüber hinaus kündigte das ZK weitere Maßnahmen im Kampf gegen den Klimawandel an. Konkret sollen eine »grüne Entwicklung« und Wirtschaftswachstum verbunden werden. Dazu sollen etwa der Kohlendioxidausstoß reduziert und Renaturierungsmaßnahmen gefördert werden, bei denen China in den vergangenen Jahren bereits eine Reihe beachtlicher Erfolge erzielt hat. Das 3. Plenum stellt in seinem Abschlusskommuniqué zudem Reformen etwa im Steuer- und Finanzsystem in Aussicht, freilich auch dies, ohne Details zu nennen. Schon vorab war spekuliert worden, das ZK könne sich mit den schon lange geforderten Anpassungen im Steuersystem befassen und für eine bessere Finanzausstattung der Kommunen sorgen. Diese tragen zwar einen großen Teil der finanziellen Last, dürfen aber zuwenig von den Steuergeldern einbehalten, um sie zu finanzieren. Die Folge ist eine überaus starke Verschuldung der Kommunen.

Hoher Besuch aus den USA

Die Reformmaßnahmen, die das 20. ZK fordert, sollen – so heißt es im Abschlusskommuniqué – bis zum 80. Geburtstag der Volksrepublik im Jahr 2029 umgesetzt sein. Das soll weitere Schritte ermöglichen, an deren Ende dann im Jahr 2035 das Ziel erreicht sein soll, »eine sozialistische Marktwirtschaft mit hohen Standards« zu schaffen und »das System des Sozialismus mit chinesischen Charakteristika zu verbessern«. Damit seien dann die Grundlagen dafür geschaffen, China bis zur Jahrhundertmitte zu »einem großartigen modernen sozialistischen Land« zu machen.

Wie so oft liegt der Teufel auch hier natürlich im Detail. In der kommenden Woche wird eine hochrangige US-Wirtschaftsdelegation in Beijing erwartet, die sich dort unter anderem mit Handelsminister Wang Wentao, aber auch mit Außenminister Wang Yi treffen will, um die Bedingungen auszuloten, denen ihr China-Geschäft in Zukunft ausgesetzt ist. Erwartet werden etwa: der Präsident des US-China Business Councils (USCBC), Craig Allen; der Chef von Fedex, Raj Subramaniam; zudem Manager etwa des Halbleiterkonzerns Qualcomm und der Investmentbank Goldman Sachs, von Nike, Starbucks und United Health. Die Manager sollen sich einem Bericht der Hongkonger Tageszeitung South China Morning Post zufolge mehrere Tage lang in der chinesischen Hauptstadt aufhalten und dort am Freitag kommender Woche an der China Operations Conference teilnehmen, die das USCBC einmal pro Jahr für seine Mitglieder organisiert. Dann wird klar sein, wie sich die Beschlüsse des 3. Plenums auf auswärtige Unternehmen auswirken – auch auf deutsche übrigens.

Hintergrund: Wachstumsziele

Unabhängig von der Umorientierung der Volksrepublik von quantitativem auf qualitatives Wachstum, die mit der neuen Schwerpunktsetzung auf die »Produktivkräfte neuer Qualität« verbunden ist, wird China aller Voraussicht nach sein Wachstumsziel von fünf Prozent für dieses Jahr erfüllen können. Der Vorhersage chinesischer Stellen hat sich jetzt auch der Internationale Währungsfonds (IWF) angeschlossen, der seine Prognose für die Volksrepublik in dieser Woche von 4,6 Prozent auf fünf Prozent angehoben hat. Vor einigen Tagen hatte die Mitteilung des chinesischen Statistikamts, das Wirtschaftswachstum sei nach 5,3 Prozent im ersten Quartal auf nur noch 4,7 Prozent im zweiten Quartal zurückgegangen, im Westen Spekulationen ausgelöst, Beijing könne sein Ziel für dieses Jahr verfehlen. Nach den jüngsten Angaben des Statistikamts lag der Rückgang einerseits an geringerem Konsum, andererseits aber auch an einmaligen Faktoren, so etwa an Hochwassern und anderen extremen Wetterereignissen. Die grundlegenden makroökonomischen Indikatoren, hieß es, seien unverändert stabil.

Die Fünfprozentprognose deckt sich mit den Vorhersagen privater Finanzinstitute wie etwa der HSBC. Deren Chefökonom für Greater China, Liu Jing, bestätigte in dieser Woche der Global Times, die Großbank gehe gleichfalls von einem Wachstum von fünf Prozent aus. Im internationalen Vergleich steht die Volksrepublik damit immer noch gut da. Indien kann nach IWF-Schätzungen auf ein Wachstum von sieben Prozent hoffen, es hat allerdings in seiner wirtschaftlichen Entwicklung viel größeren Aufholbedarf als China. Beide Länder liegen jeweils klar über dem globalen Wachstumsdurchschnitt, den der IWF für dieses Jahr auf rund 3,2 Prozent schätzt. Nach unten gezogen wird der Durchschnitt nicht zuletzt von den USA, deren Prognose der IWF von 2,7 auf 2,6 Prozent senkte, und von Japan, das der IWF nur noch um 0,7 Prozent wachsen sieht. Damit ist Europa nicht mehr Schlusslicht: Der IWF hob die Wachstumsprognose der Euro-Zone von 0,8 auf 0,9 Prozent an. (jk)

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (18. Juli 2024 um 21:09 Uhr)
    Auch qualitatives Wachstum lässt sich mit Ziffern ausdrücken. Man braucht aber ein komplex(er)es System (nicht eindimensional) und muss sich darüber Gedanken machen, welche Kategorien wie gewichtet in die Bewertung eingehen. Ich warte gespannt darauf, mehr Details über die Bestrebungen zur Angleichung der Lebensbedingungen der chinesischen Bevölkerung zu erfahren.

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