75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Gegründet 1947 Sa. / So., 07. / 8. September 2024, Nr. 209
Die junge Welt wird von 2927 GenossInnen herausgegeben
75 Ausgaben junge Welt für 75 € 75 Ausgaben junge Welt für 75 €
75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Aus: Ausgabe vom 19.07.2024, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Litihiumabbau in Serbien

Standortvorteil Vučić

Olaf Scholz reist nach Belgrad, um der deutschen Autoindustrie serbische Lithiumvorkommen zu sichern
Von Roland Zschächner
imago569335578.jpg
Nächste Runde eingeläutet: Belgrader Proteste gegen den Lithiumabbau am 4. Dezember 2021

Wer E-Autos bauen will, braucht Lithium. Das weiß Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nur zu gut, der an diesem Freitag in Belgrad erwartet wird. Er ist im Auftrag der deutschen und europäischen Autoindustrie unterwegs, die es auf die serbischen Lithiumvorkommen abgesehen hat. Dafür wird ein »Memorandum of Understanding zwischen Serbien und der EU-Kommission über eine strategische Partnerschaft zu nachhaltigen Rohstoffen, Batterie-Wertschöpfungsketten und Elektrofahrzeugen« unterzeichnet, wie es das Kanzleramt verkündet. Mit Scholz wird in Belgrad der slowakische Politiker Maroš Šefčovič erwartet. Er ist stellvertretender EU-Kommissionspräsident und zuständig für den »Green Deal« der EU.

Wirtschaftliche Schwergewichte in Belgrad angekündigt, etwa die Chefs der Autokonzerne Mercedes-Benz und Stellantis, Ola Källenius und Carlos Tavares. Mit einem Federstreich wollen sie sich den wertvollen Rohstoff sichern. Lithium wird nicht nur in den Batterien für E-Autos verbaut, sondern auch für Mobiltelefone oder Windkraftanlagen benötigt.

Die serbische Lagerstätte rund um den Fluss Jadar ist für die EU bestechend. Das Lithium ist nah an den europäischen Autofabriken; Stellantis hat sogar eine Fertigungsstätte in Serbien. Bis zu 58.000 Tonnen Lithium im Jahr will der australisch-britische Bergbaukonzern Rio Tinto ab 2028 in der Gegend um Loznica aus der Erde holen. Damit könnten laut dem serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić 1,1 Millionen E-Fahrzeuge hergestellt werden, 17 Prozent der europäischen Produktion. Die EU müsste dann nicht wie in anderen Regionen mit China und dessen prosperierender E-Autoindustrie um das wertvolle Leichtmetall konkurrieren.

Bereits 2022 verlangte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU), die EU solle unabhängiger von sogenannten kritischen Rohstoffen werden: »Lithium und seltene Erden werden bald wichtiger sein als Öl und Gas«. Der Zugang zu Rohstoffen sei für den Erfolg der »Transformation hin zu einer nachhaltigen und digitalen Wirtschaft« entscheidend. Um sich die für die EU-Industriepolitik des »Green Deals« notwendigen Ressourcen zu sichern, betreibt Brüssel die Initiative »Global Gate«. Zu dieser passt Serbien wegen seiner günstigen Lage und der billig auszubeutenden Ressourcen gut.

Ein weiterer Standortvorteil ist Vučić. Im Fall Rio Tinto hat er sich für Berlin und Brüssel als treuer Erfüllungsgehilfe erwiesen. Der geplante Lithiumabbau ist in Serbien trotz des Versprechens, eine eigene Wertschöpfungskette mit Batterie- und Autoproduktion aufzubauen, äußerst unpopulär. Das Projekt verwüste die Landschaft im Jadartal, zerstöre die Natur dauerhaft, verschmutze das Wasser und führe »zur Vertreibung der Anwohner und der Einstellung nachhaltiger und rentabler landwirtschaftlicher Tätigkeiten«, so Velimir Radmilović von der Serbischen Akademie der Wissenschaften und Künste in einer Stellungnahme.

Zum Jahreswechsel 2021/2022 entwickelte sich der im Jadartal entstandene Widerstand zu einer landesweiten Bewegung. Zehntausende Menschen gingen auf die Straße und blockierten wichtige Verkehrswege. Dabei vereinte der Protest alle politischen Lager; rechte Nationalisten reihten sich ebenso ein wie Umweltschützer und linke Aktivisten: Vučić musste die Reißleine ziehen. Im Januar 2022 wurde das Projekt gestoppt. Davon unbeeindruckt arbeitete Rio Tinto weiter an seinem Plan. So brachte der Konzern in diesem Juni eine Umweltstudie heraus – das Ergebnis: alles kein Problem.

Nun geht alles schnell: Am 11. Juli kippte das Verfassungsgericht die Entscheidung von 2022. Fünf Tage später beschloss die Regierung, den ursprünglichen Plan zur Ausbeutung der Lithiumminen wieder in Kraft zu setzen, um das zu nutzen, was »von der Natur und von Gott gegeben ist«, wie es Ministerpräsident Miloš Vučević nannte. An diesem Freitag werden Scholz und die Autobosse erwartet. Ob die Überrumpelung aufgeht, wird sich zeigen. Die Umweltgruppen, die ehemals den Protest organisierten, kündigten an, wieder Widerstand zu leisten.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!

  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Barbara H. aus Schweiz (19. Juli 2024 um 11:25 Uhr)
    Vučić erweist sich nicht als guter Landesvater, wenn er die Lithiumschätze ins Ausland verscherbelt. Das Lithium im Jadartal gehört der serbischen Bevölkerung, genauso wie das Lithium vom Salar de Uyuni dem bolivianischen Volk gehört. Umweltverbände hatten so stark protestiert, dass der erste Anlauf abgebrochen werden musste. Dr. Mirjana Anđelković Lukić hatte chemische Analysen verfasst, die die tiefgehende Umweltverschmutzung belegen, die aus einer Lithiumförderung im Jadartal hervorgehen würde. Hat nicht Serbien genug Umweltprobleme, die vom Krieg der NATO 1999 resultieren? Frauen gebären Kinder, die schon bald an Tumoren im Kopf erkranken. Von der Uranmunition will bald niemand mehr etwas wissen, außer junge Frauen. Wir wünschen Vučić, dass er standhaft zu seinem Volk steht und keinerlei schnöden Geschäfte mit Scholz eingeht. Dr. Barbara Hug Schweiz

Ähnliche:

Regio:

Mehr aus: Kapital & Arbeit