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Aus: Ausgabe vom 19.07.2024, Seite 10 / Feuilleton
Nachruf

Fair ist das nicht

Zum Tod des Ton-Steine-Scherben-Gitarristen R. P. S. Lanrue
Von Norman Philippen
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Zu Gast im »Goldenen Hahn«: R. P. S. Lanrue (Berlin-Kreuzberg, 2014)

Wie es der Zufall so will, schreibe ich diesen Nachruf nur wenige Möwenflügelschläge von dem Ort entfernt, an dem R.(alph) P.(eter) S.(teitz) sein erstes Konzert mit Ton Steine Scherben spielte. Auf der Ostseeinsel Fehmarn nämlich, wo 1970 das Love-and-Peace-Festival im Chaos versandete, das wiederum Jimi Hendrix’ letztes war. Ich weiß auch noch, wie ich die zweite Platte der Band, »Keine Macht für Niemand« (1972), entdeckte und mich darauf R. P. S. Lanrues Gitarrenspiel sehr entzückte. Mit 14 war das, keine zwei Jahre vor Rio Reisers Tod 1996. Das Gitarrenintro von »Wir müssen hier raus« kriegt mich heute noch genauso wie damals. Insofern ist der (miserablen, die Band in Schulden treibenden) Exmanagerin der Scherben und heutigen Kulturstaatsministerin dieser Tage überall zu lesende Würdigung, Lanrue habe den Sound einer ganzen Generation mitgeprägt, fast untertrieben. Meiner Generation gefiel immer noch gut, was er so zusammenzupfte.

Gehört, wird mir gerade klar, hatte ich Lanrue schon mit elf, als ich vom großen Brudi Rio Reisers Soloplatte »***« (1990) zum Geburtstag bekam, auf der R. P. S. ebenfalls – allerdings ohne größeren Nachhall in meinen Ohren – die Gitarre spielte, so wie er es auf Reisers Solosachen bis zu dessen Tod tat. Denke ich aber an Lanrue, dann zuallererst immer an die ersten 26 Sekunden des ersten Songs von »Keine Macht für Niemand«. Fair ist das nicht, schließlich musizierte der 1950 im französischen Grenoble geborene, 1966 im hessischen Nieder-Roden nicht schicksalshaft, sondern zufällig auf Rio Reiser getroffene und am vergangenen Sonntag in Berlin-Kreuzberg verschiedene Mann ein gutes Halbjahrhundert reichlich Gutes.

Fair aber war es nie. Das Leben, das nach Thomas Bernhard (in Anlehnung an Kierkegaard) nun einmal die Krankheit zum Tode ist, die uns alle rafft. Und von Fairness kann keine Rede sein, wenn die prominenteste Nachruferin ausgerechnet Claudia Roth sein muss. Oder dass Keith Richards aus unerfindlichen Gründen noch lebt, der ihm ähnlich sehende, interessanter Gitarre spielende Lanrue nach langer Krankheit aber dem Krebs erlag. Im Kaputtmachen, was uns alle kaputt macht, hat er es in 74 Jahren so weit gebracht, dass späte musikalische Kollaborationen mit Bands wie Madsen oder Leuten wie Sebastian Krumbiegel am Tag der Abrechnung nicht ganz so schwer wiegen. In den doofdrögen Himmel kommt Lanrue ohnehin so wenig wie in die nichtexistente Hölle. Aber und dennoch apropos: »Wir müssen hier raus, das ist die Hölle, wir leben im Zuchthaus / Wir sind geboren, um frei zu sein, wir sind zwei von Millionen, wir sind nicht allein / Und wir werden es schaffen, wir werden es schaffen, wir werden es schaffen …«

Hat er jetzt geschafft. Hier, so nahe dem Ort, an dem Lanrues Musikkarriere einst so katastrophal live begann, ist es viel zu friedlich, um ihm nachfolgen zu wollen. Im September zurück in Berlin, wo hierzulande alle Macht für niemand (von uns) konzentriert ist, kann das schnell wieder anders aussehen. Bis dahin und darüber hinaus aber: R. I. P., guter Gitarrero R. P. S.!

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