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Aus: Ausgabe vom 19.07.2024, Seite 10 / Feuilleton
Klassik

Von farbiger Durchsichtigkeit

Das Internet und die Liebe zur Klassik: Dreimal Mozarts Violinkonzert A-Dur KV 219
Von Stefan Siegert
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Und immer wieder die große Violinistin Isabelle Faust

Das Handycap des Internets: Es ist unendlich. Selbst Nutzerinnen der Nische »Alte und neue Musik« sehen sich bis an den Horizont einem Meer elektronisch erfasster Daten gegenüber, jeden Monat kommen Neuerscheinungen hinzu. Man muss wissen, was man sucht. Weiß man’s, wird das Internet zum Segen.

Nach welchen Aufnahmen zum Beispiel der sechs Violinkonzerte Mozarts wäre zu fahnden in den Suchmaschinen der nur gegen Bezahlung auch akustisch werbestörungsfreien Plattformen? Grob geschätzt, hat man die Wahl zwischen zwei großen Gruppen. Zwischen den Hegemonen des seit zweihundert Jahren romantisch sozialisierten Mainstreams und der Avantgarde der auf alten Instrumenten spielenden Barockorchester. Sie prägen seit Jahrzehnten den Mozart-Stil des Orchesterspiels. Beide Gruppen haben dasselbe Problem mit Mozart. Er war selbst ein famoser Geiger und Klavierspieler. Alles musste so leicht und spielerisch klingen, wie er es als junger Konzertmeister und Virtuose ersonnen und selbst aufgeführt hatte, und nichts ist bekanntlich schwerer zu machen als das Leichte. Besonders schwer die für Mozarts Einfachheit unabdingbaren, für jeden Geiger hochproblematischen Fingersätze, die flinken, treffsicheren Finger dazu.

Darum haben selbst die großen Solisten der Vergangenheit selten ein Mozart-Idiom gefunden, das Mozarts solitärer Koinzidenz aus Einfachheit, Popularität und Tiefe gerecht würde. Auch die um »Authentizität« im Sinn einer das geschichtliche Umfeld reflektierenden Glaubwürdigkeit bemühten Musiker auf alten Instrumenten haben sich mit Mozart schwergetan: Seine Konzerte für Klavier oder Geige waren die Nachzügler kritisch-historischer Diskographie.

Der italienische Blockflötensolist und Dirigent Giovanni Antonini und sein Ensemble Il Giardino Armonico sind barockerfahren und haydntrainiert. Sie haben sich wie die wachsende Zahl historisch orientierter Ensembles dem Espressivo verschrieben, einem impulsiv geschliffenen rhythmischen Gerüst farbiger Durchsichtigkeit. Ihre Solistin bei Mozart: Isabelle Faust, eine Geigerin, die viele Freunde und Bewunderer in allen Lagern hat. Sie hat ihre modernisierte Stradivari für Mozart mit Darmsaiten bespannt. Jeder Ton, bei Sparsamstvibrato, hat Atem und Leben, er bewegt sich frei in den Energiefeldern des Orchestergeschehens.

Das Violinkonzert A-Dur KV 219 ist ein Juwel reifer Pubertät. Es bedient das Bedürfnis nach Tanz und Spannung, auch schon ein wenig das nach Zeitnerv à la Carl Philipp Emanuel Bach; es vergisst darüber nicht das Verlangen nach Zurücklehnen, nach jenem im A-Dur-Konzert in allen drei Sätzen auf solche Weise nur Mozart eigenen Arioso. Das finale alla Turca geht italienisch ab wie die gute alte Bundespost von früher.

Mehr als zweihundert Jahre hatte der romantische Zugriff Mozart bei der Gurgel. Noch große Geiger der Vergangenheit wie Jacques Thibaud oder Yehudi Menuhin und geradezu resilientexzellente Lebendexemplare wie Anne-Sophie Mutter oder Julia Fischer spielen ihn kaum anders, als sie Schumann oder Brahms spielen. Aber die Klassik fände nicht auf Erden statt, gäbe es nicht auch in der Abteilung »romantischer Mozart« große Momente. Bei aller romantischen Glut, die er, aufgeklärt wie er klingt, zu entfachen weiß, lässt Nathan Milstein (1903–1999) den auf der Geige gesangsverliebten, den spielfreudig neckischen Mozart hören. Und in einer weiteren Aufnahme verwandelt sich dieselbe Isabelle Faust, die eben noch in feinnervigem, italienischem Kammer-Mozart brillierte, zu Ehren Bernhard Haitinks, des großen Altmeisters Amsterdamer Orchestersinfonik, dem kultiviert romantischen Klangkörper des Boston Symphony Orchesters an. Allein ihre Kadenzen sind ein Erlebnis. Ihr Mehr an Vibrato entspricht dem Volumen des Orchesters. Die ariosen Partien kapriziert sie nicht, sie singt sie, unaufdringlich hörbar eingebettet. Das berühmte »Alla turca« im Finalsatz kommt von Boston her etwas flau, Isabelle Faust reißt die Sache raus.

Soweit das Internet und die Liebe zu klassischer Musik. Ein heißer Tipp: gute externe Lautsprecher benutzen, die rechnerinternen machen nur die halbe Freude.

Mozart: Violinkonzert A-Dur KV 219 – ­ Isabelle Faust/Il Giardino Armonico/Giovanni Antonini (Harmonia Mundi France/Outhere) (https://www.youtube.com/watch?v=UUHPjZHfafs)

Mozart: Violinkonzert A-Dur KV 219 –­ Isabelle Faust/Boston Symphony Orchestra /Bernard Haitink (https://www.youtube.com/watch?v=9njzsnFwFxA)

Mozart: Violinkonzert A-Dur KV 219 – ­ Nathan Milstein/Philharmonia Orchestra (https://www.youtube.com/watch?v=9R6WxvhJlGI)

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