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Aus: Ausgabe vom 19.07.2024, Seite 15 / Feminismus
Polizeigewalt

Femizide instrumentalisiert

Kenia: Nach Leichenfunden auf Müllkippe präsentiert Polizei Täter, der 42 Frauen ermordet haben soll. Aktivisten bezweifeln die Darstellung
Von Tim Krüger
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Auf die Polizei ist kein Verlass: Anwohner des Mukuru-Viertels bergen Leichen (Nairobi, 12.7.2024)

Erst im Januar dieses Jahres wurde Kenia von einer Reihe von Morden an Frauen erschüttert. Die Femizide lösten landesweit eine Welle der Empörung und des Protestes aus. Nun wurde im Mukuru-Slum im Süden der Hauptstadt Nairobi, ein grauenvoller Fund gemacht. Seit vergangenem Freitag wurden die Leichen von mindestens zehn Personen aus einer überfüllten Müllkippe im Viertel Kware geborgen. Die Körper wurden teils zerstückelt und in Plastiksäcken verschnürt aufgefunden. Laut Angaben der Polizei sollen alle Getöteten Frauen gewesen sein. Erst nachdem Anwohner die Leichen entdeckt und zu einem großen Teil selbst geborgen hatten, wurden die Einsatzkräfte aktiv. Nach heftigen Protesten präsentierten die Ermittlungsbehörden der Öffentlichkeit bereits am Montag einen Tatverdächtigen.

Er soll laut Angaben der Polizei gestanden haben, 42 Frauen seit 2022 »stranguliert, zerstückelt und auf der Müllhalde entsorgt« zu haben, darunter auch seine Ehefrau. Der Chef der kenianischen Kriminalpolizei, Mohamed Amin, bezeichnete den 33jährigen als »Vampir« und »psychopathischen Serienmörder, der keinen Respekt vor menschlichem Leben hat«. In der Wohnung des Mannes, die nur wenige hundert Meter von der Müllkippe entfernt liegen soll, wollen die Behörden eine Machete, Mobiltelefone sowie Gegenstände der Opfer entdeckt haben. Doch gibt es erhebliche Zweifel an der Darstellung der Polizei. Schon am Tag des Fundes wurden Vermutungen laut, bei den gefundenen Leichen könnte es sich um während der jüngsten Proteste verschwundene Opfer von Polizeigewalt handeln. Dass die Leichen nur 100 Meter von der örtlichen Polizeistation entdeckt wurden, befeuerte die Spekulationen zusätzlich.

Auch Angaben zu Identität und Geschlecht der Opfer sind mehr als widersprüchlich. So teilte die unabhängige Polizeiaufsichtsbehörde IPOA in einer Stellungnahme mit, dass es sich bei den zum damaligen Zeitpunkt neun gefundenen Leichen um »sieben Frauen und zwei Männer« handeln soll, deren Körper »sichtbare Spuren von Folter und Verstümmelung« aufwiesen. Die Regierungsbehörde kündigte umfassende Untersuchungen an. »Die Polizei hat schon nach so kurzer Zeit einen angeblichen Täter präsentiert. Wie kann das sein?« fragt auch Wangui Wanjora. Die feministische Aktivistin ist Teil der »Revolutionary Socialist League of Kenya« und war aktiv an den Frauenprotesten Anfang dieses Jahres beteiligt. »Waeni wurde Anfang dieses Jahres von ihrem Freund ermordet, er läuft immer noch frei herum, die Regierung hat nichts gemacht. Seit Jahren gehen wir bei jedem Femizid auf die Straßen, und die Polizei macht nie etwas«, so Wanjori gegenüber der jungen Welt. Rita Waeni wurde im Januar ermordet. Ihr Tod war einer der Auslöser der Massenproteste.

Der »Femicide Count Kenya« geht davon aus, dass allein im Jahr 2023 mindestens 152 Frauen getötet wurden. Doch erfassen die Statistiken lediglich die eindeutig dokumentierten Fälle, die Dunkelziffer dürfte viel höher sein. In den allermeisten Fällen verlaufen die Ermittlungen im Sand, oder die Täter werden nicht gefasst. Wanjori bezweifelt die Version der Polizei: »Dafür, dass die Leichen schon monatelang im Schlamm bzw. im Wasser gelegen haben sollen, ist ihr Zustand zu gut erhalten gewesen«, meint die Aktivistin.

Die Müllkippe, auf der die Leichen gefunden wurden, wurde vor wenigen Tagen durch Unbekannte in Brand gesetzt. Die »Kenya National Comission on Human Rights« befürchtet nun, dass das Feuer die Ermittlungen behindern könnte, und wies darauf hin, dass man auch die Möglichkeit »außerrechtlicher Tötungen« in Betracht ziehen müsse. Erst am 6. Juli wurde der leblose Körper von Denzel Omondi auf einer Müllkippe in der Stadt Juja nahe Nairobi gefunden. Der junge Student verschwand am 27. Juni, nachdem er sich an den Protesten und der Erstürmung des Parlaments beteiligt hatte. Laut Polizeiangaben soll Omondi ertrunken sein. Nach seinem Tod stürmten Hunderte Studierende der Jomo-Kenyatta-Universität die Polizeistation in Juja und machten die Behörden für seinen Tod verantwortlich. Für Wanjori und ihre Mitstreiter ist klar: »Wir sind solidarisch mit den Familien der Opfer und gehen weiter auf die Straße. Gegen jeden Femizid, aber auch gegen die Mörderpolizei.«

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