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Aus: Ausgabe vom 20.07.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Drogenpolitik

»Der Bund kann keine Finanzierungslücke füllen«

Trotz Rekordzahl an Drogentoten sind bundesweit nicht alle Angebote verfügbar. Ein Gespräch mit Burkhard Blienert
Von David Maiwald
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Drogenkonsumräume können drogeninduzierte Todesfälle eindämmen, sind aber nur in neun Bundesländern verfügbar

Die Zahl der Drogentoten ist im vergangenen Jahr erneut gestiegen. Wieso versagt die Drogenpolitik der Bundesregierung?

Wir haben eine neue Drogenpolitik eingeleitet: weg von reiner Verbotspolitik, hin zu mehr schützen, stärken und helfen. Gerade besonders gefährdete Jugendliche müssen früh und konsequent unterstützt und suchtkranke Menschen nicht einfach abgeschrieben werden. Herausforderungen mit Kokain und seinem Billigderivat Crack zeigen, wie hoch Sucht- und Drogenpolitik auch politisch auf die Agenda gehören. Zudem wird Mischkonsum zu einem wachsenden Problem. Es wird konsumiert, was gerade auf dem Markt verfügbar und erschwinglich ist. Das sind vor allem immer neue und potentere Drogen, was das gesamte Hilfesystem fordert.

Kokain ist eine Wohlstands-, aber auch eine Elendsdroge. Wie kann ein Zurückdrängen der »Crackepidemie« gelingen?

Drogenmärkte sind extrem dynamisch, und organisierte Kriminalität agiert global. Ein Großteil der Drogenkonsumierenden lebt in Europa, und wir müssen gemeinsame Lösungen finden, auch mit den Ländern, in denen sich die Anbaugebiete befinden. Erst recht dafür, was wir tun können, dass in Europa zukünftig die Nachfrage nach Kokain und Co. sinkt. Zudem müssen wir die Konsumierenden besser in den Blick nehmen. Wir haben gute Werkzeuge, die gehören angepasst mit einem niederschwelligen Angebot wie Schlafplätzen für Konsumierende, gesundheitlicher Versorgung, Essen und Trinken, um die Verelendung von Crackkonsumenten nicht voranschreiten zu lassen.

Auch Drogenkonsumräume retten Leben, dieses Angebot ist aber nicht bundesweit verfügbar – warum?

Der Bund erlaubt Drogenkonsumräume seit 2000, Drug-Checking seit 2023; Voraussetzung ist die entsprechende Rechtsverordnung im jeweiligen Land. Es gibt 27 stationäre und vier mobile Drogenkonsumräume in 17 Städten in neun Bundesländern. Drug-Checking-Stationen sind es noch viel weniger. Das ist viel zuwenig. Dabei retten Drogenkonsumräume Leben und auch Drug-Checking. Beides sind wichtige Instrumente für Schwerstsuchtkranke. Sie öffnen Wege zu Hilfe und Therapie. In der Fachwelt ist der Sinn von Drogenkonsumräumen unstrittig. Eine Debatte über das »Ob« können wir uns auch angesichts der riskanten Entwicklungen bei Crack und synthetischen Opiaten wie Fentanyl nicht mehr leisten.

Wie kann es sein, dass noch immer so viele Menschen durch Konsum sterben – es jährlich mehr werden – und Suchthilfeangebote weiterhin unterfinanziert bleiben?

Trotz des großen Spardrucks ist es gelungen, die Mittel des Bundes für die Suchtprävention für 2024 um etwa 50 Prozent aufzustocken. Das ist eine sehr kluge Schwerpunktsetzung. Aber auch vor Ort gilt: Es nützt niemandem, wenn gute Strukturen, die wir im Bereich der Suchthilfe und Suchtberatung bereits haben, wegfallen. Es gibt gute Zahlen, die zeigen, wie sehr sich jeder in die Suchthilfe investierte Euro am Ende rentiert. Weil er Sucht vorbeugt, dafür sorgt, dass weniger Kinder unter der Suchterkrankung ihrer Eltern leiden müssen, und viele Menschen wieder in Arbeit bringt.

Wie lassen sich von Ihnen vorgeschlagene Maßnahmen wirksam umsetzen?

Menschlichkeit und wissenschaftliche Evidenz müssen über moralische Bedenken gestellt werden. Es gibt für alle Probleme erprobte Lösungen, die auch ideologische Weltbilder überwinden müssten. Der Bund kann mit koordinieren, aber nicht die Finanzierungslücken der durch Länder und Kommunen finanzierten Suchthilfe füllen. Da bleibt nur der Appell an alle, im Sinne der suchterkrankten Menschen zu handeln. Die Drogen- und Suchtpolitik muss einen höheren Stellenwert erhalten. Die Herausforderungen werden größer.

Burkhard Blienert ist der Beauftragte der Bundesregierung für Sucht- und Drogenfragen

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