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Aus: Ausgabe vom 20.07.2024, Seite 10 / Feuilleton
Gewaltkultur

Sie sind so

Die USA und ihre Schusswaffen
Von Robert Cohen, New York
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Schnell noch dem Kleinen einen mitnehmen: Schießprügel im Walmart-Shop

»It’s not who we are as a ­nation«, sagte US-Präsident Biden nach dem Attentat auf Trump in der Nähe von Butler im Bundesstaat Pennsylvania. Obama, dessen Vize­präsident Biden war, hatte die Formel nach Massenschießereien mehrfach verwendet. Wir sind doch nicht so?

Doch, sie sind so. Und nur sie sind so. Kein anderes Land, schon gar nicht die unverzichtbaren Feinde Russland, China, Iran oder Kuba, käme auf den Gedanken, seine Bürgerinnen und Bürger sich mit Sturmgewehren vom Typ AR-15, der bevorzugten Waffe von Massenmördern, bewaffnen zu lassen. Aber Kapitalismus ist Kapitalismus, und Geschäft ist Geschäft, besonders das Waffengeschäft (Umsatz im Jahr 2023: 41,7 Milliarden Dollar).

Sie sind so. Und um auch armen Schluckern, die kein Geld für ein Maschinengewehr haben, aber gerne auch einmal auf Hasen- oder Menschenjagd gehen möchten, diese Sehnsucht zu erfüllen, hob der Oberste Gerichtshof am 14. Juni 2024 das bundesweite Verbot für Schnellfeuerkolben auf. Ja, auch die obersten Richterinnen und Richter des Landes sind so. Du montierst einen Schnellfeuerkolben auf deine halbautomatische Knarre, schon hast du ein Maschinengewehr.

Der Attentäter von Butler allerdings war auf dieses Sozialprogramm für kaufschwache Massenmörder nicht angewiesen, er verfügte über ein AR-15. Auch legte ihm die Regierung des Bundesstaats Pennsylvania bei der Durchführung seines Plans keine Steine in den Weg: In Pennsylvania, wie in mehreren anderen Bundesstaaten, dürfen Schießprügel offen getragen werden – da können alle sehen, wer den größten hat. Sie dürfen ihn auf der Straße tragen, oder auch in Parks, wo Kinder im Sandkasten spielen; allerdings nicht auf Polizeistationen, das wäre denn doch übertrieben.

In Butler legten Scharfschützen den Attentäter um. Man kann auch sagen: Sie töteten ihn. Allerdings nicht in den USA. Hier heißt es: Sie »neutralisierten« (neutralized) ihn. Als hätten sie aus ihm einen Schweizer gemacht. Sie töten, aber sie sagen es nicht. Auch Medien halten sich an diese Sprachregelung. Wir sind nicht so? Das rituelle Abstreiten hebt hervor, was abgestritten werden soll: Dieses Land, diese Nation, sie ist so.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

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  • Leserbrief von Frank Steyer (30. Juli 2024 um 12:29 Uhr)
    Sie schreiben zum privaten Waffenbesitz in den USA im Zusammenhang mit der beim Attentatsversuch auf Donald Trump verwendeten Waffe, »Kein anderes Land (…) käme auf den Gedanken, seine Bürgerinnen und Bürger sich mit Sturmgewehren vom Typ AR-15 (…) bewaffnen zu lassen«.
    Ganz richtig ist das nicht, denn das sogenannte AR-15 ist auch in Deutschland als halbautomatisches Gewehr für Jäger und Sportschützen erwerbbar, wobei die Hürden für den Erwerb in den USA sicher deutlich niedriger liegen dürften.

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