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Aus: Ausgabe vom 20.07.2024, Seite 15 / Geschichte
Faschismus

Der SS-Putsch

Bereits 1934 wollte Hitler in Österreich einmarschieren. Mussolini verhinderte das
Von Gerhard Feldbauer
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Vor dem Putschversuch: Nazis bewaffnen sich, Wien, 25. Juli 1934

Am 25. Juli 1934 fuhren gegen Mittag etwa 150 Angehörige der Wiener SS-Standarte, gekleidet in Uniformen des Heeres und der Polizei, in Lastwagen in das Bundeskanzleramt am Ballhausplatz und drangen in das Arbeitszimmer von Bundeskanzler Engelbert Dollfuß ein. Während der Regierungschef versuchte zu fliehen, wurde er von zwei Schüssen getroffen. Die Mörder ließen ihn verbluten. Gegen 15.45 Uhr trat der Tod ein. Die Putschisten besetzen die Zentrale der Rundfunkgesellschaft Radio-Verkehrs-AG und verkündeten den Rücktritt der Regierung und die Übernahme der Regierungsgeschäfte durch den früheren steirischen Landeshauptmann Anton Rintelen. Der Landwehr-Oberleutnant war 1932/33 Bildungsminister gewesen.

Der SS-Putsch sollte das Signal zum Einmarsch der Wehrmacht in Österreich geben. Es kam in der Folge, vor allem in der Steiermark und Kärnten, zu bewaffneten Auseinandersetzungen der SS mit Heeres- und Polizeieinheiten. In Wien übernahm Justizminister Kurt Schuschnigg die Amtsgeschäfte. Am 28. Juli war der Putsch überall zusammengebrochen. Bei den Kämpfen gab es etwa 170 Tote. Angesichts des Nichteingreifens der Wehrmacht hatten die Putschisten in Wien, nachdem ihnen freies Geleit versprochen worden war, noch am 25. Juli ihre Waffen niedergelegt. Die Zusage wurde jedoch mit Verweis auf den Mord an Dollfuß widerrufen. Der als Anführer des Putsches ausgegebene SS-Unterführer und NSDAP-Gauleiter Fridolin Glass konnte fliehen. 13 Putschisten wurden von einem Militärgericht zum Tode verurteilt und am 31. Juli hingerichtet, darunter Dollfuß’ Mörder Otto Planetta, der maßgeblich an der Aufstellung der Wiener SS-Standarte beteiligt war.

Gefährlich wie 1914

Dass der Einmarsch der Wehrmacht ausblieb, hatte seine Gründe. In Rom sicherte Mussolini Österreich sofort Unterstützung zu und setzte vier Divisionen an die Brennergrenze in Marsch. In Berlin übergab Botschafter Vittorio Cerruti Außenminister Konstantin von Neurath eine scharfe Protestnote. In der offiziösen Presse Roms wurde Berlin für die Ermordung von Dollfuß verantwortlich gemacht, es war von einer »Clique von Mördern und Päderasten« die Rede. Hitlers Botschafter Ulrich von Hassel berichtete nach Berlin, dass »die Atmosphäre so gefährlich sei wie beim Kriegsausbruch 1914/15, als Italien vom Dreibund mit Deutschland–Österreich–Ungarn auf die Seite der Entente wechselte«. Angesichts der Haltung des »Duce« musste Hitler von einem Einmarsch absehen.

Mussolini fühlte sich vor Hitler als der unbestrittene »Führer des Faschismus« über Italien hinaus. In den 1920ern und bis in die 1930er Jahre hinein spielte sein Regime eine internationale Vorreiterrolle. Sein Machtantritt 1922 wirkte sich auf das 1920 in Ungarn an die Macht gekommene Horty-Regime und 1923 auf die Etablierung der Zankow-Diktatur in Bulgarien ebenso aus wie 1926 auf die Errichtung der militärfaschistischen Diktatur unter General António Óscar de Fragoso Carmona in Portugal.

Widerstreitende Interessen

Auch für die Formierung des deutschen Faschismus unter Hitler bis zu dessen Machtantritt spielte der römische Faschismus eine bedeutende Rolle. Das zeigt sich im direkten Einfluss der »Führerpersönlichkeit« Mussolinis auf Hitler, im Entstehen der Strukturen seiner Bewegung und ihrer Kampfmethoden, besonders der sozialen Demagogie und des Terrors. Hitler nannte seine SA wörtlich nach den von Mussolini geschaffenen ­Squadre d’Azione (Sturmabteilungen). Er übernahm den von Mussolini erfundenen Führertitel »Duce« und den »römischen Gruß«, mit dem dieser sich mit erhobenem rechten Arm grüßen ließ. Ein unwesentlicher Unterschied bestand nur in der Farbe der Uniformhemden, die bei den italienischen Faschisten schwarz, bei den deutschen braun war. »Das Braunhemd«, so räumte Hitler in seinen »Monologen im Führerhauptquartier« noch 1941 ein, »wäre vielleicht nicht entstanden ohne das Schwarzhemd«. Er gestand ebenso, dass Mussolini einmal für ihn »eine ganz große Persönlichkeit« gewesen sei.

Die widerstreitenden Interessen zwischen dem italienischen und dem deutschen Faschismus zeigten sich als erstes in der Österreich-Frage. Der von Berlin angestrebte »Anschluss« beunruhigte Rom, das im Falle einer gemeinsamen Grenze um das deutschsprachige, früher österreichische, Südtirol, seine Kriegsbeute aus dem Ersten Weltkrieg verlustig geht. Außerdem lag von Wien aus der Balkan in greifbarer Nähe, eine Einflusssphäre, die Italien ebenfalls für sich beanspruchte.

Deutsche Waffen für Äthiopien

Als Mussolini am 3. Oktober 1935 zur Eroberung Äthiopiens (damals Kaiserreich Abessinien) schritt, versuchte Hitler zunächst, ihm die ein Jahr vorher in Wien erlittene Niederlage heimzuzahlen und lieferte Äthiopien in geringem Umfang Waffen. Im Auftrag des Heereswaffenamtes gingen über anonyme Kanäle 10.000 Mausergewehre, Maschinengewehre und -pistolen, zehn Millionen Patronen, Handgranaten sowie Medikamente nach Addis Abeba. Ferner wurden 30 Panzerabwehrkanonen Kaliber 3,7 Zentimeter mit Munition geliefert. Das Kriegsgerät stammte aus der Produktion von Rheinmetall-Borsig. Von den Waffen wurden die Firmenzeichen entfernt. In der Schweiz ließ das Heereswaffenamt zudem 36 Oerlikon-Kanonen kaufen und nach Äthiopien verschicken. Die Lieferungen umfassten einen Wert von drei Millionen Reichsmark. Später folgten noch kleinere Lieferungen als Geschenke. Das Kalkül war: Je schwieriger es für Italien werden würde, seine Eroberungsträume zu verwirklichen, um so notwendiger würde es sich auf Deutschland stützen müssen. Offiziell wurde Italien versichert, dass das Deutsche Reich weder Waffenlieferungen an Kaiser Haile Selassie noch die Anwerbung deutscher Freiwilliger für Abessinien zulassen würde.

Nachdem jedoch die italienische Offensive zunächst gescheitert war, kam es zu einem Meinungsumschwung in Berlin. Nach der Niederschrift des deutschen Botschafters in Rom habe der »Führer« erklärt, dass »ein Zusammenbruch des Faschismus in Italien (…) im höchsten Grade unerwünscht« sei und man alles tun müsse, »um zu vermeiden, dass sich die mannigfache Gegnerschaft der Welt gegen das autoritäre Regierungssystem auf uns als einzigen Gegenstand konzentriere«. Es läge »auch in unserem Interesse, dass Italien als Faktor im europäischen Spiel nicht allzu sehr geschwächt« würde. Eine Zeitlang habe man vielleicht, besonders nach den bekannten Demonstrationen Mussolinis am Brenner, durchaus wünschen können, dass Italien nicht allzu groß und erfolgreich aus dem Konflikt hervorgehe. Nunmehr sei diese Gefahr aber nicht mehr in sehr hohem Grade vorhanden. Vielmehr stehe umgekehrt zu befürchten, dass der Faschismus und überhaupt Italien aus der Prüfung zertrümmert und schwer beschädigt hervorginge. »Wir könnten daher deutscherseits nur das Bestreben haben, unsererseits das Mögliche zu tun, um einen solchen Zusammenbruch zu verhindern.«

So konnte Mussolini triumphieren. Am 5. Mai 1936 eroberten italienische Truppen Addis Abeba. Nach der brutalen Niederschlagung Äthiopiens, bei der das italienische Militär chemische Massenvernichtungswaffen einsetzte, schloss Mussolini am 1. Juni 1936 Äthiopien mit Eritrea und Italienisch-Somaliland zur Kolonie Italienisch-Ostafrika zusammen. Am 25. Oktober 1936 bildeten Deutschland und Italien die Achse Berlin–Rom. Am 6. November 1937 trat Italien dem Antikominternpakt bei.

Gerhard Feldbeuer

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