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Aus: Ausgabe vom 23.07.2024, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Energiepolitik

Kabel für Nordseegas

Niedersächsische Behörde genehmigt Stromversorgung für Förderplattform
Von Gerrit Hoekman
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»Schützenswerte Riffe«: Offshorewindpark »Riffgat« 15 Kilometer nördlich der Insel Borkum

Das Wirtschaftsministerium in Hannover hatte zunächst recht beherzt reagiert, nachdem der NDR Ungeheuerliches berichtet hatte. »Das Schreiben hat keinerlei Einfluss auf die anstehenden Genehmigungen, die das Land Niedersachsen treffen muss«, erklärte das Ministerium am Montag vor einer Woche. Der niederländische Gaskonzern ONE-Dyas hatte Anfang Juli in einem Schreiben an die Landesregierung mit einer unverschämten Schadensersatzklage in Höhe von 300 Millionen Euro gedroht. Am Freitag dann die Überraschung: Die zuständige Behörde genehmigte das für die Gasförderung in der Nordsee dringend benötigte Seekabel.

Das Kabel soll die 20 Kilometer vor Borkum und dem niederländischen Eiland Schiermonnikoog liegende Plattform vom deutschen Offshorewindpark Riffgat aus mit Strom versorgen. Die seit 2022 bestehende Genehmigung gelte jetzt in geänderter Fassung, so der Niedersächsische Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN). Dem Gaskonzern werde bei der Verlegung der Einsatz von Fräsen untersagt und eine schonende Verlegetechnik auferlegt. Außerdem muss ONE-Dyas nun eine deutlich höhere Ersatzzahlung für die Beeinträchtigung der Biotope leisten, erfuhr der NDR aus dem Umweltministerium. Wie hoch die sein wird, ist unbekannt. ONE-Dyas will bis Ende des Jahres mit der Förderung beginnen.

Die Deutsche Umwelthilfe (DUH), der BUND Niedersachsen und die Bürgerinitiative Saubere Luft Ostfriesland aus Emden kündigten am Freitag in einer gemeinsamen Presseerklärung weitere juristische Schritte an. Aus dem geharnischten Brief des Gaskonzerns an die Landesregierung gehe hervor, »dass Ministerpräsident Weil im Gespräch mit One-Dyas angekündigt hatte, ›alles Erdenkliche‹ zu tun, um so schnell wie möglich die Gasbohrungen zu genehmigen. Dies legt den Verdacht nahe, dass das Genehmigungsverfahren nicht rechtsstaatlich abgelaufen ist, sondern das Ergebnis schon vorab feststand.«

Es sei zweifelsfrei belegt, dass durch die Gasbohrungen und die Verlegung des Kabels schützenswerte Riffe zerstört werden. »Trotzdem verhalten sich die Mitglieder der Landesregierung wie Marionetten des fossilen Konzerns One-Dyas«, wird der Sprecher der Bürgerinitiative Saubere Luft Ostfriesland, Bernd Meyerer, in der Presseerklärung zitiert. »Heute für 35 Jahre eine neue Gasförderung in der Nordsee zu beginnen, ist angesichts von Meeresspiegelanstieg, Artensterben und Klimakatastrophe reiner Wahnsinn.«

Die Landesregierung habe offenbar der »illegitimen Drohung« eines Konzern nachgegeben, so Constantin Zerger von der DUH. »Die Landesregierung von Ministerpräsident Weil stellt damit die Profite eines fossilen Konzerns vor den Schutz der Nordsee und den Schutz der Menschen auf den Inseln.« Susanne Gerstner, die Landesvorsitzende des BUND Niedersachsen, nannte die geplante Gasförderung »für die Versorgungssicherung völlig unnötig. Es geht einzig und allein um die Profite eines fossilen Konzerns – das haben nicht zuletzt die bekanntgewordenen Schadensersatzdrohungen deutlich gemacht.«

Die Grünen im niedersächsischen Landtag nannten die Entscheidung der Landesbehörde »sehr bedauerlich«. Sie leiten in Niedersachsen das Umweltministerium. Nach außen hält Minister Christian Meyer das Projekt weiterhin für unvereinbar mit den Pariser Klimazielen. Der NLWKN entscheidet aber unabhängig, zumindest sollte es in der Theorie so sein. »Die Drohung wirkt«, sah jedoch der niederländische Regionalsender RTV Noord am Samstag ebenfalls einen Zusammenhang mit dem drastischen Schreiben des Konzerns an die Landesregierung. SPD-Wirtschaftsminister Olaf Lies ist ein Fürsprecher des Projekts, weil von dem geförderten Gas auch Deutschland einen Anteil erhält.

Der Vorstandsvorsitzende von ONE-Dyas, Chris de Ruyter van Steveninck, sei mit der deutschen Entscheidung zufrieden, berichtete die niederländische Tageszeitung Trouw am Freitag. Er hoffe ebenfalls, dass die Niederlande so schnell wie möglich auf saubere Energie umsteigen, aber solange sie noch Gas benötigen, sei Nordseegas sowohl aus Kostengründen als auch wegen der Versorgungssicherheit besser als Importe aus den USA und Katar. Natürlich wird sich das neue Gasfeld aber vor allem positiv auf die Gewinne des Energiekonzerns mit Sitz in Amsterdam auswirken, aber das behielt der CEO für sich.

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