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Aus: Ausgabe vom 23.07.2024, Seite 16 / Sport
Radsport

Nicht am Auspuff schnüffeln

Tadej Pogačar fährt alles in Grund und Boden und gewinnt die 111. Tour de France
Von Holger Römers
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Tief durchatmen: Tadej Pogačar (Nizza, 21.7.2024)

Die nackten Zahlen sind trügerisch, zumindest teilweise. Blickt man nach dem am Sonntag von Tadej Pogačar (UAE Team Emirates) gewonnenen Zeitfahren in die abschließenden Ergebnislisten der 111. Tour de France, entdeckt man etwa, dass der Abstand relativ gering ist zwischen dem Gewinner des Grünen Trikots, Biniam Girmay (Intermarché-Wanty), und dem Zweiten in der Punktewertung, Jasper Philipsen (Alpecin-Deceuninck). Dass der 26jährige Belgier, der im Vorjahr die Sonderwertung für sich entschieden hatte, den Rückstand am Dienstag mit seinem dritten Sprintsieg auf wenig mehr als 30 Punkte reduzieren konnte, lag aber nur daran, dass der zwei Jahre jüngere Eritreer wegen eines Sturzes im Finale leer ausging. Da war diese Spezialkonkurrenz schon entschieden, weil auf den folgenden bergigen Etappen die Umkehrung der Rangfolge praktisch unmöglich war.

Dagegen geben die gut sechs Minuten Rückstand, mit denen Jonas Vingegaard (Team Visma-Lease a Bike) Zweiter im Gesamtklassement wurde, zwar einen treffenden Eindruck von der Dominanz Pogačars, der sich nach 2020 und 2021 das dritte Mal das gelbe Trikot sicherte. Allerdings lässt die Minutenzahl kaum ahnen, wie heroisch und tragisch der 27jährige Däne sich nach seinen Toursiegen in den beiden Vorjahren gegen die Niederlage gestemmt hat.

Nachdem sich Pogačar am vergangenen Sonntag auf der schwersten Pyrenäenetappe durchgesetzt hatte, gelang ihm dasselbe am Freitag auf dem anspruchsvollsten Tagesabschnitt in den Alpen, worauf am Sonnabend bei einer weiteren Bergankunft sein fünfter Tagessieg folgte. Da zeigte Vingegaard im Zweiersprint keine Gegenwehr mehr. Doch beim Schlussanstieg hatte er noch imponierende Willenskraft bewiesen, indem er einen wiederholten Angriff des Gesamtdritten Remco Evenepoel (Soudal Quick-Step) erfolgreich konterte und das Tempo hochhielt, obwohl der im Klassement bereits ausreichend weit zurückliegende Belgier schnell distanziert war – und die slowenische Nemesis ungerührt am Hinterrad blieb. Tags zuvor hatte Vingegaard im Ziel bitterlich geweint, was bewusst macht, wie lange er seinen unbedingten Siegeswillen hatte aufrechterhalten können – obwohl seine durch einen schweren Rennunfall im Frühjahr ruinierte Tour-Vorbereitung allen Grund bot, die absehbare Niederlage zu akzeptieren.

Es keimten noch einmal Zweifel an der Wachsamkeit von UAE Team Emirates auf, als es am Freitag den beiden stärksten Berghelfern im Team Visma-Lease a Bike, Matteo Jorgenson und Wilco Kelderman, gelungen war, eine größeren Ausreißergruppe zu infiltrieren. Während Vingegaard schon am vorletzten Anstieg in der Favoritengruppe isoliert war, blieb Pogačar lange von vier Kollegen umgeben – was seinem Hauptgegner sogar bei bester Tagesform das offensichtlich geplante Aufschließen zu den Ausreißern erschwert hätte. Folgerichtig haben die Fahrer von UAE schließlich auch die Mannschaftswertung gewonnen, Pogačars Helfer João Almeida und Adam Yates wurden Vierter beziehungsweise Sechster im Gesamtklassement.

Dagegen hatte Visma mit Jorgenson, dem abschließenden Achten, nur einen gleichwertigen Edelhelfer im Aufgebot, ähnlich wie Soudal Quick-Step mit dem Gesamtfünften Mikel Landa. Dass nur eine Rennaufgabe dessen 24jährigen Kapitän Evenepoel vom überlegenen Gewinn des weißen Trikots als bester Jungprofi hätte abhalten können, schien indes spätestens nach dem Ausscheiden des mit Covid infizierten Juan Ayuso (UAE Team Emirates) klar. Richard Carapaz (EF Education-EasyPost), der 31jährige ecuadorianische Olympiasieger und Giro-Sieger von 2019, legte derweil mit einem Ausreißersieg am Mittwoch das Fundament zum unangefochtenen Gewinn der Bergwertung.

Solche Leistungen verblassen freilich angesichts der Tatsache, dass der erst 25jährige Pogačar am Sonntag mit seinem insgesamt 17. Etappensieg auf Platz acht der ewigen Bestenliste der Tour vorrückte, während ihm zugleich als erstem Fahrer seit Marco Pantani 1998 das ­Double aus Giro- und Tourgewinn im selben Jahr gelang.

Apropos Pantani: Sollten Leute, die berufsbedingt binnen drei Wochen knapp 3.500 Kilometer bei Sommerhitze mit dem Fahrrad zurücklegen, sich vom Konkurrenzdruck dazu verleiten lassen, die individuelle Leistung gegebenenfalls mit Tricks zu befördern, wäre das nicht allzu verwunderlich. Jedenfalls wurde unlängst bekannt, dass UAE und Visma sogenannte Kohlenmonoxidkreislaufgeräte nutzen, mit denen sich die Wirkung von Höhentraining messen lässt. Doch kann man mit den Dingern auch Kohlenmonoxid inhalieren, um die eigene Hämoglobinmasse zu erhöhen, also die Sauerstoffaufnahme zu maximieren. Verboten ist das bislang nicht.

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  • Leserbrief von Rudi Eifert aus Langenhagen (23. Juli 2024 um 16:24 Uhr)
    Tadej Pogačar ist der Doppelhattrick gelungen – wie weiland Marco Pantani 1998. Nur mit dem Unterschied, dass man Pantani später des Dopings überführte. Die von Pantani als übermenschlich zu bezeichnete sportliche Leistung war ohne Hilfsmittel gar nicht möglich gewesen, was letztlich auch festgestellt wurde. Pogačar hat nun bei der Tour de France zeitmäßig Pantanis Leistung sogar noch pulverisiert – man höre und staune! Man fragt sich natürlich zu Recht: Ist dies mit Training und verbessertem Material allein überhaupt möglich? Ist die menschliche Physis ohne erkennbare Ermüdung dazu in der Lage? Mir persönlich schlackern dabei die Ohren. Dopingkontrollen mögen ja während des Tourverlaufs zur Selbstverständlichkeit gehört haben. Die Frage ist nur: Wurden die modernsten Testmethoden hierbei angewandt? Honni soit qui mal y pense, würden die Franzosen sagen … Interessant ist zumindest die Ankündigung von Pogačars Rennstall UAE Team Emirates, ihren Toursieger zu den Olympischen Spielen wegen Erschöpfung nicht antreten zu lassen – ein Phänomen, das er während der Tour nicht einmal ansatzweise gezeigt hat. Der Teilnahme an der Rad-WM in der Schweiz indes – die im späten September stattfindet – stünde nichts im Wege. Immerhin noch fast zwei Monate der Regeneration – in welcher Form auch immer. Mir sei es erlaubt, zu sagen, dass ich mich eines gewissen Geschmäckles nicht erwehren kann. Wollen wir nur hoffen, dass alles mit guten Dingen abgelaufen ist. Die Zukunft wird es zeigen.

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