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Aus: Ausgabe vom 24.07.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Luftwaffenmanöver

Pechschwarzer Pazifik

Manöverserie im Stillen Ozean: Luftwaffe probt mit Verbündeten den Krieg gegen Russland und China
Von Jörg Kronauer
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»Pitch Black«: Mehr als 140 Militärflugzeuge aus 20 Nationen im Himmel über Australien (Darwin, 18.7.2024)

Der Kampfeinsatz der deutschen Luftwaffeneinheit steht kurz bevor. Die Autonome Region Amica, so groß wie Brandenburg, aber sehr weit weg zwischen den Staaten Amica und Malus auf der anderen Seite des Globus gelegen, ist rohstoffreich und daher ins Visier ihrer Nachbarn geraten. Beide erheben Anspruch auf sie, die Weltjustiz sucht zu schlichten; vor kurzem aber hat Malus Fakten geschaffen, ist in die Autonome Region Amica einmarschiert, hält sie besetzt. Die Bewohner – viele identifizieren sich als Amicaner – sind größtenteils geflohen; es herrscht Chaos. Wie gut, dass es die Vereinigten Staaten gibt: Sie bereiten sich bereits vor, die okkupierte Region zu befreien. Das geht nur militärisch. Man weiß: Der Feind Malus (Lateinisch: »schlecht«) nutzt vor allem russische Waffen, verfügt über eine starke Luftwaffe, die Kampfjets aus russischer Produktion besitzt – MiG-29, Su-35, Tu-160 und einige andere mehr. Die U. S. Air Force hat für den Luftkampf gegen sie die Unterstützung verbündeter Staaten angefordert. Auch Deutschland nimmt an der multinationalen Truppe zur Befreiung der Autonomen Region Amica (Lateinisch: »Freundin«) teil. Der Name der Truppe: »Pitch Black«.

»Pitch Black«, pechschwarz, heißt ein Luftwaffenmanöver, das Australiens Streitkräfte alle zwei Jahre durchführen. In den 1980er Jahren zunächst als gemeinsame Übung mit der U. S. Air Force konzipiert, dient es seit den 1990er Jahren dazu, die Luftstreitkräfte von immer mehr verbündeten Staaten zu integrieren. Dieses Jahr nehmen rund 4.500 Soldaten mit mehr als 140 Flugzeugen aus insgesamt 20 Ländern teil. Das Manöver findet in Nordaustralien statt, vor allem um die Luftwaffenstützpunkte Darwin und Tindal herum; diese haben in den US-Planungen für einen etwaigen Krieg gegen China eine wichtige Rolle als rückwärtige Operationsbasen. An »Pitch Black« beteiligen sich denn auch einerseits Staaten, die sich ohnehin gegen China positionieren, so zum Beispiel – neben dem Gastgeber Australien – Japan, Indien oder die Philippinen, andererseits aber auch Staaten, die der Westen gegen die Volksrepublik in Stellung zu bringen sucht, etwa Papua-Neuguinea und der kleine, aber strategisch wichtige Pazifikstaat Fidschi. »Pitch Black« 2024 hat am 12. Juli begonnen und dauert, das eingangs zitierte Szenario durchexerzierend, noch bis zum 2. August an.

Die deutsche Luftwaffe nimmt in diesem Jahr bereits zum zweiten Mal nach 2022 an »Pitch Black« teil – mit fünf »Eurofightern« vom Taktischen Luftwaffengeschwader 71 »Richthofen« aus Wittmund. Verlegte die Luftwaffe ihre Flugzeuge vor zwei Jahren noch auf direktem Weg nach Down Under, so sind diesmal die »Eurofighter« Teil einer stärkeren Einheit von ungefähr 30 Militärflugzeugen, die sich auf einem Übungsflug rund um die Welt befindet, und dies gemeinsam mit 15 weiteren Flugzeugen aus Frankreich und aus Spanien. »Pacific Skies«, so der Name der militärischen Weltumrundung, umfasst – neben kleineren Übungselementen – vor allem fünf größere Teilmanöver; »Pitch Black«, klar gegen China gerichtet und zugleich, man schlägt ja gerne zwei Fliegen mit einer Klappe, einen Krieg gegen russische Kampfjets trainierend, ist das dritte davon. Begonnen hatte die Übungsserie Mitte Juni zunächst mit Tiefflugübungen und mit dem Manöver »Arctic Defender« in Alaska, das in relativer Nähe zur Beringstraße den Luftkrieg in der Arktis probte. Russland ist ein wichtiger Arktisanrainer. Aus Alaska verlegte die Einheit nach Japan. Ein Teil flog dann gleich weiter zu »Pitch Black«.

Und während dieser Teil nun auf dem Luftwaffenstützpunkt Darwin in fiktive Luftkämpfe gegen russische Jets, Pardon, die Luftwaffe von Malus eingreift, beteiligen sich die anderen deutschen Militärflugzeuge seit Montag – und noch bis diesen Donnerstag – an »Nippon Skies«. Es handelt sich um das erste gemeinsame Manöver der Luftwaffen der Bundesrepublik und Japans, nachdem 2022 deutsche Kampfjets auf dem Rückflug von »Pitch Black« zum ersten Mal einen Zwischenstopp in Tokio eingelegt hatten. »Nippon Skies« hat die Chitose Air Base, nahe Sapporo auf Hokkaido gelegen, als Ausgangspunkt. Hokkaido ist die nördlichste der japanischen Hauptinseln; so nahe an die russische Insel Sachalin und an die Südkurilen, die zu Russland gehören, aber von Tokio beansprucht werden, kommt man in Japan sonst kaum. Zugleich kommt die Luftwaffe bei »Nippon Skies« chinesischem Staatsgebiet so nahe wie bei keinem Manöver zuvor. Nebenbei: Japan nennt seine Luftwaffe zwar immer noch »Luftselbstverteidigungsstreitkräfte«; inzwischen ist aber klar, dass Tokio ausreichend Verbalakrobatik beherrscht, um unter »Selbstverteidigung« auch die Teilnahme an Kriegen um Taiwan und wohl auch auf den Philippinen – klar, gegen China – zu subsumieren.

Nach Abschluss von »Nippon Skies« werden die deutschen Militärflugzeuge nach Hawaii verlegt; dort findet das US-geführte Großmanöver »Rimpac 2024« statt. Den Weg dorthin sollen drei »Eurofighter« mit Hilfe von Tankflugzeugen als einen Nonstopflug zurücklegen: zehneinhalb Stunden am Stück – das ist für die deutsche Luftwaffe ein Rekord. Die Route führt unter anderem über die Pazifikinsel Guam, faktisch eine US-Kolonie, die zwei der wichtigsten US-Militärstützpunkte für einen etwaigen Krieg gegen China beherbergt; vor nicht ganz drei Jahren war die Fregatte »Bayern« auf der ersten großen Pazifikerkundung der Bundeswehr dort eingelaufen. Lange Terra incognita für die Bundeswehr – was haben deutsche Soldaten dort auch schon zu suchen –, sammelt die Truppe nun systematisch Erfahrungen im Stillen Ozean.

Auf die vierte Station von »Pacific Skies«, »Rimpac 2024«, folgt noch eine fünfte: In der ersten Augusthälfte nehmen die Flugzeuge der deutschen Luftwaffe an »Tarang Shakti« teil, einem Großmanöver der indischen Streitkräfte. Dabei geht es nicht nur darum, Indien enger an den Westen zu binden, sondern auch darum, Frankreich auszustechen: Die Luftwaffe soll, so heißt es, Neu-Delhi mit Blick auf künftige Beschaffungen überzeugen, dass der »Eurofighter« der französischen »Rafale« überlegen sei. Auf »Tarang Shakti« folgt für die deutsche Luftwaffe dann der Heimflug: Ihre militärische Weltumrundung geht im August zu Ende. Ihre Manöver in der Asien-Pazifik-Region werden aber erklärtermaßen nicht die letzten gewesen sein.

Hintergrund: Transpazifischer Machtkampf

Die Bundesregierung nimmt den Pazifik, in den sie in diesem Jahr Marine und Luftwaffe entsandt hat, nicht nur militärisch ins Visier, sondern auch politisch. Der Grund: In der pazifischen Inselwelt gewinnt China an Einfluss. Bis auf Tuvalu und zwei Ex-US-Kolonien – Palau und die Marshallinseln –, deren Militärpolitik noch heute von den Vereinigten Staaten gestaltet wird, haben alle Pazifikstaaten ihre Beziehungen zu Taiwan abgebrochen und kooperieren statt dessen immer intensiver mit Beijing. Einige beginnen gar, sich bei Polizei und Militär für die Volksrepublik zu öffnen. Weil die Inselstaaten im Pazifik für den transpazifischen Machtkampf zwischen den USA und China einige geostrategische Bedeutung besitzen, sind die westlichen Staaten – allen voran die USA, Australien und Neuseeland – seit einigen Jahren bemüht, die Volksrepublik dort wieder zurückzudrängen. Politisch und ökonomisch wird im Pazifik erbittert gekämpft.

Auch Deutschland beteiligt sich am Einflusskampf im Pazifik, ganz wie zu Kaisers Zeiten. Außenministerin Annalena Baerbock war bereits zweimal in der Region; in der vergangenen Woche ist ihre Staatsministerin Katja Keul von einer Reise nach Samoa, zu den Salomonen und nach Papua-Neuguinea heimgekehrt. Ziel ist es, im Pazifik die Grundlagen für eine systematische Einflussarbeit zu schaffen. Solange es nicht um den Machtkampf gegen die Volksrepublik ging, waren Berlin die kleinen Inselstaaten ja ziemlich egal; entsprechend muss die Bundesregierung ihre Positionen von null aufbauen. Keul suchte deshalb die deutsche Kolonialvergangenheit als Einflussinstrument zu nutzen: Man müsse dringend kooperieren, um die gemeinsame Vergangenheit aufzuarbeiten, erklärte sie in allen drei Staaten, die vor dem Ersten Weltkrieg ganz oder teilweise Kolonien des Deutschen Reichs waren. Nach Samoa brachte Keul als Gastgeschenk nicht etwa Entschädigung für Kolonialverbrechen, sondern die Kielspitze eines Kanus mit, die Kaisers Soldaten einst aus dem Land gestohlen hatten. Bei so viel Großmut wird Samoa vermutlich sofort die Seiten wechseln. (jk)

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  • Leserbrief von Nikolaus Jöckel aus Offenbach am Main (24. Juli 2024 um 18:29 Uhr)
    Ach ja, der Westen probt im ganz fernen Osten also einen Angriffskrieg gegen die friedliebenden Staaten China und Russland. Da können einem schon so richtig die Tränen der Rührung kommen. Die provozierenden chinesischen Militäraktionen gegen Taiwan sind - ganz selbstverständlich - keinerlei Rede wert. Ebenso die chinesische Expansion auf allen möglichen Atollen in der Region. Alles nur Stützpunkte mit vollkommen friedlichem Charakter. Wie tief muss man den Kopf in den Sand stecken, um nur ja nicht den wirklichen imperialistischen Horizont dieser Macht wahrnehmen zu müssen? Aber das ist ja nur westliche Propaganda.
  • Leserbrief von Holger K. aus Frankfurt (23. Juli 2024 um 23:52 Uhr)
    Erst sollte Deutschland am Hindukusch, laut dem SPD-Politiker Struck verteidigt werden und wenig später in der ganzen Welt. All das nach dem altbekannten Motto, »heute gehört uns Deutschland und morgen die ganze Welt.« Zumindest ist jetzt Mitbeteiligung gemeint und nach den USA will der hiesige Wertestaat wenigstens die 2. Geige spielen. Bei all den noch folgenden imperialistischen Kriegen, will er selbstverständlich - allesamt der Verteidigung dienend - mittenmang dabei sein. Diese Republik will unbedingt nicht nur ein wirtschaftlicher Globalplayer sein, sondern auch einer der Politik und des Militärs. Gleichzeitig dürstet es Deutschland nach einem glorreichen Sieg, der bis jetzt noch immer auf sich warten lässt. In Afghanistan konnte jedenfalls der Wertestaat keine Siegeslorbeeren ernten, ergo giert er diese unbedingt noch zu ergattern und das wie gewohnt im Namen von Demokratie, Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und sonstige feine Sachen. All das ist auch nur deshalb möglich, weil ein völlig schwacher und traumtänzerischer Gorbatschow, eine heruntergewirtschaftete SU, einfach die DDR an die BRD verscherbelte und damit den deutschen Imperialismus ungewollt in den Sattel hob und zudem so die einstigen Alliierten Hoheitsrechte verschwanden. Der zuvor in Selbstmitleid wimmernde westdeutsche Flaschengeist ist nun der Flasche entfleucht, die Büchse der Pandora massiv sichtbar. Dass dies zahlreiche Bundesbürger noch immer nicht in ihrer fürchterlichen Tragweite erfasst haben, ist mehr als erstaunlich. Da kann man mal sehen, wie effektiv die hiesige Hirnwäsche der Herrschenden funktioniert.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (23. Juli 2024 um 21:13 Uhr)
    Da bietet sich doch an, Manöver der Art, wie sie bei »Darwin Awards« (https://darwinawards.com/darwin/darwin2017-12.html) dokumentiert sind, weiterzuführen: »(1. Oktober 2017, Vereinigte Staaten) Auf dem Heimflug von einer einwöchigen Marineveranstaltung, zu der auch ein Low Altitude Awareness Training gehörte, tauschten zwei erfahrene Militärpiloten die Steuerknüppel aus, während sie «flat hatting» - in geringer Höhe und mit hoher Geschwindigkeit über das Terrain flogen. Mit schwindelerregender Geschwindigkeit stürzten sich die Männer auf eine Höhe von nur 210 Fuß, wobei sie die Kontrolle hin und her wechselten, während sie den Vogel auf die vorgeschriebene Flughöhe von 500 Fuß brachten. Der ausbildende Pilot, Lt. Ruth, 31, war wild entschlossen, seinem fortgeschrittenen Flugschüler Lt. Burch, 25, die alte Maxime beizubringen: «Es gibt alte Piloten und es gibt kühne Piloten...» Bei T-minus 35 Sekunden wich Ruth von der Flugroute ab und leitete eine Sinkflugkurve ein, um Techniken zur Bodenanpassung zu demonstrieren. Dann übergab er das Flugzeug wieder an Burch und wies ihn an, eine scharfe Rechtskurve zu fliegen. Doch das Flugzeug war zu langsam und zu niedrig. Als Reaktion auf die unregelmäßigen Manöver blieb das Trainingsflugzeug T-45C Goshawk über dem ansteigenden Gelände stehen. Zu niedrig. Zu langsam. Zu spät. Beide Leutnants konnten sich nicht sicher aus dem Flugzeug befreien und werden in das Archiv des Double Darwin Awards aufgenommen.« Übersetzung von Deepl.

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