75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Gegründet 1947 Sa. / So., 07. / 8. September 2024, Nr. 209
Die junge Welt wird von 2927 GenossInnen herausgegeben
75 Ausgaben junge Welt für 75 € 75 Ausgaben junge Welt für 75 €
75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Aus: Ausgabe vom 24.07.2024, Seite 6 / Ausland
Polen

Ein Sowjetdenkmal weniger

In Polen ist Monument abgerissen worden
Von Reinhard Lauterbach, Poznań
6.jpg
Eins nach dem anderen fällt: Demontiertes Denkmal in Głubczyce (27.10.2022)

In der pommerschen Kleinstadt Nowogard nordöstlich von Szczecin ist am Montag ein weiteres Denkmal aus sozialistischen Zeiten abgerissen worden. Das 1972 zum 55. Jahrestag der Oktoberrevolution enthüllte Monument war ursprünglich der »polnisch-sowjetischen Waffenbrüderschaft« gewidmet gewesen, weil die Stadt im April 1945 gemeinsam von sowjetischen und polnischen Truppen befreit worden war. 1995 war es bereits in »Denkmal der polnischen Kriegsteilnehmer« umbenannt worden. Das Datum für den vollständigen Abriss war nicht zufällig gewählt: Der 22. Juli ist der – in diesem Jahr 80. – Jahrestag der Proklamation, mit der sich das sowjetisch inspirierte »Polnische Komitee der Nationalen Befreiung« der Öffentlichkeit vorgestellt hatte.

Die erste »Säuberung« 1995 des zwei Jahre zuvor noch einmal renovierten Denkmals war der polnischen Gedenkbehörde »Institut für Nationale Erinnerung« nicht genug. Ihre Außenstelle in Szczecin hatte seit 2016 gefordert, das Monument aus dem öffentlichen Raum zu entfernen, weil es »den Kommunismus propagiere«. Wie die beiden Gestalten mittelalterlicher Ritter, die das Erscheinungsbild des Denkmals prägten, den Kommunismus hätten propagieren können, legte das Institut nie dar. Es reichte die »schlechte Gesellschaft« eines Rotarmisten mit Kalaschnikow und eines Soldaten in der Uniform der polnischen Volksarmee. Institutspräsident Konrad ­Nawrocki war sogar eigens zum Denkmalsturz über 500 Kilometer aus Warschau angereist, um sich darüber zu echauffieren, dass das Monument »alle beleidige, die für Polen gekämpft« hätten.

Die Beseitigung des Denkmals hatte sich über mehrere Jahre verzögert, weil sich der frühere Bürgermeister von Nowogard, ein Mann des polnischen Linksbündnisses, geweigert hatte, einen entsprechenden Stadtratsbeschluss auszuführen. Bei den Kommunalwahlen im April verlor er sein Amt, der Nachfolger hatte es plötzlich eilig.

Nach einer 1997 von der russischen Botschaft in Polen aufgestellten Liste gab es damals noch 561 Denkmäler und andere Gedenkorte für sowjetische Soldaten in Polen. Heute zählt die polnische Wikipedia noch ungefähr 30 auf. Nicht alle sind so monumental wie das jetzt in Nowogard abgetragene Denkmal. Manchmal waren es kleine Tafeln, kaum größer als ein gewöhnlicher Grabstein, wie diejenige am Rand einer kleinen Straße zwischen Sarnice und Czeszewo östlich von Poznan, die an drei sowjetische Fallschirmjäger erinnerte. Sie waren im Herbst 1944 an der falschen Stelle abgesetzt worden und hatten sich angesichts der drohenden Gefangennahme das Leben genommen. Erst erschien auf dem Stein die Inschrift »KGB-Mörder«. Irgendwann war der Stein dann weg. Die Gräber der drei Soldaten auf dem Dorffriedhof sind dagegen weiterhin vorhanden und werden offenbar auch gepflegt.

Das hat mit einer Spezifik der polnischen Gedenkkultur zu tun. Gräber sind – vergleichsweise – unantastbar. So gibt es in Poznań bis heute zwei sowjetische Gedenkstätten: eine auf dem Gelände der ehemaligen Zitadelle, gekrönt von einem Obelisken, von dem nur der rote Stern entfernt worden ist. Die andere auf einem großen Friedhof am östlichen Stadtrand. An beiden Orten sind jeweils etwa 5.000 Soldaten bestattet, die Anfang 1945 bei der Befreiung von Poznań gefallen sind. Dass sich das offizielle Polen an diese Gedenkstätten nicht herantraut, hat mit der Sorge um polnische Gedenkstätten im heutigen Russland zu tun, insbesondere den nationalen Wallfahrtsort in Katyn bei Smolensk. Die polnische Seite kann sich ausrechnen, dass bei einer Einebnung sowjetischer Soldatengräber in Polen schnell auch polnische Gedenkorte beseitigt werden könnten – und sei es »zufällig« bei irgendwelchen Bauarbeiten.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!

  • Leserbrief von Raimon Brete aus Chemnitz (24. Juli 2024 um 10:48 Uhr)
    Sie besorgen das politische Geschäft der Faschisten

    Das faschistische Deutschland hatte sich die brutale und endgültige Auslöschung der Sowjetunion zum Ziel gesetzt und marschierte mit ihrer Wehrmacht über Polen brandschatzend und mordend in die Union der sozialistischen Sowjetrepubliken ein. Unter unendlichem Leid und millionenfachen Verlusten an Menschen und Material befreite die Rote Armee im engen Verbund mit polnischen Verbänden ihre Heimat und Europa vom Faschismus. Die Ehrung der Helden in Wort, Schrift und Erinnerungsstätten war und ist wohl das Mindeste an Respekt, was ihnen gebührt. Zugleich ist es Erinnerung und Mahnung für uns und spätere Generationen im Kampf gegen Faschismus und Krieg. Was den deutschen Faschisten nicht gelang, besorgen nunmehr fanatische und von Hass gezeichnete Politiker und Amtsträger in Polen. Damit besorgen sie eifrig das Geschäft revanchistischer Geschichtsschreiber und faschistischer Propagandisten im Kampf gegen die Sowjetunion und treffen jetzt Russland. Die toten sowjetischen Soldaten und Befreier Polens werden mit der Denkmalstürmerei symbolisch ein zweites Mal öffentlich hingerichtet. Polen tritt damit als EU und NATO-Mitglied die so vielbeschworenen westlichen Werte mit den Füßen und demaskiert sich als undemokratischer Staat.

Ähnliche:

  • Meinungsstark: Anne Applebaum
    26.06.2024

    Das böse Russland

    Anne Applebaum bekommt den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2024
  • Rasche Erfolge der »Operation Bagration«. Sowjetische Panzer im ...
    22.06.2024

    Vom Gegner gelernt

    Vor 80 Jahren startete die Rote Armee die »Operation Bagration«, genau drei Jahre nach dem Überfall der Nazis auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941

Regio:

Mehr aus: Ausland