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Aus: Ausgabe vom 24.07.2024, Seite 14 / Feuilleton

Rotlicht: Fetischismus

Von Barbara Eder
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Mit Schein Spaltung überblenden. Auf dem Fetischmarkt der warenproduzierenden Gesellschaft

Ein Fetisch spiegelt etwas vor, das nicht da ist. Idealiter verdeckt ein Objekt dieser Art das nackte Nichts – und lässt das, woran es realiter ermangelt, am Ort des Unbewussten in phantasmagorischer Fülle erscheinen. Magische Objekte dieser Art tauchten früh auf der Landkarte der Kolonialisatoren auf. Bei den sogenannten Primitiven wollten sie Gegenstände entdeckt haben, die Wünsche, Ängste und Begehrlichkeiten bannten und somit auch als Projektionsflächen für gesellschaftlich Uneingelöstes fungieren konnten. Die rituelle Beschwörung dieser animistisch gedachten Dinge diente dazu, Risse in der Realität zu kitten. Im Fetisch selbst materialisierte sich nicht selten ein ungelöster sozialer Konflikt, er diente dann als Deckobjekt im Zeichen einer Scheinbefriedung.

Alles also, wie gehabt: Die Welt, die aus den Fugen ist, erscheint in bester Ordnung – auch in den Untiefen der Psyche: Zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts erklärte Sigmund Freud einen britischen Nasenbeobachter zum Urtyp aller Fetischisten. Der seinem Unbewussten zugrundeliegende psychische Mechanismus ist jener der Verleugnung, und Freud zufolge zog dies einen eigenständigen Symptomkomplex nach sich: Der Blick seines nach Deutschland eingewanderten englischen Patienten heftete sich immer wieder an ein Detail im Allerweltsgesicht einer deutschen Frau. Der Rest ist das Ergebnis einer fehlgeleiteten Übersetzung: Aus dem Blick auf die Nase – »the glance on the nose« – wurde ein ominöser Glanz im Gesicht des weiblichen Gegenübers. Die phänomenal exponierte Nase deutete Freud als Ersatz für einen Phallus, den Frauen nur simulieren könnten. Zum Beispiel durch Nasen, die glänzen. Und durch Fetische, die funkeln.

Auch in Marx’ Analyse des Warenfetischs ist es ein Glitzern, das dem »ordinären sinnlichen Ding« zur metaphysischen Strahlkraft im Warenregal verhilft – und damit düpiert, was nicht laut ausgesprochen werden darf. Marx zufolge müssten wir »in die Nebelregion der religiösen Welt« flüchten, um eine adäquate Metapher für das (Nicht-)Verhältnis zwischen dem naturalen Gebrauchswert der sinnlichen Dinge und ihrer Transsubstantiierung zum sinnlich-übersinnlichen Glanz einer Ware zu finden. Verdeckt wird dieser Umstand durch die Erscheinung der Ware. Sie kittet den Riss im Subjekt – und damit auch den Widerspruch, der dessen Existenz bedingt: Ein Klassenantagonismus spaltet das gesellschaftliche Ganze in Besitzende und Besitzlose, im Zeichen des Fetischs kann diese Spaltung erfolgreich überwunden werden. Relax and Enjoy – denn auch du sollst kaufen, was dir nicht gehört.

Freud und Marx zufolge gleichen Fetischobjekte gewebten Bändern, die aus zwei unversöhnlichen Widersprüchen geknüpft sind. Durch sie lässt sich verleugnen, was eigentlich evident ist. Demnach existiert kein Konflikt mehr zwischen dem unbewussten Unbehagen am Bestehenden und dem auf Konstanz und Unveränderlichkeit ausgerichteten Realitätsgebot. Die »Ichspaltung im Abwehrvorgang« ist einen Moment lang aufgehoben, ihre Mechanismen hat Freud in seinem gleichnamigen Text von 1938 beschrieben: »Man muss zugeben, das ist eine sehr geschickte Lösung der Schwierigkeit. Beide streitende Parteien haben ihr Teil bekommen; der Trieb darf seine Befriedigung behalten, der Realität ist der gebührende Respekt gezollt worden.« Dies geschieht auch dann, wenn ein im eigentlichen Sinne fetischisierendes »Othering« den Blick auf reale Verhältnisse verdeckt.

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